Jetzt noch schnell Bibeln verteilen

■ Die nach Hause in das Kovoso eilenden Flüchtlinge lassen die Hilfsorganisationen in Albanien einfach auf ihren Vorräten sitzen

Auf dem Schreibtisch des „Beauftragten der Bundesregierung für humanitäre Hilfe“ in der albanischen Hautpstadt Tirana lag vergangene Woche noch das Fax einer studentischen Hilfsorganisation aus Bamberg mit dem Namen „Teddys für Tetovo“. Mit der Bitte um die Unterstützung ihrer Hilfslieferung für ein Flüchtlingslager. Nur zwei Steinwürfe von diesem Büro entfernt liegt das Hauptquartier des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR, das alle Hilfslieferungen für die Kosovo-Vertriebenen koordinieren soll. Insgesamt 193 Organisationen aus der ganzen Welt sind hier registriert, die von Altkleidern über Joghurt bis zu Teddybären ihre Hilfe anbieten.

Die Bilder der Flüchtlingstrecks, die seit März dieses Jahres über die Bildschirme liefen, lösten nicht nur in Deutschland eine Spendenlawine aus. Neben den großen Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz, Ärzte ohne Grenzen oder der UN-Organisation Welthungerhilfe (WHF) machten sich von überall her auch kleine Vereine und einzelne Gutmenschen in Richtung Albanien auf den Weg. Die Spendenbereitschaft schien grenzenlos: Hunderte von Millionen Mark sind bislang auf Konten der Hilfsorganisationen geflossen, allein der Verein „Cap Anamur“ sammelte für die Flüchtlinge bisher 54 Millionen Mark ein.

Doch viele Köche verderben bekanntlich den Brei: Beim UNHCR war man über die Ankunft immer neuer Lastwagenladungen zuweilen gar nicht erfreut: Mal trafen Milchprodukte mit abgelaufenem Verfallsdatum ein, mal ein Container mit gebrauchter Herrenkleidung ab Größe 52.

Die eilige Rückkehr der Flüchtlinge ins Kosovo stellt nun die Hilfsorganisationen vor neue Probleme. Gerade hatten sie ihre Vorratslager in Albanien gut gefüllt und mit den Vorbereitungen für die Wintermonate begonnen, da laufen ihnen die Menschen weg. Die Warnungen der Hilfsorganisationen, nicht überhastet in vielleicht verminte Dörfer zurückzukehren, verhallen ungehört. Es klingt wie ein Hilferuf, um das mühsam aufgebaute Verteilungssystem in Albanien noch eine Weile über die Runden zu retten.

„Es gibt die verbreitete Angst in Albanien“, gibt Rhexep Alushi vom albanischen Roten Kreuz unumwunden zu, „daß demnächst alle Hilfslieferungen an Albanien vorbei direkt ins Kosovo fließen.“ Im grenznahen Kukäs waren eine Woche nach Öffnung der Grenzen schon drei von fünf Lagern nahezu menschenleer. Irgendwie ziellos kurvte die Armada von Landrovern der Hilfsorganisationen seither durch die Straßen der Stadt.

Eine katholische Organisation nutzte die letzten Tage dazu, noch schnell Bibeln an die vorwiegend muslimischen Flüchtlinge zu verteilen. Die reagierten darauf verärgert und verbrannten sie.

Die Hilfsgüter wieder aus Albanien weg und dorthin zu bringen, wo sie jetzt benötigt werden, schafft schon deshalb Probleme, weil die albanische Regierung sie mit aller Macht im eigenen Land halten will. Schließlich waren die annähernd 500.000 Flüchtlinge die Garantie dafür, daß Millionen von Devisen ins Land flossen. Die Nato baute zudem Straßen und den Flughafen von Tirana aus, für die Bauern waren die Hilfsorganisationen wichtige Abnehmer ihrer Produkte zu Preisen, die sie auf den lokalen Märkten nie erzielt hätten.

Im korrupten Staatssystem haben viele ihre Gewinne mit den Hilfsorganisationen gemacht, von den Zöllnern über die Straßenpolizei bis hin zu den Prefekten, die einen Geldsegen für ihre armen Provinzen erhofften. Im albanischen Korca, wo beispielsweise die deutsche „Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit“ (GTZ), ein Lager für insgeamt 800.000 Mark einrichtete, das mit keinem einzigen Flüchtling belegt wurde, geht jetzt schon der groteske Kampf um die Kostenerstattung los.

Obwohl vergangenen Woche längst klar war, daß kein einziger Flüchtling mehr in Korca ankommen würde, ließen die GTZler alle Zelte abreißen und mit größerem Abstand wieder neu aufbauen, damit das Geisterlager den Brandschutzbestimmungen entsprach: Die Voraussetzung dafür, von der UNHCR vielleicht einen Teil der Kosten wiederzubekommen.

Philipp Maußhardt, Tirana