The Big Puschel Business

In Berlin wedeln am heutigen Samstag Cheerleaderteams aus ganz Europa um die europäische Pomponkrone. Die klaren Favoriten, die Blue Angels aus Hamburg, räumen bereits seit Jahren bei jedem Wettbewerb die Titel ab, winken in deutschen Rap-Videos und haben schon so eindrucksvolle Talente wie Blümchen hervorgebracht. Ein Besuch bei der Showtruppe, die mit dem Showbusiness nichts zu tun haben will. Von Christian Haase

Showtime: Über das Hamburger Volksparkstadion zischen Feuerwerksraketen. Schwefelrauch weht in den aufgeblasenen Plastiktunnel am Stadionrand, in dem die Cheerleader und Footballer der Hamburg Blue Devils auf den Spielbeginn lauern. Rhythmisch stampft und klatscht die Menge. „We are the champions“, rufen die Zuschauer, bevor die Gegner überhaupt besiegt sind. Im Tunnel zuppeln die Cheerleader, die Blue Angels, an ihren blau-weißen Kostümchen, giggeln und fingern am Make-up herum. Die Defence players der Devils grunzen, schlagen sich auf die Helme und überprüfen die schwarze Kriegsbemalung.

Showtime. Für diesen Augenblick trainieren sie fünfmal die Woche, ohne einen Pfennig zu sehen, aber das ist es ihnen wert: „Wenn draußen die Fans nach dir schreien, dann ist das Gänsehaut pur“, sagt eine Cheerleaderin. „Los“, brüllt einer, und dann spurten sie in die Arena: Die Blue Devils, um dick gepolstert, Yard um Yard, ein Ei zum Touch-down zu tragen, die Girls und Boys der Blue Angels, um zu wedeln, zu winken und zu cheeren. Aber vor allem um zu lächeln, zu lächeln und noch einmal zu lächeln. Als sie beim Einlauf anfangen zu smilen, erinnert es an die amerikanischen Zahnpastawerbung, in der eine Frau sagt: „Seit ich Super-white nehme, bin ich so optimistisch.“

Während die Blue Angels die Pompoms schwingen und in Formation rennen, nestelt die Managerin der Cheerleadertruppe am Spielfeldrand am Head-set-Mikro, ständig klingelt das Handy, in dem ganzen Lärm läßt sich schwer telefonieren. Wo ist das Pressemeeting? Warum läuft der Sponsorenfilm nicht richtig? Was macht das Radiogewinnspiel ?

Cheerleading und Football, das ist für Britta Friedrich mehr als ein „Burger mit Fleisch“, wie sie einem Reporter diktiert. Cheerleading ist Busineß. Das hat sie in Amerika gelernt, in Los Angeles, ganz nah bei Hollywood, von wo sie auch ihre Lieblingswörter „professionell“, „entertainment business“ und „talent spotting“ mitgebracht hat. In wenigen Jahren hat sie aus den Blue Angels eine Showtruppe geformt, die für ihre Agentur A. B. Glanz im permanenten Einsatz für Medien und Zuschauer unterwegs ist.

„Im Stadion sorgen die Mädchen dafür, daß die Zuschauer sich wohlfühlen“, sagt sie. „Junge Mädchen sind halt attraktiv für die Männer. Das ist doch charming.“ So etwas hört Top flyerin Svetlana Morello von den Blue Angels gar nicht so gern. Cheerleader, sagt sie, das seien keine Tanzgruppen, die die Kerle zum Johlen bringen sollen, das seien keine Nummerngirls, Hupfdolen oder Betthupferl. Alles nur Vorurteile. – Cheerleader, das seien Hochleistungssportler, härter im Nehmen als Footballspieler. Die immer fleißig trainierten, aus ihrem Herzen lächelten und eine glückliche Familie bildeten. Eine anständige Sportart aus Amerika, die es dummerweise in die rüpelhafte Show- und Gladiatorenarena des American Football verschlagen habe.

Kick-off. Das Spiel beginnt. Großes Gebrüll. Ein einziges Hin und Her, Takkeln und Taktieren. Dann paßt der Quarterback der Blue Devils das Ei auf einen Running-back, der an die Zehnyardlinie gespurtet ist. Er berührt das Leder, es flutscht ihm aber aus den Fingern. „Incomplete pass“, dröhnt es aus dem Stadionlautsprecher. Spielunterbrechung. Offence und Defence wechseln. Es gibt kaum ein Spiel auf der Welt, das so oft unterbrochen wird wie American Football.

Damit es nicht langweilig wird, sind die Cheerleader engagiert. Die 24 Blue Angels klettern in eine zirkusreife Pyramide. Tiri, Stephan und weitere sechs Cheerleader-boys stemmen 16 Mädchen in die Höhe. Ganz oben thront Svetlana. „Dafür gehe ich dreimal die Woche ins Fitneßstudio“, sagt Stephan, einer der ersten männlichen Cheerleader Deutschlands. „Früher haben mich Freunde oft für ein Weichei gehalten, aber seit sie sehen, was wir hier leisten, ist das anders.“ Der gute Ruf ist den Blue Angels heilig. Eine Frage der Ehre, daß sie als echte Cheerleader den Collegestil bevorzugen. Collegestil! Das klingt nach dem Sport höherer hanseatischer Töchter, nach Gymnastikübungen des Intelligenzadels, ist aber der starken amerikanischen College Footballiga entlehnt. „College Cheerleading, das ist wirklicher Sport“, sagt Svetlana. „Die Teams mit den ganz knappen Kostümen und den großen Oberweiten, das sind keine Cheerleader. Die wackeln in der World League und der North American Football League herum und dann denken die Leute, daß alle Cheerleader so doof sind. Wir hampeln nicht, sondern turnen.“

Die Höchstleistungs der Blue Angels sind Pyramiden und vor allem Stunts. Dabei werden die Flyer nach oben gestemmt und spreizen Beine und Arme zu einer verwirrenden Vielfalt von Figuren: Awesome, Liberty, Heel-stretch, Arabesque, Extension, Scorpion, Needle. Selbstverständlich alles amerikanische Namen. Denn dort trainieren die Champions der Champions, die Super-Cheerleader.

Damit auch die dreißig Hamburger Schülerinnen, Reisekauffrauen, Architekturstudentinnen und Grafikdesigner der Blue Angels so richtig american-style-mäßig „professionell“ daherkommen, hat Managerin Friedrich zwei amerikanische Coaches einfliegen lassen. Vince und Peter. Sie nennen sich gern „Entwicklungshelfer“. „Die Deutschen lernen unheimlich schnell“, sagt Vince. „Nur beim Tumbling hapert es noch“. Tumbling, das sind Flickflacks und Saltos aus dem Stand.

Entwicklungshilfe gibt es auch bei den Cheers, den Schlachtgesängen, die den Showtruppen einst zu ihrem Namen verhalfen. In Amerika werden manchmal mehrere Sätze gerufen. „Das ist aber für die Deutschen zu kompliziert“, sagt Cheerleader Stephan. Deshalb beschränke man sich eher auf Rufe wie: „Offence, offence!“ oder: „Defence, defence!“ „Und wenn die Fans mitgröhlen, kann die gegnerische Defence ihre Ansagen nicht hören, wird konfus und verliert fünf Yards.“

Doch trotz der sportlichen Leistung und taktischen Winkelzüge aus Amerika goutiert das Publikum im Hamburger Volksparkstadion eher die schlichten Bewegungen der Blue Angels wie Powackeln und das Hochheben der Rockfalten. „Sehr schön, sehr schön“, johlt einer der bierseeligen Fans. „Hauptsache, die sind älter als vierzehn.“

Die einfachen, aber einträglichen Reiz-Reaktionsschemata des Publikums sind Managerin Friedrich natürlich nicht entgangen. Deshalb sucht sie gerade noch ein Danceteam zusammen, „falsche“ Cheerleader in knappen Kostümen für die Show.

„Show, Show, Show. Ich kann es nicht mehr hören“, beschwert sich Stephan der männliche Katapult, der die leichten Flyergirls stundenlang in die Luft schleudert. „Hier dreht sich doch alles um Geld, Management und Ticketverkäufe“, sagt ein anderer Cheerleader. Über fehlende Auftrittsmöglichkeiten können sich die Blue Angels in der Tat nicht beschweren. Neben siebzig Spielen pro Saison haben sie in den vergangenen Jahren noch bei der „Bravo-Super-Show“, bei der „Goldenen eins“, bei „Der Norden lacht“ und in den Musikvideos der Dons, von Fun Factory und Brooklyn Bounce gelächelt und gewinkt.

Schon bei der Auswahl neuer Cheerleader, den sogenannten Try-outs, achten die Managerin und ihre amerikanischen Sekundanten auf Showkompatibilität. „Die müssen nicht nur sportlich tipptopp sein, sondern sich auch präsentieren können. Schließlich ist das ganze hier auch ein Talent spotting“, sagt Friedrich.

Blümchen heißt das größte ihrer Talente, das sie einst bei den Blue Angels „gespottet“ hat. Jetzt ist Blümchen ein Popstar, und ihre Managerin Britta Friedrich dürfte genug Tantiemen kassiert haben, um jeden Verkäufer in den Merchandising-shops der Devils mit den schnieken Head-set-Mikros zu versorgen, die im Stadion ein jeder trägt, der etwas zu melden hat. Wie etwa der große Obermotz der ganzen Veranstaltung, der Präsident des Blue Devils: Axel Gernert. Gernert versucht seit einigen Jahren den deutschen Footballmarkt zu erobern. Erfolgreich. Mit den Blue Devils hat er innerhalb weniger Jahre einen mehrfachen Europa-Champion herangezüchtet.

Natürlich kostet das alles Geld, viel Geld. Und die Big money kommt von Uncle Sam und Uncle Ben. Die meisten Sponsoren sind amerikanische Firmen, ganz vorn ein bekannter Reisproduzent. Weitere Großeinnahmequelle: das Publikum. Und das will was geboten bekommen, womit die Cheerleader ins Spiel kommen.

Die hanseatische Cheerleader-Showmaschine hat inzwischen eine Vorreiterrolle für ganz Europa übernommen. Längst gibt es mehrere tausend Cheerleader in Deutschland. Bei den Try-outs in Hamburg stehen jedes Jahr mehr und mehr Mädchen und Jungen Schlange, um einen Teamplatz zu ergattern. Alle wollen so berühmt werden wie Blümchen.

Auch andere Teams haben inzwischen professionelle amerikanische Trainer eingestellt. Neid und Mißgunst blühen. Der Landessportbund Hamburg hat Cheerleading als einziger Landesverband in Deutschland als eigenständige Sportart anerkannt. In Berlin warten die Cheerleader seit Jahren auf ein solches Schreiben. Und auch bei der Europameisterschaft der Cheerleader, die diesen Samstag in Berlin ausgetragen wird, zittert die Konkurrenz.

Die Blue Angels haben dieses Jahr im Bereich der Mixed Teams alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt: Die deutsche Meisterschaft, die europäische Meisterschaft der National Cheerleader Association aus Amerika, und nun wollen sie auch das „Triple“ schaffen, wie Flyerin Svetlana verspricht. Doch der große Erfolg der Showtruppe, die mit dem Showbusiness nichts zu tun haben will, könnte auch nach hinten losgehen. Denn nichts langweilt das Publikum mehr als ewige Siege. – Dann könnte es den Cheerleadern der Blue Devils ähnlich ergehen wie ihrem Footballteam. „Ich vermute, daß das Management diese Saison ganz bewußt nur mittelmäßige US-Coaches eingekauft hat“, sagt einer der acht Trainer. „Die Blue Devils haben in der vergangenen Saison wegen des vielen amerikanischen Know-hows in der deutschen Liga einfach zuviel gewonnen. Und das ist schlecht für das Geschäft.“

Christian Haase, 26, ist einer der Hamburger Puschel. Autorenzeile kommt noch, ganz verpuschelt.