Geheimnummern  ■   Von Fanny Müller

Geheimnummern sind ja an sich nichts Neues. In meinem Elternhaus auf dem Dorfe gab es einen Raum, Büro genannt, in dem ein sehr alter Geldschrank stand, weil mein Großvater und meine Mutter sich ein Zubrot als sogenannte Leiter einer sogenannten Nebenzweigstelle der Sparkasse verdienten. Das bedeutete, daß die Bauern ab morgens um sieben und noch lange nach 20 Uhr klingelten und „einen Scheck auslösen“ oder „für 50 Mark Geld“ haben wollten.

Der Geldschrank hatte ein Kombinationsschloß, das immer wieder häusliche Debatten auslöste, weil Großvater Spaß daran hatte, neue Zahlen einzugeben, sie aber gleich wieder vergaß. Obwohl sich die ganze Familie am Raten beteiligte, kriegten wir die richtigen Nummern selten raus. Schließlich ging meine Mutter dazu über, das Geld unter ihrem Bett in einem Schuhkarton mit der Aufschrift „alte Strümpfe“ aufzubewahren, um so potentielle Einbrecher zu überlisten.

Jahre später eroberten Kombinationsschlösser dann auch kleinere Geräte, die „Diplomatenkoffer“ genannt wurden und bei Schülern sehr beliebt waren als Ersatz für ihre Schultaschen. Diesen jungen Menschen ging es nicht anders als meinem Großvater, und so mußten sie häufig auf ihre Pausenbrote und Mickymaus-Heftchen verzichten, die überwiegend den einzigen und schwer geschützten Inhalt dieser Koffer bildeten.

Dann kam die Zeit, als Geheimnummern, die aber Personal Identity Number heißen, und Paßwörter die abendländische Welt eroberten. Du lieber Himmel! Ich kann ja noch nicht einmal meine eigene Telefonnummer behalten! In der Bank wurde mir eingeschärft, daß ich meine PI-Nummer auf keinen Fall irgendwo aufschreiben dürfe, was ich aber glücklicherweise doch getan habe, denn die Methode, wie ich sie für alle Zeiten auswendig lernen kann, war doch nicht so idiotensicher, wie ich es mir vorgestellt hatte. Von den vier Ziffern hatte ich mir die ersten beiden gemerkt, weil sie meinem gefühlten Alter abzüglich sieben entsprachen. Sieben ist meine Glückszahl. Oder war es die Fünf? – Eine Woche später konnte ich mich nicht mehr daran erinnern. Ich wußte nur noch, daß die dritte Ziffer auf jeden Fall sechs war. Oder acht. Die vierte entsprach der Anzahl meiner Liebhaber (Entschuldigung). Oder war das die dritte und vierte zusammengezählt? Eine Liste aufzustellen half auch nicht weiter. Man kann sich ja nicht jeden merken. Nachdem ich mich am Bankautomaten an drei falsche Geheimzahlen erinnert hatte und schon ein Polizeiwagen um die Ecke kam, sauste ich schnell ins Büro, wo die Nummer in meinem PC gespeichert ist. Die Kollegen hatten schon nachgefragt – wir sind vernetzt –, was denn die Datei mit dem Titel „Gehnrfm“ beinhalte. Reingucken konnten sie nicht, weil sie mein Paßwort nicht wußten. Da ging es ihnen wie mir. Hatte ich nicht den Namen des Hundes von Dings, meiner Schulfreundin, wie hieß sie noch mal, gewählt, und wie hieß bloß dieser blöde Hund ... also, den könnte ich genau beschreiben, der stank doch wie die Pest, und schielen tat er auch ...

Auf jeden Fall, das können Sie sich ja denken, bin ich heute eine Verfechterin der Fingerabdruckerkennung. Noch besser: Handabdruck. Da gibt es nur eine Möglichkeit, sich zu vertun, nicht neun.