Vom rechten Glauben

Ökologie ist ganz schön anstrengend. Denn auch nach 50 Jahren getrennter wie gemeinsamer Wege sucht eine Szene noch immer nach dem Paradies. Selbst wenn Umweltschutz zum gesellschaftlichen Konsens gehört, meint jeder doch etwas ganz anderes. Teil XXV der Serie 50 Jahre neues Deutschland  ■ Von Uta Andresen

Wenn der nächste Castor kommt, das ist dann wirklich der Verrat“, sagt Heinrich Messerschmidt, Mitglied der Grünen und der Bürgerinitiative gegen das Endlager Gorleben. – Verrat. Hat nicht Judas Jesus verraten? Und haben nicht Trittin und Fischer und wie sie alle heißen mögen, diese grünen Parvenus, ihre Schäfchen verraten?

Verrat durch Castor macht klar, daß, wer Umweltschutz will, ein müdes Dazwischen nicht dulden kann. Kompromisse beim Atomausstieg? Niemals! Wo Religion im Spiel ist, bleibt kein Platz für kühle Verhandlungen. Andersdenkende werden ans Kreuz genagelt. Schließlich geht es um den Schutz der Schöpfung. Die Inquisition über alle, die ihren Müll nicht trennen!

In keinem großen Industrieland wird soviel Geld für Umweltschutz ausgegeben wie in Deutschland. 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts war den Deutschen 1996 eine saubere Umgebung wert. Eifriger sind nur noch die Niederlande, Österreich und die Schweiz. Das hätten sich zu Beginn der achtziger Jahre Petra Kelly und Freunde trotz ihrer Begeisterungsfähigkeit für Visionen und Mythen (insbesondere der indigener Völker) nicht träumen lassen.

Denn in den Nachkriegsjahren spielt Umwelt- und Naturschutz zunächst keine Rolle. In den Vierzigern wird aufgeräumt, in den Fünzigern Geld verdient, in den Sechzigern ausgegeben. In einem einzigen großen Konsumrausch ersäuft die westdeutsche Gesellschaft ihren nationalsozialistischen Kater. Die ostdeutsche dagegen gibt sich ganz der Planung ihrer Wirtschaft und dem Sozialismus hin. Wer Arbeit hat, fängt keinen Krieg an. Das Wirtschaftswunder im Westen bringt gar hervor, was in grünen Kreisen bis heute als Schimpfwort gilt: den Wohlstandsbürger – feist, träge, unpolitisch. Die Verschwendung der Natur bringt in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik kaum jemand in Rage. Das Bewahren der Schöpfung als politische Pose ist gründlich diskreditiert. Zu willig haben sich der konservative „Heimatschutz“ und der „Bund für Vogelschutz“ den Nationalsozialisten angeschlossen. Für die Reinhaltung der deutschen Natur Seite an Seite mit den Faschisten. Keine deutsche Eiche dem Feind!

Da kann, wer nach dem Krieg – egal ob im Westen oder Osten – den Schutz des Waldes anmahnt, nur unpolitischer Spinner oder reaktionärer Freund deutschen Bodens sein! In der DDR sind Umweltproteste ein Fall für die Stasi. Und in der BRD hat die Linke mit dem Naturschutz nichts am Hut, erst einmal geht es um die Väter. Selbst die von den Nationalsozialisten verfolgten sozialdemokratischen „Naturfreunde“ gelten als rückwärtsgewandte „Wolkenschieber“, sogar in der SPD.

Willy Brandt, dieser sensible Seismograph für politfähige Stimmungen, macht den Umweltschutz wieder passabel, nimmt ihm den Ruch des Faschistischen. 1961 propagieren die Sozialdemokraten in ihrem Wahlkampf einen „blauen Himmel über der Ruhr“. Und 1962 verabschiedet die Regierung von Nordrhein-Westfalen das erste Immissionsschutzgesetz. Aber wie pragmatisch, grau, geradezu ämtisch verwaltet die SPD diesen Bereich!

Daß Ökologie zu ganz anderen Sphären taugt, wurde jedoch bald erkannt. Denke global, handele lokal: Die siebziger Jahre sind die große Zeit der Bürgerinitiativen. Gegen Fluglärm, gegen Autobahnen, gegen Atomkraftwerke, für Mutter Natur. Die große Zeit des Protests. Sit-ins, Demos, Sitzblockaden, Prügeleien. Jo Leinen, Joschka Fischer, Petra Kelly werden zu Ökostreitern. 1972 gründet sich der „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz“, und der Club of Rome verkündet „Die Grenzen des Wachstums“. Apocalypse now! Wer jetzt nicht in Straßengräben sich mit Polizisten wälzt oder „Atomkraft Nein Danke!“-Logos sich aufs Auto klebt, ist entweder ein etablierter Scheißer oder ein uninformierter Naivling, in jedem Falle aber ein Ungläubiger und gilt bekehrt zu werden.

Die Eltern, noch dem Fortschrittsglauben verhaftet und ihrem mühsam gefüllten Portemonnaie treu, schütteln ungläubig den Kopf. So manchem künftigen Grünen dürfte die Teilnahme an der Anti-AKW-Demo am Küchentisch verboten worden sein. Dabei zeigen sich erstaunliche Übereinstimmungen. Ausgerechnet das konservative Bayern ist es, das als erstes Bundesland 1970 ein Umweltministerium errichtet. Schließlich gilt es, das Alpenglühen zu bewahren. Die palästinensertüchertragenden Atomblockierer waren in der Substanz dessen, was sie forderten, so weit von den lederbehosten Heimatfreunden nicht entfernt.

Nur die Form des Vorgehens unterschied man sich noch deutlich. Da kommt die Ölkrise 1973 gerade recht, sieht doch jetzt jeder, der an den von Bonn verordneten autofreien Sonntagen sein Gefährt stehenlassen muß, daß die Schätze der Natur endlich sind. Zulauf erlebt die Ökologiebewegung durch Angst. Technikangst. 1976 der Dioxinunfall im italienischen Seveso, 1979 bei Boehringer in Hamburg. Dazu die Angst vor der Atomkraft. Seit Hiroshima war Schluß mit dem Glauben an die saubere Technik. Zehntausende demonstrieren in Wyhl und Brokdorf, in Kalkar und Gorleben. „Lieber aktiv als radioaktiv“.

Dann die ersten Erfolge. 1979 erklärt der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU), seine Regierung werde keine Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben bauen. Wenige Jahre später wird auch der „WAAhnsinn“ im bayerischen Wackersdorf gestoppt. Die Bewegung hat ihre Gemeinsamkeit stiftenden Mythen. Und wenn alle Wasserkanonen dieses Staates auf uns gerichtet sind, wir bleiben standhaft.

Bis jetzt war es eine kleine Glaubensgemeinschaft, ein auserwähltes Volk, das erkannt hatte, daß man Geld nicht essen kann. In den achtziger Jahren avanciert die Ökologie endgültig zur Religion. Der Wald stirbt! Und: Stirbt der Wald, stirbt der Mensch! 1981 ist es fünf vor zwölf. Mütter mit schwarz angemalten Kinderwagen auf der Straße – Kassandren des nahenden Weltuntergangs. Und die Politiker reagieren: Entschwefelungsanlagen für Fabriken, Katalysatoren für Autos.

Schließlich ziehen 1983 die Grünen in den Bundestag – der Gemeinde wächst ein politischer Arm. Ein denkwürdiges Datum auch 1986. Tschernobyl. So mancher denkt ans Auswandern, verkneift sich zumindest Waldpilze – bis heute. Das geht selbst der Regierung unter Helmut Kohl nicht anders, sie gründet das erste Bundesumweltministerium. Auch eine Reaktion auf die vielen neuen Freunde Gottes freier Natur unter den christlichen Wählern. Ökologie ist etabliert. Man arbeitet mit Erfolg, und – was viel wichtiger ist, jedoch kaum bemerkt wird – man heilt den deutschen Familienzustand. Über den Nationalsozialismus entfernten sich die Generationen voneinander, über den Naturschutz findet man wieder zueinander.

Ökologie ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr links, ist es genaugenommen nie gewesen. Sie ist vielmehr Ausdruck einer spezifisch deutschen Gemengelage. Ausdruck deutscher Fortschrittsangst etwa. Früher war alles besser? Das hätte auch Großvater sagen können. Ausdruck deutscher Romantik auch. Bewahren der Schöpfung? Da kann auch Vater nicht nein sagen. Ökologie goes Konsens, wird gründlich entideologisiert. Wenn selbst Helmut Kohl auf Klimakonferenzen fährt, kann niemand mehr ernsthaft gegen die Natur sein. Das große Ganze scheint geklärt. Die Ökologiebewegung – eine Erfolgsgeschichte. Was nun beginnt, sind die Mühen der Details. Die Konservativen wollen Atomstrom für den Schutz des Klimas. Die Grünen wollen keinen Atomstrom für den Schutz der Erde. Die Sozialdemokraten wollen eigentlich Arbeitsplätze, gern auch umweltverträglich, aber nicht zu teuer bitte. Und die Bürger sind bereit, für den Schutz von Bambi und Wachtelkönig und für ihren Seelenfrieden eifrig zu spenden. Aber für den Klimaschutz aufs Auto verzichten? Nein Danke!

Mit diesen Widersprüchlichkeiten schlägt sich die Umweltszene herum, als der Konkurs der Sowjetunion Deutschland zur Wiedervereinigung verhilft. Nun ist erst einmal Schluß mit Ökoluxus. Jetzt wird wieder aufgebaut. Phasen der Restauration taugen nicht für naturnahen Schnickschnack. „Der deutsche Einigungsprozeß“, trauert 1990 der Grüne Hubert Kleinert, „hat uns das Wahlthema Ökologie total verhagelt.“ Man setzt wieder auf Arbeit, Arbeit, Arbeit.

Ökologie gehört natürlich weiter zum staatlichen Unterhaltungsprogramm. Aber es wird für die Glaubensbrüder immer schwieriger, ihre Vorstellungen von Umweltschutz durchzusetzen. Zumal man sich untereinander nicht grün ist. Wer einen Nationalpark mit Betretungsverbot will, kann kein Biosphärenreservat mit nachhaltiger Bewirtschaftung wollen. Wer Windkraftanlagen will, um den Klima-GAU zu verhindern, kann sich nicht auf den Deich stellen und das Vogelsterben durch Windmühlenflügel anprangern.

All diese Auseinandersetzungen innerhalb der ökologischen Gemeinschaft zeigen eines: Stets geht es um den rechten Glauben. Und damit um die alles entscheidene Frage: Was ist das Paradies? Die unberührte Wildnis? Oder der wohlgehegte Garten? Bei soviel Scholastik wenden sich die Jungen angeödet ab. Ende der Neunziger wird Cola wieder aus der Dose getrunken. Trennen? Wozu? Wird ja doch nicht recycelt.

Uta Andresen, 29, Reportage-Redakteurin der taz, wählt grün, seit sie darf