Ohne Absender

■ Inzwischen singen auch The Residents die Evergreens der Aufklärung

Es begann um 1978 im Mathematikunterricht, wo verhaltensschwache, super-schüchterne Mitschüler in extrem tapetenartigen Pullovern mit sexy Popel drauf in die Unterkante der Schulbänke den Namen The Residents einritzten. Diese Typen sprachen nicht viel, ahnten, was die Stunde geschlagen hatte, trafen sich abends im Hobbykeller beim Salzlettenknacken, Geräuschemachen mit übersteuerten Mikros, Klinkenputzen am Korg MS-20 und diskutierten über das schwache Prickeln der Kohlensäure in einer 1-Liter-Cola.

Das Gesicht der Residents, die beharrlich ihre Anonymität wahrten, bestand für mich immer in denen ihrer Fans, die sich amüsiert wunderten, wie Kritiker dieses ulkige Geschnorchel, das auf Residents-Platten manchmal herrschte, ernsthaft besprechen konnten. Es war ja ein Spaß. Hat das eigentlich keiner gemerkt? Ein Knistern im Saume des Rocks, als er noch hoch im Schwange war.

Die Residents, die so taten, als wären sie eine Gruppe kalifornischer Augäpfel, die ihren kalten Blick aus den Verliesen dieser Welt warfen, haben ihre minutiösen Schluchzer über die Fußnotenlosigkeit der Geschichtsschreibung ohne Absender in die Welt gesendet.

Seit 1970 basteln sie an ihren Platten und erstellten dieser über zwanzig. Alben wie Meet The Residents und The Third Reich n' Roll haben eine Kulturrevolution mitgetragen. Ihre Coverversion von „It's A Man's Man's Man's World“ ist das Ausdrucksstärkste, was die Popmusik aus der Grabkammer der männlichen Seele je gehört hat. Mit der Mole-Trilogie fanden sie eine Möglichkeit, sich auf der Bühne mit einer epochalen Multimedia-Produktion angemessen darzustellen.

Die aktuelle Produktion Wormwood: Curious Stories From The Bible beschäftigt sich mit den dunklen gewaltsäenden Aspekten des Alten Testaments. Das Christentum wird in seiner Blutrünstigkeit und seinem grausamen Fanatismus entlarvt: Geschichten von Inzest, Vergewaltigung und Mord werden hier vertont. Religionskritiker Karlheinz Deschner wird seine Freude daran haben. Im April gelang es christlichen Fundamentalisten, die Shows in Berkeley und Sacramento zu verhindern. Die Residents haben sich nicht erst mit dieser Platte dazu verleiten lassen, „ernsthafte Kulturträger“ zu werden, die ihre Dissonanzen gegen ein paar Evergreens der Aufklärung eingetauscht haben.

Carsten Klook

So, 13. Juni, 20 Uhr, Kampnagel k6