■ Aus dem Tagebuch von Wam Kat
: Im falschen Krieg

Wam Kat, Friedensaktivist schon im Bosnienkrieg, hat für die Aktion „Balkan Sunflowers“ im Internet Freiwillige gesucht, die den Flüchtlingen aus dem Kosovo helfen wollen. Seit Anfang Mai berichtet er täglich per E-Mail über seine Erfahrungen.

Tirana, 4. Juni: Ich bin mit Procol Harum aufgewacht, mit einem ihrer Hits aus den späten sechziger Jahren. Er kam aus mehreren offenen Fenstern, offenbar hat ihn das Lokalradio gesendet. Sie haben einen ziemlich guten Musikgeschmack hier, vor allem die sechziger Jahre waren heute Morgen dran. Es klingt etwas seltsam zu dem Lärm der Hubschrauber in der Luft, und ich habe das Gefühl, im falschen Krieg zu sein. Abends sagt Ramona, wie verrückt doch die Ruhe in dieser Stadt sei. Nur bellende Hunde sind zu hören und der Baß der Bomber, die darüber hinwegfliegen. So friedlich einerseits, anderseits das Geräusch des Krieges, der schon bald vorbei ist, wie es scheint. Die Zeitungen schreiben, daß Miloevic jetzt jedes Dokument unterschreibt, das Kosovo werde schon bald wieder offen sein. Es ist ein Gerücht, wie es so viele gibt in Kriegszeiten. Man geht von einem zum anderen, will herausfinden, was dahinter steckt, und stellt fest, daß es eben doch nur ein Gerücht ist.

Tirana, 5. Juni: Ich bin früh zur Messe für humanitäre Hilfe in der Markhalle von Tirana gegangen. Früher waren hier ständig Landesprodukte ausgestellt, aber im Laufe der letzten fünf oder sechs Jahre ist das Gebäude ziemlich heruntergekommen. Immerhin haben letzte Woche Maler dafür gesorgt, daß es jetzt von außen etwas besser aussieht. Die Messe ist von der OSZE, der GTZ und dem UNHCR organisiert worden. Ortsansässige Firmen sollen ihr Angebot zeigen, damit nicht jede NGO alles importiert, was sie den Flüchtlingen gibt. Gleich der erste Stand gehört Coca Cola. Bisher habe ich noch kein Lager gesehen, das von Coca Cola finanziert ist. Die Idee, auch hier etwas zu unterstüzten, ist nicht schlecht, aber eine lokale Firma ist das wohl kaum. Auch sonst kamen mir Zweifel, ob Wein, teurer Käse und Luxusbetten wirklich für die humanitäre Hilfe gebraucht werden. Aber man weiß ja nie. In 15 Minuten hatte ich meinen Rundgang absolviert und wäre dabei fast in den albanischen Premierminister hineingerannt. Einer seiner Leibwächter hat mich rechtzeitig zur Seite gerissen, sonst wäre ich wahrscheinlich als Attentäter erschossen worden. Daran sieht man, wie hart die Geheimpolizei vorgeht. Ich hoffe, daß ich den Mann unter anderen Umständen noch einmal treffe, ich möchte wirklich gern wissen, wie man mit 31 Jahren Premierminister wird.

Das Gerücht geht um, daß die serbischen Paramilitärs jetzt das Kosovo leer räumen. Sie wissen, daß sie sich zurückziehen müssen und bringen nun noch alle um, die übriggeblieben sind. So kann vor dem Haager Gericht niemand mehr gegen sie aussagen. Ich hoffe, daß auch das nur ein Gerücht ist. Sicher bin ich nicht, wahnsinnig genug, so etwas zu tun, sind sie schon. Killing Fields im Kosvo ist kein Film, den ich sehen will.

Im übrigen ist es wie immer, wenn ein Krieg vorbei ist. Die Hilfsgruppen, die jetzt mit der Arbeit anfangen könnten, bekommen keine Spenden mehr, weil sich das öffentliche Interesse dem nächsten Krieg zuwendet. Ich erinnere mich gut, in welche Schwierigkeiten die Friedensgruppen in Kroatien und Bosnien nach dem Abkommen von Dayton gerieten. Wir werden sehen, wie es diesmal ist, ob die Welt endlich einmal begreift, daß ein Krieg sehr viel länger dauert, als die Waffen sprechen.

Tirana, 6. Juni: Wir haben Glück heute. Vier Freiwillige sind angekommen, mit einem deutschen Bus, mit vier Stunden Verspätung, aber das sind wir gewohnt. Sie sahen müde aus nach 30 Stunden Fahrt, aber waren voller Geschichten über die Abenteuer, die sie bis hierher überstanden hatten. Einer hat einen Computer und 11 Fußbälle mitgebracht. Wir mieteten ein Taxi für all das Gepäck (alle hatten etwas Besonderes dabei, Spielzeug, Medikamente und Überraschungen, die ich erst in den nächsten Tagen zu sehen bekommen soll). Das Taxi war voll, wir mußten zu Fuß gehen, und ich zeigte ihnen ein wenig die Stadt. Als wir um das Museum bogen, sah ich einen gefährlich aussehenden Konvoi über den Skanderbegplatz fahren. Auf drei kleinen Militärlastwagen saßen Soldaten, das Gewehr im Anschlag. Auch das Maschinengewehr auf dem Dach war nicht verhüllt wie sonst, sondern feuerbereit. Offenbar Nato-Truppen, so modern ist die UÇK nicht ausgerüstet. Von weitem war nicht zu sehen, aus welchem Land sie kamen. Sie hielten an, und ich ging näher heran, um zu schauen, wer diese Verrückten waren. Noch nie zuvor hatte ich eine solche Machtdemonstration gesehen. Ein paar sprangen herunter und marschierten auf die öffentlichen Telefonzellen zu, immer noch das Gewehr im Anschlag. Auch die Soldaten auf den Wagen verhielten sich weiter, als seien sie mitten im Feindesland und könnten jeden Augenblick angegriffen werden.

Es war Sonntag, und der Skanderbegplatz voller Leute. Schließlich konnte ich erkennen, daß die Nato-Soldaten Deutsche waren, die offenbar nur mal telefonieren wollten. Wahrscheinlich waren sie neu in Tirana und kamen aus Makedonien, wenigstens hoffe ich das. Denn das entschuldigte ihr idiotisches Machogehabe. In Makedonien sind die Nato-Truppen nicht beliebt, deswegen müssen sie vielleicht so herumfahren. Hier in Albanien dagegen mögen die Leute die Nato – die meisten jedenfalls. wam@mir.org

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