Gelddruckmaschine der Kunst

■ Top-secret! Nach Bilbao plant auch Lyon ein Guggenheim-Museum. Das Projekt soll die Stadt zwei Milliarden Franc kosten, doch der kulturelle Nutzen für die Region steht dahin

Lyon will sich ein Guggenheim-Museum kaufen. So eines wie in Bilbao. Nur doppelt so groß soll es sein. Doppelt so teuer übrigens auch. Bürgermeister Raymond Barre möchte mit dem Milliardenprojekt endlich den Durchbruch schaffen: Lyon soll in der Europaliga der Kunstmetropolen mitspielen, dort wo die Touristenströme nicht mehr nach Zehn-, sondern nach Hunderttausenden gemessen werden.

Der Name Guggenheim steht für eine der weltbesten und weltgrößten Sammlungen moderner Kunst. Er schmückt Museen in New York, Venedig, Bilbao und Berlin. Guggenheim! Der Name gilt aber auch immer mehr Kritikern als Inbegriff einer beschleunigten Kommerzialisierung des internationalen Kunstbetriebes. Nun könnte der Name Guggenheim bald Einzug halten in Lyon.

Top-secret! Darauf hatte der Mann aus New York bestanden. Discrétion absolue! Der Bürgermeister von Lyon gab sein Ehrenwort: Das Projekt werde als Geheimsache behandelt. Monatelang hielt das transatlantische Bündnis der Verschwiegenheit. Am vergangenen Montag fand das vorentscheidende Treffen statt, getarnt als harmloses Mittagessen im feudalen Rathauspalast von Lyon. Bürgermeister Barre hatte nur den allerengsten Beraterzirkel eingeladen. In der geheimen Tafelrunde fiel ein neues Gesicht auf: Thomas Krens ist seit gut zehn Jahren Direktor der Stiftung Guggenheim.

Der Grund für die Geheimniskrämerei: Es geht um zwei Milliarden Francs. Nebenbei geht es natürlich auch um moderne Kunst, aber ausschlaggebend für das Versteckspiel war das Schöngeistige nicht. Die Finanzen sollen in bewährter Guggenheim-Manier geregelt werden: Die zwei Milliarden Franc zahlen Stadt, Département und Region – Guggenheim gibt seinen guten Namen. 1,5 Milliarden Francs soll der Museumsbau kosten, 420 Millionen Franc sind für den Aufkauf von Bildern der Guggenheim-Sammlung geplant, und 180 Millionen Francs rechnet man als „Eintrittsgeld“ – soviel kostet die Aufnahme in den exklusiven Ring der Guggenheim-Museen. Die Mitgliedschaft im „Club“ ermöglicht den leihweisen Zugriff auf Plastiken, Gemälde und Wanderkonferenzen der Stiftung. Doch selbst für eine so reiche Stadt wie Lyon wären zwei Milliarden Franc eine hohe Summe. Im Herbst soll die Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben werden. Dann erst wird alles offiziell.

Seiner geheimen Tafelrunde im Rathauspalais hat der Strippenzieher und Kassenwart in diesem globalen Kunst-Monopoly, Bürgermeister Barre, vorab schon einmal folgendes vorgerechnet: Der Name Guggenheim dürfte jährlich bis zu 1,3 Millionen Touristen nach Lyon locken. 1,9 Milliarden Franc würden die Kunstpilger im Land lassen; Jahr für Jahr, so denn die Rechnung aufgeht ... Die Investitionskosten wären im Handumdrehen wieder reingeholt. Guggenheim – eine Gelddruckmaschine? In Lyon herrscht Goldgräberstimmung.

Auch einen Standort für den Museumsneubau haben die Eingeweihten bereits in petto: den „confluent“, wo Saône und Rhône zusammenfließen. Ob mit, ob ohne Guggenheim – die 150 Hektar große Halbinsel wird auf jeden Fall runderneuert: Die Autobahn Paris – Marseille soll unter dem Fluß verschwinden, Lyon wieder ein bewohnbares Flanierzentrum bekommen. Ob der „confluent“ zur Museumshalbinsel umgebaut wird, darüber entscheiden Stadtrat und Regionalregierung allerdings erst im kommenden Jahrtausend.

Kaum sickerten erste Gerüchte über das Geheimprojekt durch, meldete sich der Neogaullist Henry Chabert – im Rathaus zuständig für die Stadtplanung – mit einer Frage zu Wort, an der sich in den kommenden Monaten der Lyoner Kulturstreit entzünden dürfte: „Wird das ein kulturell verbrämtes Disneyland – oder eine Lokomotive, die künstlerisches, sprich innovatives Schaffen hinter sich herzieht?“ Der Einwand des potentiellen Barre-Nachfolgers im Bürgermeisteramt hat seine Berechtigung: Das profilierte und im Rahmen des finanziell Machbaren durchaus avantgardistische Lyoner „Museum für zeitgenössische Kunst“ beispielsweise wird seit Jahr und Tag derart knapp gehalten, daß es vier Monate im Jahr schließen muß. Und die zweitgrößte Kunstsammlung Frankreichs, das „Musée des Beaux-Arts“, schafft es nicht einmal, jene drei bis vier Millionen Franc zusammenzukratzen, um jährlich eine große Kunstausstellung zu organisieren. Hans von der Brelie