■ Die rot-grüne Koalition marschiert in die Neue Mitte
: Der Abschied von der Linken

Nur in der Retrospektive vermag man in den unzusammenhängenden Ereignissen der ersten Monate der rot-grünen Regierung einen tieferen Sinn – manche mögen auch vom Wirken finstrer Mächte sprechen – zu erkennen, welcher sie in eine Richtung führte, die ihren Chef Gerhard Schröder nun von einem Paradigmenwechsel sprechen läßt. Zwar hatte der Bundeskanzler bei diesem Wort nur auf die Konsolidierung des Bundeshaushaltes abgehoben, das Historische an dieser „Entscheidung von historischer Tragweite“ läßt sich jedoch richtig ermessen, wenn man sie einbettet in die Abfolge der Stationen, die den Machtkampf innerhalb der Koalition markieren und an deren vorläufigem Ende das Scheitern der Linken zu konstatieren ist. Von deren Niedergang sind beide Parteien gleichermaßen tangiert. Bei näherem Hinsehen war eigentlich schon am Abend des 27. September klar, daß sowohl der SPD als auch den Grünen ein innerparteilicher Klärungsprozeß ins Haus stand, dessen Tiefenwirkung je nach Gemütslage zwischen den Begriffen Einvernehmen und Abspaltung ausgelotet wurde.

Schon zuvor wurde bei den Grünen um die parteipolitische Positionierung gehadert. Während der linke Flügel den Platz der Partei zwischen SPD und PDS sah, wurde sie von den Realos auf dem verwaisten Feld des Liberalismus verortet. Bei der SPD fand der Konflikt seinen sinnfälligen Ausdruck in der unverbrüchlichen Freundschaft, mit der Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder die Macht am Rhein anstrebten.

Der unheimlich starke Abgang von Oskar Lafontaine markiert die erste große Stufe des Niedergangs der Linken. Mit ihm verschwand der letzte machtvolle Sozialdemokrat, der über ein linkes Gesamtkonzept verfügte, der den Versuch unternahm, der Globalisierung mit Globalsteuerung zu begegnen, der sich „Arbeit und Wohlstand für alle“ auf die Fahne schrieb und dahinter die Truppen für eine nachfrageorientierte Finanzpolitik sammelte. Die Truppen erwiesen sich als zu schwach, um die Auseinandersetzung zu wagen. Daß Lafontaine sich zurückzog, ohne diese Auseinandersetzung wirklich zu führen, wird ihm Schröder ebenso danken, wie es die Parteilinke nachhaltig demoralisierte. Sie hat sich davon bis heute nicht erholt.

Eine ähnlich niederschmetternde Wirkung hatte auf den linken Flügel der Grünen die Auseinandersetzung um den Kosovo-Konflikt. Er war bereits zuvor desillusioniert durch das Scheitern der eigenen Vorstellungen zur doppelten Staatsbürgerschaft und zum Atomausstieg. In der Kriegsfrage versagte dieser Flügel an seinem Unvermögen, eine politische Strategie zu formulieren, die sich in die operative Politik eines Nato-Mitgliedstaates ummünzen ließ. Der gesellschaftliche wie auch der parteiinterne Widerstand gegen die Regierungspolitik blieb eher gering, er konnte sich keinesfalls an dem früherer Protestbewegungen messen lassen. Schwankend zwischen außerparlamentarischer und parlamentarischer Opposition, gespalten in Regierungs- und Basislinke, wird spätestens mit dem Ende des Krieges der Zerfall der ehemals mächtigen Parteiflügel überdeutlich.

Die Grünen befinden sich spätestens seit ihrem Magdeburger Parteitag in einer existentiellen Krise, geprägt durch ein tradiertes Öffentlichkeitsbild, eine überholte Programmatik, uneindeutige Wahlaussagen, schwindende Wählergunst, nachlassende innerparteiliche Mobilisierung. Am sinnfälligsten wird das Dilemma in der Diskrepanz zwischen den hohen Popularitätswerten ihrer Leitfigur Joschka Fischer und ihren niedrigen Wahlergebnissen.

Eine ähnliche Divergenz kennzeichnet die Wertschätzung der SPD und ihres Vorsitzenden. Beider Resonanz hat sich im Laufe der letzten Monate jedoch nach unten angenähert, ebenfalls Ausdruck einer uneindeutigen, mit handwerklichen Fehlern behafteten Politik. Spätestens die Wahl zum Europaparlament machte für beide Regierungsparteien deutlich, wie gering und schwer mobilisierbar das Stammpotential und wie flüchtig die Neue Mitte ist. Während die Linke darauf mit einer stärkeren Ansprache der eigenen Klientel antworten will, machte Schröder durch das gemeinsam mit Tony Blair verfaßte Papier und mehr noch durch die nun eingeleiteten Reformen deutlich, daß er den Dritten Weg zu gehen gedenkt.

Die drastische Reduzierung der Nettokreditaufnahme, die nun beschlossen wurde, ist weit mehr als nur eine Maßnahme zur Haushaltssanierung. Sie verändert in ihren Folgewirkungen über kurz oder lang den Begriff des Sozialstaates, reduziert das System kollektiver Daseinsvorsorge auf die Sicherung der Subsistenz. Der damit ins Werk gesetzte schlanke Staat relativiert ebenso die Vorstellung von Verteilungsgerechtigkeit, wie es soziale Verwerfungen unbeantwortet läßt. Doch Opposition dagegen wird sich allenfalls so lange regen, wie Alternativen als realisierbar gedacht werden können. Dazu fehlt jedoch seit Lafontaines Weggang der politische Protagonist. Die Richtung ist nun vorgegeben, der Linken sind allenfalls Detailsiege bei der ein oder anderen Maßnahme vergönnt. Schröder hat deutlich gemacht, daß er sein Positionspapier als Grundlage einer Programmdiskussion betrachtet. Zugleich hat er zum Angriff auf die Bastionen der linken Tradition innerhalb der SPD geblasen. Er will den Stellenwert der Arbeitsgruppen, der für Arbeitnehmerfragen und der Frauen, wie der Jusos reduzieren. Ähnliche Strukturreformen, die die politischen Gewichte verschieben, stehen spätestens im Herbst auch den Grünen ins Haus. Auch sie werden ihr Programm renovieren.

Der Dritte Weg, den Schröder und Blair gehen wollen, das machen die sprachlichen Girlanden leicht vergessen, mit denen er umrankt wird, ist kein sicherer, kein angenehmer Pfad. Aber er ist letztlich alternativlos. Regieren wird nur, wer die Mitte hinter sich weiß. Die politischen Varianten sind allenfalls die zwischen Mitte-links und Mitte-rechts, wobei die europäische Erfahrung zeigt, daß die politische Provenienz der Parteien sie nicht per se für eine der Varianten favorisiert. Die sozialpolitische Empörung der Union angesichts der Reformen zeigt, wie verkehrt die Parteienwelt manchmal doch sein kann. Die Zeit der großen politischen Lager ist vorbei. Deshalb macht es auch nur noch wenig Sinn, das rot-grüne Projekt im Sinne einer gesellschaftlichen Formation retten zu wollen.

Wofür die Sozialdemokratie gebraucht werde, wenn ihre Programmatik der der FDP gleiche, hat angesichts dieser Aussichten der Sprecher der Linken, Detlev von Larcher, gefragt. Man könnte die Frage leicht auf die Füße stellen: Wozu dann noch die FDP gebraucht werde, doch wäre das eine machtpoltiische Antwort auf ein ethisches Dilemma, auf das Larcher zu Recht hinweist. Die soziale Gerechtigkeit war das zentrale Projekt der Linken, das auch durch den Niedergang des Staatssozialismus nicht desavouiert werden konnte. Indem es strategisch mit den Wirken des Nationalstaates verbunden wurde, ist dieses Projekt vorerst auf der Strecke geblieben. Gleichwohl verweist das auf eine Leerstelle des Konzepts von Blair und Schröder. Sie können nichts Vergleichbares an ethischer Fundierung benennen. Deshalb geraten ihre Thesen in den Ruch des neoliberalen Wirtschaftsegoismus. Die Absage an die überkommene Vorstellung vom Staat als Rundumversorger behält bei aller Fundiertheit einen schalen Beigeschmack, solange sie keine positive Entsprechung in einer Orientierung auf ein zivilgesellschaftliches Projekt findet, das die Teilhabe aller auf seine Fahnen schreibt. Es reicht nicht, das soziale Netz zu beschneiden und dies dann als Trampolin zu verkaufen. Eine Gesellschaft, der die Erwerbsarbeit als Sinn und Zusammenhalt stiftende Größe ausgeht, die durch Individualisierung und Patchwork-Biographien gekennzeichnet ist, verlangt nach neuen Formen der Einbettung des einzelnen. Dazu gehört ebenso eine Grundsicherung wie ein öffentlich unterstützter Beschäftigungssektor, ergänzend zur Erwerbsarbeit. Denn auch wenn das Arbeitsplatzangebot sich wieder über das bestehende Maß ausdehnen läßt, zu jener Größe, die einst auch Grundlage des goldenen sozialdemokratischen Zeitalters war, wird es nicht wieder wachsen. Nicht allein in einer Angebotsorientierung zu verharren, sondern ein solches gesellschaftliches Projekt zu entwickeln wäre Aufgabe genug für eine rot-grüne Koalition, die sich deshalb, schon der guten Tradition wegen, durchaus noch links nennen dürfte. Dieter Rulff

Lafontaines Abgang markiert die erste große Stufe des Niedergangs der Linken

Das soziale Netz zu beschneiden und dies als Trampolin zu verkaufen reicht nicht