Stille Tage im Milieu

Ein bißchen Sand im Getriebe des schönen, neuen Berlin: Mit „Spielzone“ hat die Berliner Schriftstellerin Tanja Dückers einen Roman über Nischenkulturen in Neukölln und Prenzlauer Berg geschrieben  ■ Von Gerrit Bartels

Tanja Dückers muß gleich zu einer Gesprächsrunde ins Radio, wo sie mit den Kollegen Benjamin Lebert und Ralf Bönt über die junge deutsche Literatur diskutieren soll. In Eile aber scheint sie nicht zu sein, sie möchte sogar, daß das Aufnahmegerät noch einmal angestellt wird. Es ist ihr wichtig, noch etwas zu sagen zu dem Phänomen der jungen Autoren, die bei großen Verlagen gehypt werden. „Das ist ein eigenartiger Versuch des Literaturbetriebs, mit anderen Medien mitzuhalten“, sagt sie und pocht auf die eigene, stetige Entwicklung: „Was ich jetzt schreibe, ist das Resultat von vielen Jahren Arbeit. Ich habe surrealistisch geschrieben, experimentell, Gedichte, in denen ich nur die Namen von Medikamenten aneinandergereiht habe, auch einen Roman, den ich aber besser nicht veröffentlicht sehen möchte. Ich konnte ganz in Ruhe einen Stil finden.“

Seit der Veröffentlichung ihres Debütromans „Spielzone“ aber ist es mit den ruhigen Stunden im Schreibkämmerlein vorbei. Fast ununterbrochen klingelt während des Gesprächs das Telefon, ein Interview und eine Fotosession hat sie an diesem Tag schon hinter sich. Kein Wunder, nur allzu gut passen Buch und die 31jährige, in Schöneberg geborene Autorin in Kategorien wie „Fräuleinwunder“ (Spiegel) und „Hauptstadtliteratur“, und fast so schnell wie sonst nur Romane von Großschriftstellern wie Grass, Walser oder Handke wurde „Spielzone“ dann in den medialen Verwertungskreislauf eingespeist.

Tanja Dückers, die die vergangenen Monate größtenteils in Barcelona verbracht hat (“mir wurde das hier zu entropisch, ich hatte das Gefühl, ich komme in Berlin nicht mehr zum Schreiben“), freut sich zwar über die Aufmerksamkeit, und sie ist auch eine mehr als gute Managerin in eigener Sache. Doch sie legt Wert auf die Tatsache, daß ihre unveröffentlichten Texte für sie „dieselbe Wichtigkeit haben wie meine veröffentlichten“. Wenn sie dann in eine Reihe mit Autorinnen wie Zoe Jenny, Judith Hermann oder Karen Duve gestellt wird, befremdet sie das eher: „Außer, daß wir alle noch relativ jung sind, schreiben wir doch völlig unterschiedliche Sachen in einem völlig anderen Stil.“

Sie selbst habe mittlerweile den Anspruch, „über Dinge zu schreiben, die ich aus meinem eigenen Alltag gut kenne. ,Spielzone' ist eine Art Milieustudie, ein Buch mit soziologischem Anspruch, das stichhaltig sein sollte.“ Ein Buch also, das weniger dem Willen zum Stil als zum Dokument verpflichtet ist, ein Buch über Neukölln und Prenzlauer Berg und die Bewohner zweier Häuser in der Thomasstraße und Sonnenburger Straße, die in immer wieder wechselnden Erzählperspektiven zu Wort kommen. Authentisch korrekt kennt Tanja Dückers beide Bezirke aus eigener Anschauung: Jahrelang hat sie in Neukölln in der Altenbrakerstraße gewohnt, seit 1995 lebt sie gleich um die Ecke von der Sonnenburger Straße, im vierten Stock eines Hinterhauses in der Gaudystraße, mit Nordbalkon und Ofenheizung.

Abseits von touristischen Prenzlauer-Berg-Trampelpfaden wie dem Kollwitzplatz gehört diese Gegend, wie auch Neukölln, zu den eher vergessenen Berlins: Trotz CinemaX und neuen Einkaufspassagen in der Schönhauser Allee ist das neue Berlin hier noch nicht vorgedrungen. Und wie in Neukölln ist das hier auch mit dem sogenannten Szeneleben so eine Sache: Wenn der Aufbau-Verlag auf dem Buchrücken „Spielzone“ großmäulig als „einen rasanten Patchwork-Roman über das Szeneleben in Berlin zwischen Eventhunting, Hipp(!)ness, Überdruß und der Hoffnung auf so etwas Altmodisches wie Liebe“ bezeichnet, spricht Tanja Dückers lieber von den „Nischenkulturen“, die es in dieser Form im heutigen Berlin kaum noch gebe: „Das, was ich beschreibe, ist nicht Bestandteil des neuen Berlin, es hat nichts mit der Bonnisierung zu tun. Es handelt von einer Zeit so zwischen 1993 und 1995, als noch vieles ungeordnet war.“

Ihre Figuren nennt sie dann auch – sie weiß, daß das arg plakativ klingt – „Antihauptstädter“, alles Leute, „die so vor sich hinwurschteln, sich nicht mit Politik und Karriere beschäftigen, sondern nur mit sich, ihrem Körper und ihren Phantasien.“ Doch da mögen Ada und ihre Freunde aus dem Prenzlauer-Berg-Kapitel, „superabgebrüht, supergleichgültig, superbisexuell“ sein und für bestimmte Generationskonstrukte taugen, von wegen H & M-Generation oder Janet Jackson und Busta Rhymes in dem Video zu „What's it gonna be“: Nachhaltiger im Gedächnis bleiben schon eher Neuköllner Figuren wie Rainer und sein Pitbull, die Witwe Rosemarie Minzlin oder der biedere Angestellte der Wasserwerke, der alle Platten von Donna Summer hat und „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ in- und auswendig kennt und ein Pärchen heimlich belauert.

„Ich widerspreche da nicht, ich mag das Neukölln-Kapitel auch lieber“, sagt Tanja Dückers dazu, im zweiten Teil sei es ihr auch mehr um „das Annektieren von Bezirken als Abenteuerspielplätzen gegangen, um diese ignorante Haltung von Leuten, die gar nicht mehr differenzieren können, was wirklich in so einem Bezirk passiert“.

Keine Atempause, Geschichte wird gemacht: „Spielzone“ ist ein Gegenwartsroman, der von anderen Zeiten und Welten kündet, beide schon eine kleine Ewigkeit her. Ein Buch, das noch einmal ein bißchen Sand in das schöne, neue Berlin-Getriebe streut, das noch einmal bestimmte Orte und Leute jenseits von Münchner Mondänitäten und Braunschweiger Langweiligkeiten festhält. Wenn die Saison aber vorüber ist und Berlin wieder eine Runde schicker geworden ist, dann widmet sich auch Tanja Dückers voll und ganz ihren neuen Sachen, „für die ich mindestens 5 Jahre Zeit und Ruhe brauche“: Ein „Projekt“, das sie noch nicht für spruchreif hält, ein Reise-Roman, der in den USA spielt, und eine Erzählung, in der es um ein Mädchen im Westberlin der Vorwendezeit geht.

„Spielzone“. Aufbau-Verlag, 208 S., 34 DM

Tanja Dückers liest heute von 22 – 23 Uhr im Hof des „Atalante“, Richardstr. 112, Neukölln