Zwischen den Rillen
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■ Funk-Einheiten aus den Siebzigern in Technoland: Das Archiv hat zugeschlagen, Super Collider haben die Attacke pariert

Das muß ganz schön weh tun. Der Mann stöhnt ja vor Schmerzen. Er preßt mitleiderregende Aaaargh-Laute hervor, als würde er gerade durch eine enge Röhre gepreßt. Dann ist er durch und kann sogleich mit Oberstimme den Refrain des Stücks singen: „I cut the phone.“ In der ersten Minute dieses Albums werden also gleich mehrere Hinweise auf einen Neuanfang gegeben, Geburtskanäle durchkrochen, bislang gültige Verbindungen gekappt. Um andere zu schaffen. Wie man sich neu erfindet – ein beeindruckenderes Beispiel als Super Colliders „Head On“ hat es dafür in den letzten Jahren nicht gegeben.

Früher hätte man Super Collider ein Duo genannt, hier handelt es sich eher um ein Gipfeltreffen zweier Studiobastler und Clubgänger. Jamie Lidell und Cristian Vogel haben in ihrem Studio im südenglischen Badeort Brighton eine Mixtur aus verqueren Technobeats und 70er-Funk kreiert, die weit über das hinausweist, was die beiden Produzenten in den letzten Jahren vorgewiesen haben. Und das ist nicht gerade wenig gewesen. Insbesondere das bisherige Werk des in Chile geborenen Cristian Vogel hat Ausmaße erreicht, die alle, die ihn erst jetzt kennenlernen, beschämen sollten.

Er gilt als Galionsfigur dessen, was man Intelligent Techno nennt. Seine zwar clubtauglichen, aber immer mit experimentellem Touch versehenen Tracks fanden im internationalen 12''-Kosmos große Anerkennung, blieben aber auch Qualitätsware für eine zahlenmäßig kleine Klientel. Auch seine fünf (!) Alben auf den nicht gerade unbedeutenden Labels Mille Plateaux und Tresor sind in seiner britischen Heimat so gut wie unbeachtet geblieben. Wurden sie hierzulande oft zitierte Meilensteine für eine Transzendierung der Clubfunktionalität von Techno, bekam man sie in Großbritannien nur als Import – was zusammen mit dem deutsch klingenden Namen Vogels den Bannfluch der englischen Presse bedeutet.

Daß nach der ersten, im letzten Winter erschienenen Super-Collider-Single „Darn (Cold Way O' Lovin')“ alle großen englischen Lifestyle-Magazine über das Projekt berichteten und daß das jetzt veröffentlichte Album in mehreren Musikmagazinen Platte des Monats wurde, dürfte dem Mann leicht bizarr vorkommen.

Wer auf strikter Independent-Basis einige der wichtigsten Techno-Platten dieses Jahrzehnts gemacht hat, aber jetzt mit der Schubkraft der Promomaschine einer Major-Plattenfirma sein Gesicht für Vierfarbberichte herhalten muß, dem darf es schon mal ein bißchen blümerant werden.

Aber Vogel und Lidell sind alt genug, um zu wissen, was sie taten, als sie beim englischen Sony-Ableger Loaded einen Vertrag über fünf Alben unterschrieben haben. Nach „Head On“ ist schwer vorstellbar, wie sie diesen visionären Wurf noch weiter in die Länge ziehen könnten.

In Jamie Lidell, Eingeweihten bisher unter dem Namen Subhead ein Begriff, hat Vogel einen Partner gefunden, der ihm aus einer kreativen Sackgasse geholfen hat. Der „Synthesizer-Mann“, wie Vogel sich selbst tituliert, lernte durch Lidell die Vorzüge des Harddisc-Recordings kennen. Kreierte er seine bisherigen Platten noch mit den Klangmöglichkeiten von elektronischen Musikmaschinen und nahm seine Tracks live während der Abmischung auf, basiert die Musik von Super Collider auf dem Prinzip des Cut & Paste. Was auf der Festplatte vorhanden ist, steht jederzeit als Element eines Tracks zur Verfügung – die enthierarchisierte Disponibilität der Files im virtuellen Archiv des Computers öffnet der Kreativität von Lidell und Vogel neue Bahnen. Aus Dankbarkeit haben sie ihrem gemeinsamen Projekt dann auch gleich den Namen einer der gebräuchlichen Musiksoftware gegeben.

Interessant wird Super Colliders Musik dadurch, daß der angesprochene technologische Speicher den Griff ins pophistorische Archiv ermöglicht. Techno scheint in diesem Sinn ein immer größeres Selbstbewußtsein zu entwickeln. So ist „Head On“ durchaus in eine Reihe mit Love Inc.s „Life's A Gas“, lbs „Pop Artificielle“ und Albrecht Kunzes „Testarchiv“ zu stellen. Das Verbindende: Auf allen Platten, so unterschiedlich sie sein mögen, wird technofremde Musik im Technokontext thematisiert.

Super Collider bemächtigen sich jetzt eines naheliegenden Vorläufers. Insbesondere durch die Art von Lidells Gesang – gepreßt, verfremdet, Falsett, viele Yeahs – ist man an Sly Stone, George Clinton, den frühen Prince erinnert. Dies bliebe bloßes Ornament, wenn die Musik die Exzentrität dieser Musiker nicht auch widerspiegeln würde. Es lebt hier die für Vogel typische Quirkiness, Soundgewitter entladen sich, Subbässe geistern durch die Arrangements, und es fehlt auch die Schmockgitarre nicht.

Die musikalischen Visisonen, die von den 70er-Funk-Größen evoziert wurden, scheinen jetzt, zwanzig Jahre später, eingelöst zu werden. Und das von zwei Musikern, die einen Großteil ihres Lebens in fensterlosen Studios und vernebelten Technoclubs zugebracht haben. Das Archiv hat zugeschlagen, Super Collider haben die Attacke pariert. Martin Pesch

Super Collider: „Head On“ (Loaded/Sony)