Kein Schweizer Land in Sicht

Amerikanisches Bundesgericht setzt Verfahren zur Entschädigung von NS-Opfern aus dem Schweizer Bankenfonds in Gang. Kein Vorbild für Deutschland  ■   Von Christian Semler

Berlin (taz) – Zumindest auf dem Gebiet der Entschädigung von Opfern und Geschädigten des NS-Regimes haben die Schweizer Banken die kapitalistische Konkurrenz aus Deutschland zeitlich weit aus dem Feld geschlagen. Eine Einigung zwischen der deutschen Industriestiftung und den Anwälten bzw. Vertretern der Opfer hakt immer noch an der Frage der Rechtssicherheit, sprich: dem Schutz vor mehrfacher Zahlung.

Die Schweizer Banken hatten sich zu einer Globalentschädigung von 1,25 Milliarden Dollar entschlossen, die dazu dient, die Ansprüche von NS-Opfern gegen sie abschließend zu begleichen. Jetzt haben sie vor dem Bundesgericht des New Yorker Distrikts einem Vergleichsverfahren zugestimmt, das in wenigen Monaten den Opfern zur Aufbesserung ihrer Rente verhelfen soll. Auf der gestrigen Pressekonferenz in Berlin stellten die Anwälte Ed Fagan, Robert Swift sowie Deborah Stuhrman von der Kanzlei Milberg und Weiss den Kreis der Anspruchsberechtigten und die nächsten Schritte innerhalb des Vergleichsverfahrens der class action vor.

Dieser Kreis umfaßt Juden, Roma, Sinti, Zeugen Jehovas sowie körperlich und geistig Behinderte. Die Berechtigten müssen Vermögenswerte in der Schweiz hinterlegt haben oder Rechtsforderungen gegen Schweizer Institutionen geltend machen. Eingeschlossen sind auch Zwangsarbeiter, deren Ausbeuter den Ertrag ihrer Arbeit in der Schweiz hinterlegten oder die direkt für Schweizer Firmen schufteten. Schließlich können auch NS-Opfer von dem Fonds profitieren, die seinerzeit vergeblich versuchten, in der Schweiz Zuflucht zu finden. Die Anwälte legten auf die Feststellung Wert, daß die Ansprüche jetzt nicht mehr den Beweishürden unterliegen, die die Schweizer Justiz lange Jahre aufgerichtet hatte.

Von jetzt bis Ende Oktober läuft eine Erklärungsfrist, innerhalb derer sich potentiell Geschädigte melden und ihre Ansprüche auf einem Fragebogen spezifizieren oder aber verbindlich erklären sollen, daß sie sich dem Vergleichsverfahren nicht anschließen wollen. Innerhalb dieser Frist können alle Berechtigten sich auch zu der Frage äußern, ob das Angebot von 1,25 Milliarden Dollar fair ist. Ende November findet dann ein fairness-hearing vor dem New Yorker Gericht statt, und der Vergleich wird endgültig festgeklopft.

Nach diesem Termin wird über den Schlüsel zur Verteilung beraten. Auch hierzu können die Teilnehmer der class action Vorschläge unterbreiten. Als Vermittler hat das Gericht mit Zustimmung aller Parteien den bekannten Anwalt Juda Gribets bestellt, der bis Ende des Jahres seinen Verteilungsplan vorstellen wird. Auch dieser Plan ist offen für Abänderungswünsche der class action-Teilnehmer. Nach Genehmigung des Plans durch das Gericht kann die Verteilung beginnen. In Aussicht genommener Termin: Mai 2000. Unabhängig von dem Bankenfonds läuft schon jetzt die Verteilung aus dem eidgenössischen 200 Millionen-Holocaust-Fonds, der aus Regierungsmitteln gespeist wird.

Wie schon bei der Bonner Pressekonferenz des Büros Milberg und Weiss von letzter Woche wiesen die Anwälte auch gestern darauf hin, daß sie in Entschädigungsfällen dieser Art entweder ohne Honorar arbeiten oder zu Sätzen, die auf jeden Fall das Gericht festlegt. Ed Fagan meinte ergänzend, daß die Zinsen, die die jeweils ausgezahlte Rate aus dem Schweizer Bankenfonds erbringen würde, auf alle Fälle Verwaltungskosten, Spesen und Honorare abdecken würden. Damit käme die Gesamtsumme den Opfern zugute.

Könnte durch ein in der Struktur ähnliches Vergleichsverfahren den deutschen Firmen der Industriestiftung „hinreichende Rechtssicherheit“ gewährt werden? Die Anwälte Weiss und Stuhrman haben letzte Woche den Vorschlag gemacht, die Stiftung in eine class action einzubringen. Deborah Sturman beurteilte gestern die Chancen als minimal, daß dieser Vorschlag für die deutschen Industriellen und Banker akzeptabel sein könnte.