Das Ohr am Apparat

Schwere Symbolik, schwache Dokumentationen: „video cult/ures“ im ZKM Karlsruhe driftet in der Medienkunst  ■   Von Martin Pesch

Am Anfang schwebt das Fossil. Gleich hinter dem Eingang zur abgedunkelten Ausstellungshalle in Karlsruhe steht man vor dem Gerippe eines geflügelten Urtiers. Das ist nicht gerade das erste, was man von einem Überblick zur aktuellen Videokunst und multimedialen Installationen erwartet. Die Inszenierung der „video cult/ures“ ist Ursula Frohne und Konstanze Thümmel, den beiden Kuratorinnen des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM), zumindest gelungen. Was die inhaltliche Ausrichtung angeht, sind allerdings Zweifel angebracht. Das Urtier-Modell ist Teil der aufwendigen Installation „Noah's Raven“ von Mary Lucier. Es schwebt über einer Sitzbank, um die herum acht Monitore stehen, vier auf Hubwagen, vier auf Baumstümpfen. Die Monitore zeigen fliegende Vögel, Berg- und Urwaldlandschaften oder auch Operationsnarben an menschlichen Körpern. Lucier fährt schweres symbolisches Geschütz auf, um die Verletzlichkeit von Natur und die Abhängigkeit des Menschen von ihr zu thematisieren. Durch die simple Konfrontation von Gegensätzen und die Effekte visualisierter Metaphern wird Bedeutung evoziert – wo der Gehalt von vornherein von der Künstlerin ausbuchstabiert ist.

Da zieht es einen eher zu der Arbeit von Hans Hemmert, die jede Transzendenz ablehnt. Der Künstler ist in einen gelben Latexballon gehüllt und bewegt sich zu einem Drum-'n'-Bass-Stück von Jonny L und dem Dancefloor-Klassiker „Brickhouse“ von den Commodores. Die Musik ist über Kopfhörer zu hören. Wenn man will, sieht man also nur einen nervösen gelben Ball, in dem sich menschliche Extremitäten abzeichnen.

Zwischen hoher Prätention, Gutgemeintem und Schnell-Durchschautem pendelt diese Gruppenshow. Das ist für eine Übersicht mit 20 Künstlern, vornehmlich aus Nordamerika und Westeuropa, wenig. Zu disparat sind die Ansätze, zu undeutlich der kuratorische Zugriff, zumal wenn es darum geht, „wichtige Tendenzen der Videokunst aus den letzten zehn Jahren, die beispielhaft für die globale Bedeutung dieses Mediums in unserer Gegenwartskultur stehen“, zu zeigen.

Video hat den Vorteil, leicht produziert, bearbeitet und präsentiert werden zu können. Das Filmmaterial ist deshalb prädestiniert für einen dokumentierenden Einsatz. In den Arbeiten von Marcel Odenbach und Doug Aitken, die den Blick auf das „Fremde“ (Afrika bzw. Indien) thematisieren, geschieht dies reflexiv. Innerhalb der Ausstellung bleibt es aber beim Blick aus dem Westen – daß Video gerade für Künstler in den sogenannten Entwicklungsländern ein einfach zu handhabendes und schlagkräftiges Medium ihrer Situation ist, bleibt ein blinder Fleck. Dokumentarisch zwar, aber künstlerisch schwach sind Samirs TV-kompatibler Film über Tibeter in der Schweiz und Angela Bowers Videoskizze von Cheerleaders. Das Konzept, die diversen Ansätze im Umgang mit dem Medium zu zeigen, funktioniert nicht, wo die qualitative Diskrepanz zwischen den Arbeiten augenfällig wird. Da hat es selbst Pipilotti Rist leicht, mit ihrer poppig-bunten Bilderreihe zu einer Coverversion von Chris Isaaks Ballade „Wicked Game“ zu überzeugen.

Überzeugend sind einzelne Arbeten immer dann, wenn über das Gezeigte hinaus auch die Reflexion des benutzten Mediums nachvollziehbar wird. Gabriele Leidloff hat in ihrem Film „Moving Visual Object“ Material verwendet, das anläßlich der Beerdigung von Lady Diana weltweit gesendet wurde. Durch die Manipulation von Farben und Abläufen verwandelt sie das Trauerritual in ein Meer von roten und weißen Farbpunkten, die sich auf dem Screen bewegen: der technisch hergestellte Schatten eines aufgeblasenen Medienereignisses.

In Ute Friederike Jürß' Installation stehen neun TV-Apparate in einem Raum verteilt; angebracht auf Säulen, so daß der jeweils zu sehende Hinterkopf eines Erwachsenen auf der Höhe des eigenen Kopfes ist. Leise hört man die Leute ein Kinderlied singen – die Künstlerin bat nach Amerika ausgewanderte Deutsche, sich an eines zu erinnern. Die Lautsprecher sind an den Seiten der Geräte, so daß man Ohr an Ohr mit den Abgebildeten und zugleich neben den Apparaten, also neben den Bildern steht. In dieser Installation („A Cappella Portraits“) glückt die Umsetzung des Nachdenkens über Sehen und Hören, über Individualität und Gemeinschaft, über Repetieren und Erinnern. Und als Zuhörer und Betrachter nimmt man unausweichlich teil an dieser Reflexion.

„video cult/ures“, bis 29. August im ZKM, Museum für Neue Kunst, Karlsruhe