Historischer Flickenteppich

Auf Malta setzt sich nicht nur die Sprache aus phönizischen, arabischen und lateinischen Einflüßen zusammen, auch die Geschichte ist buntscheckig    ■ Von Thomas Pampuch

Eine der hübschesten Formen der mit menschlicher wie steinerner Architektur verschwenderisch ausgestatteten Insel Malta ist die „Sleeping Lady.“ Zu besichtigen ist sie im Archäologischen Museum der Hauptstadt Valletta. Kein Reiseführer, der nicht angesichts dieser kleine dicken Dame aus Terrakotta ins Schwärmen gerät. Seit der Entdeckung des Hypogäums im Jahre 1902 haben die ausladenden und doch eleganten Formen der Lady aus diesem unterirdischen Tempel die Phantasie angeregt. Göttin? Venus? Priesterin? Magna Mater? Von Trance und Traumschlaf ist die Rede, von Fruchtbarkeit, Weissagung und Heilschlaf. Und der neue Malta-Polyglott vemutet angesichts der so süß ruhenden Ahnfrau von Obelix im Hypogäum gar ein frühes Zentrum der fröhlichen „Hierogamie“ – der „heiligen Vereinigung von Priester und Priesterin“. Rätsel über Rätsel.

Wer auch nur Spuren historischer Neugier besitzt, dem wird Malta zum ständigen Kitzel. Wo sonst auf der Welt blicken 7.000 Jahre Geschichte so gedrängt und pittoresk auf den staunenden Reisenden? Vom steinzeitlichen Matriarchat gleich neben Höhlen, die schon von Homer beschrieben wurden, Orte, die in der Bibel erwähnt sind, gleich neben römischen, arabischen und normannischen Baudenkmälern – und das alles versammelt auf einer Fläche, die etwa der des Großraums Münches entspricht.

Nicht zu reden von den wuchtigen Forts und Zitadellen der Johanniter und einem der anmutigsten Naturhäfen der Welt, der Schauplatz einiger der wildesten Schlachten der Neuzeit war. Nein, wer in Malta, dieser „ewigen Hure des Mittelmeers“, nicht den Atem der Geschichte verspürt, dem ist nicht zu helfen. Sicher, nicht alles auf Malta ist harte Geschichte – doch sind nicht Legenden das Salz jeder historischen Suppe? Wer will schon genau wissen, ob Petrus nun wirklich in der Grotte von Rabat nächtigte? Und ob das liebliche Gozo, die nördliche kleine Schwester von Malta, tatsächlich jenes Ogygia Homers ist, wo er auf die Nymphe Kalypso traf? Ungeklärt ist auch die die Funktion jener merkwürdigen „car ruts“ (Karrenspuren) die bis etwa 1000 vor Christus die gesamte Insel gleich einem Schienennetz durchzogen. Doch um so staunender steht man deshalb in „Clapham Junction“, und schaut auf ein in den Fels gehauenes Jahrtausende altes Weichensystem.

Was immer Kalypso oder sonstige Halbgöttinnen da transportieren ließen, es hat Spuren hinterlassen, und man hört förmlich das Ächzen bronzezeitlicher Beschäftigter eines öffentlichen Nahverkehrs, wenn man in die tief ausgefurchten Rillen blickt.

Malta – ein historischer Erlebnispark in Blau und Ocker, Steine und Steinbrüche, wohin man blickt. Es ist, als hätten die Malteser in der ihnen ausreichend zur Verfügung stehenden Zeit die eine Hälfte der Insel ausgehöhlt, um auf der anderen Hälfte den weichen, leicht zu bearbeitenden Kalkstein in anmutigen oder auch wuchtigen Formen neu zu ordnen. Von den frühen Tempelbauten der Jungsteinzeit, den ältesten freistehenden Megalithanordnungen der Geschichte, über die riesigen Festungsanlagen des Mittelalters und der frühen Neuzeit bis zu den enormen Kuppelkirchen, die bis in unser Jahrhundert hinein errichtet wurden, scheint es das Hauptanliegen der Menschen auf diesen drei Inselchen gewesen zu sein, Steine zu behauen und aufzutürmen. Ein Wunder, daß sie dabei noch die Zeit fanden, eine höchst interessante und sperrige Sprache zu entwickeln, die das Aufspüren ihrer Baudenkmäler auch zu einem linguistischen Erlebnis werden läßt: Ggantija bei Xaghra, Hagar Qim, Marsaxlokk, Xewkija wollen nicht nur besucht, sondern erst einmal ausgeprochen sein. Ghawdex (das h wird durchgestrichen) fristet wohl deshalb bis heute in so friedliches Dasein, weil kein fremdländischer Sterblicher je auf die Idee käme, nach „au:desch“ zu fragen. Gleichwohl sind die Malteser zu Recht stolz auf ihr „Malti“, das auf das Phönizische zurückgehen soll, gemischt mit semitischen, lateinischen, arabischen, italienischen und englischen Vokabeln.

Ein maltesisches Wort sollte sich jeder Reisende einprägen, auch wenn er gemeinhin mit Englisch gut durch die Inseln kommt: „Hobz biz-zeijt“ (die Punkte auf dem z lassen wir weg) ist eine kulinarische Köstlichkeit, die in den nichttouristischen Kneipen meistens kostenlos zum Bier gereicht wird. Das leckere maltesische Brot, mit Tomaten und Olivenöl eingerieben und mit Kapern oder Thunfisch und Zwiebeln garniert, ist vermutlich ein letztes heroisches Bollwerk gegen die McDonaldisierung der ohnehin durch über 150 Jahre britische Vorherrschaft schwer angeschlagenen maltesischen Küche. Wer es süß mag, sollte auch die Dattelteigtaschen „Imqaret“ naschen, sofern er in der Lage ist, sie korrekt zu verlangen (nach unserer maltesischen Gewährsfrau sollte man es mit „ima“ versuchen und dazu einige arabische Knacklaute mixen).

Neben ihrer Sprache und Kost haben die Briten auf den Inseln vor allem ihre Liebe zu Blechmusik hinterlassen, was sich in unzähligen „Brassbands“ niederschlägt, die sich mehr oder weniger harmonisch in die „Festas“ einfügen, die in jedem Ort mit allerlei Feuerwerk und katholischem Gepränge zu den fröhlichen Abwechslungen auf Malta gehören.

Wer in Senglea, einem der schönsten Flecken des gesamten Archipels, einen Sonnenuntergang am Grand Harbour erleben will, sollte nicht versäumen, beim „Queen's Own Band Club“ vorbeizuschauen, einem ehrwürdigen, über hundert Jahre alten Club- und Caféhaus, in dem nicht nur feines Hobz (Brot) gereicht wird, sondern auch interessante Einblicke in das maltesische Vereinsleben gewonnen werden können. Der liebenswerte alte „Treasurer“ des Clubs versichert, daß man neuerdings sogar Frauen aufnehme – „zum Putzen und Aufräumen“, wie er ohne jede Scham erläuterte. Ein erster vorsichtiger Schritt bei der Wiedererrichtung des maltesischen Matriarchats?

Überhaupt Senglea. Malta ohne die „Three cities“(zu denen Senglea gehört), das wäre wie Venedig ohne San Marco. Ein Abend am Dockyard Creek, der sich malerisch zwischen die drei historischen Städtchen Vittoriosa (Birgu), Senglea und Cospicua schmiegt, gehört zum Friedvollsten und Aufregendsten, das man in Malta erleben kann. Man nehme einen der besseren Reiseführer, setze sich an die hübsche Hafenmole und lese die Geschichte der „Grand Siege“, der großen Belagerung von 1565, nach, und sei es nur, um zu begreifen, warum auf dieser Insel so viele dicke Mauern stehen.

Hier, zwischen Fort St. Angelo und Fort St. Michael, ist der rechte Ort, um sich mit dem Phänomen der Johanniter auseinanderzusetzen, jenem alten Kreuzritterorden, den die Türken, nachdem sie ihn zuvor schon aus Rhodos und Zypern vertrieben hatten, in diesem Entscheidungsjahr auch von der dritten Mittelmeerinsel pusten wollten. Gerade mal 35 Jahre zuvor waren die heimatlos gewordenen Ritter von Karl V. auf ewig mit Malta belehnt worden (zum Spottpreis eines jährlich zu liefernden „Malteser Falken“). Sie hatten sich in Birgu verschanzt, wohl wissend, daß der gealterte Süleyman der Prächtige seine Großherzigkeit von Rhodos (als er sie ehrenvoll abziehen ließ) bereute. Doch seine über 30.000 Krummsäbel holten sich bei der Belagerung mehr als nur eine blutige Nase. Nicht zuletzt mit Hilfe der einheimischen MalteserInnen wurden die Türken zurückgeschlagen, und der europaweit zur Legende gewordene Orden konnte sich trotz seiner eher anachronistischen Strukturen für weitere 200 Jahre auf dem Eiland einrichten. Fürderhin galt Malta als „Schild Europas“.

Was die blaublütigen „Knights of St. John“ in den Jahrhunderten nach dem großen Schlachten trieben, auch das läßt sich von Senglea oder Vittoriosa gut überblicken. Sie errichteten auf der Halbinsel gegenüber eine Stadt, die sie derart mit Mauern und Bastionen umgürteten, daß schon ihr Anblick dazu geeignet war, Piraten und Invasoren abzuschrecken: die Hauptstadt. Valletta, benannt nach dem greisen Großmeister des Ordens, Jean Parisot de La Valette, dem Helden der Abwehrschlacht. Die ihm folgenden 22 Großmeister setzten das nicht unbeträchtliche Vermögen des Ordens (und oft auch ihr eigenes) ein, um aus der Stadt ein wehrhaftes mediterranes Schmuckstück zu machen: ein dick gepolstertes Renaissance-Manhattan, derart vollgestopft mit Kunst, Kanonen und Kirchen daß es sich allemal lohnt, ein paar Tage darin herumzuwandern. Bewunderung und Respekt muß dabei der Aufbauleistung der Malteser gezollt werden, die sich auch von der zweiten „Großen Belagerung“ während des Zweiten Weltkrieges nicht kleinkriegen ließen. Deutsche und italienische Bomber, E- und U-boote haben Valletta zwischen 1940 und 1943 fürchterlich zugerichtet. 85Prozent der Häuser wurden zerstört, doch die Insel hat durchgehalten und wie einst die Türken auch die Faschisten auflaufen lassen. Nur die Ruine der alten Oper an der Republic Street kündet heute noch von den dramatischen Tagen des „unsinkbaren Flugzeugträgers“ Malta. Der Rest der Stadt mit seinen alten Herbergen, seinem Großmeisterpalast, der Sacra Infirmeria, dem größten (und besten) Hospital der frühen Neuzeit, und der ehrfurchtgebietenden Kathedrale steht wieder in altem Glanz und alter Schönheit, geduldig die täglichen Invasionen kulturbeflissener Touristen erduldend.

Wer auch nur Spuren historischer Neugier besitzt, dem wird Malta mit 7.000 Jahren Geschichte zum ständigen Kitzel