Nicht-Bildung ist weiblich

■ Zwei von drei Kindern, die in der „Dritten Welt“ keine Schule besuchen, sind Mädchen. Die Einschulungsrate sinkt drastisch

Souverän treibt Saoren die drei Wasserbüffel ihrer Familie nach Hause. Eigentlich müßte die Elfjährige aus dem Dorf Kruos im Nordwesten Kambodschas in der Schule sein. Ihre Tochter könne nicht dorthin gehen, erklärt ihr Mutter verlegen – die Familie habe kein Geld. Zwar ist der Schulbesuch in Kambodscha kostenlos, aber der Staat kann die Lehrer nicht bezahlen.

„Ich kann nicht zur Schule gehen, weil meine Eltern sich die Gebühren nicht leisten können. Ich fühle mich sehr schlecht, weil mein Bruder Silas zur Schule geht und ich nicht“, zitiert Oxfam das Mädchen Lorna aus dem Rift Valley in Kenia. In Afrika sind zwei von drei Nicht-Schülern Mädchen. Nach einer Untersuchung der US-Organisation Population Action International besuchen in Südasien, dem subsaharischen Afrika und den arabischen Staaten die Schule 75 Millionen weniger Mädchen als Jungen. Auch in den „entwickelten“ Industrieländern liegt die Schulquote bei Jungen höher als bei Mädchen.

In Nicaragua sinken die Einkommen von 88 Prozent aller Haushalte, seit die Regierung ein vom Währungsfonds verordnetes Strukturanpassungsprogramm durchzieht, sagt Milagros Barahona, die auf Einladung des ostdeutschen Inkota-Netzwerks am Kölner Alternativgipfel teilnahm. Die Einschulungsrate sei auf 48 Prozent gesunken, „vor allem wegen der Gebühren“. In El Salvador habe die Regierung die knappen Mittel im Wahlkampf verpraßt, erzählt Mario Paniagua, ein Partner von Inkota. Darunter hätten am meisten die Gemeinden demobilisierter Guerillakämpfern und zurückgekehrter Flüchtlinge gelitten, weil deren Bewohner der Ex-Guerilla FMLN nahestehen.

In Thailand bringen seit Ausbruch der Asienkrise viele Kinder kein Frühstück mehr mit in die Schule. Ihnen sei es peinlich zuzugeben, daß sie Hunger hätten, berichtet Kemporn Viroonrapun, Direktor der nichtstaatlichen „Stiftung für die Entwicklung des Kindes“. Zudem habe die Regierung die bisherige 50prozentige Subventionierung der Schulspeisung drastisch gekürzt. Die Lehrer berichten von zunehmenden Konzentrationsstörungen aufgrund der mangelnden Ernährung. Andere Kinder bleiben immer öfter der Schule fern, weil sie ihre Familien mit Gelegenheitsjobs unterstützen müssen. Ihre Zahl ist nach Angaben der UN-Arbeitsorganisation seit Beginn der Asienkrise allein in Thailand um 350.000 gestiegen.

In Afrika nimmt derweil die Zahl der Kinderarbeiter, die meist ihren Schulbesuch abbrechen, um eine Million pro Jahr zu. Die Gesamtzahl der arbeitenden Kinder liegt dort derzeit bei fast 90 Millionen. Nur sechs Länder des Kontinents – Botswana, die Kapverden, Malawi, Mauritius, Simbabwe und Südafrika – können auf Einschulungsraten von mindestens 90 Prozent verweisen. Am anderen Ende der Skala hat der seit 1983 anhaltende Bürgerkrieg im Südsudan das Schulsystem laut Unicef völlig zum Erliegen gebracht. Auch in Somalia gehe kaum ein Jugendlicher zwischen 14 und 18 Jahren noch zur Schule. Tansania, nach der Unabhängigkeit noch stolz auf seine kostenlose Grundbildung, mußte unter dem Druck des IWF inzwischen Schulgebühren einführen. Die Lehrerin Mwabugwa: „Als ich in den 70er Jahren begann, hatte ich 45 Schüler in der Klasse. Heute können es 180 oder 200 sein.“ Die Analphabetenzahl steigt in Tansania jährlich um zwei Prozent. thru

Auch in Somalia geht kaum ein Jugendlicher zwischen 14 und 18 Jahren noch zur Schule