■  Ist der abgelehnte Asylbewerber aus dem Sudan ein Opfer der deutschen Abschiebepraxis? Innenminister Schily will Tote künftig „zu hundert Prozent“ vermeiden. Die Frage ist nur: Wie? Unterdessen will Bayern in einem „ähnlichen Fall“ einen Sudanesen abschieben.
: Warum mußte Aamir Ageeb sterben?

Diese Frage kann auch vier Tage nach dem plötzlichen Tod des Sudanesen, der am Freitag in Begleitung von Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS) mit dem Linienflug LH 558 von Frankfurt über Kairo nach Khartum abgeschoben werden sollte, nicht beantwortet werden. Fest steht nur, daß der 30jährige noch am Leben war, als ihm BGS-Beamte beim Start den mit einem Helm „geschützen“ Kopf nach unten drückten; als sie ihn wieder aufrichteten, war Ageeb tot. Durch die Obduktion in München – dort war die Maschine nach dem Tod von Ageeb gelandet – sei „keine anatomisch eindeutig nachweisbare Todesursache“ festgestellt worden, hieß es in einer ersten Erklärung der Staatsanwaltschaft in Landshut. „Das ist auch heute noch der Stand der Dinge“, sagte gestern der Sprecher der eigentlich zuständigen Staatsanwaltschaft in Frankfurt, Job Tillmann. Erst am Dienstag würden die Akten aus Landshut „komplett“ vorliegen. Eventuell seien dann weitere Ermittlungen einzuleiten.

Nach Darstellung seines Anwalts Dieter Kornblum hatte Aamir Ageeb „panische Angst“ vor der Rückkehr in sein Heimatland. Ein Bruder sitze als politischer Gefangener in Haft, ein anderer sei im Bürgerkrieg gefallen. Von einer Krankheit, die den unerwarteten Tod des Sudanesen erklären könnte, wisse er nichts, so Kornblum.

„Die standen erst einmal unter Schock.“ So beschrieb der geschäftsführende Pfarrer der Seelsorge am Flughafen München, Helmut Leipold, den „mentalen Zustand“ der Crew von Flug LH 558. Den Passagieren habe das Entsetzen über den Tod des Afrikaners „im Gesicht gestanden“.

Nach knapp zwei Stunden Aufenthalt im Erdinger Moos bekam die Maschine dann die Starterlaubnis. Zurück blieb die Leiche von Aamir Ageeb; und zurück blieben die Beamten des BGS. Die wurden nicht vom Dienst suspendiert, wie ein Sprecher von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gestern auf Nachfrage erklärte. Und es werde auch (noch) nicht gegen die Beamten ermittelt.

„Wir haben das nicht zu kommentieren“, so die knappe Reaktion der Lufthansa. Deren Sprecher Thomas Jachnow verwies gestern darauf, daß seine Fluggesellschaft als größter „Carrier“ in Deutschland rechtlich dazu verpflichtet sei, abzuschiebende Personen und deren „Flugbegleiter“ zu transportieren. Selbst wenn es dabei zu Gewalthandlungen kommen sollte, könne die Lufthansa die „Kooperation mit dem Staat“ nicht ablehnen. In der Vergangenheit gab es allerdings Piloten, die aus Sicherheitsgründen den Start verweigerten, wenn es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Abschiebehäftlingen und ihrem Wachpersonal kam. Vor drei Wochen befreiten aufgebrachte Passagiere auf einem Swissair-Flug nach Kinshasa einen gefesselten Asylbewerber und griffen die begleitenden Schweizer Polizeibeamten an.

Warum mußte Aamir Ageeb sterben? Ist er tatsächlich ein Opfer der generellen Abschiebepraxis in Deutschland, wie die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl mutmaßte? Geknebelt wird in Deutschland nicht mehr. Und der Helm für den „Selbstschutz“ habe sich „in der Praxis bewährt“, hieß es im Innenministerium. Nach dem Tod eines abgelehnten Asylbewerbers aus Sierra Leone auf dem Flug von Wien nach Freetown am 1. Mai hat Schily einen umfassenden Bericht über die Modalitäten des BGS bei der Abschiebung von Menschen, die sich dagegen mit körperlicher Gewalt zur Wehr setzen, angefordert. Der liege allerdings noch nicht vor, sagte ein Ministeriumssprecher gestern.

Schily hatte am Sonntag angekündigt, zukünftig Tote bei Abschiebungen „zu 100 Prozent“ vermeiden zu wollen. Das Innenministerium habe „außerordentliches Interesse“ an der Aufklärung der Umstände, die zum Tode von Aamir Ageeb führten, versicherte der Sprecher.

Unterdessen ist in Bayern ein politischer Streit um die geplante Abschiebung eines weiteren Sudanesen entbrannt. Die Behörden wollten den 27jährigen Asylbewerber gewaltsam abschieben, obwohl es sich um einen „ähnlichen Fall“ handele, so die asylpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag, Elisabeth Köhler. Sie forderte die Landesregierung auf, sich an den Erlaß des Bonner Innenministers Schily zu halten, wonach alle Abschiebungen vorerst auszusetzen sind, bei denen wegen Widerstands der Betroffenen Gewalt eingesetzt werden müsse. Das Münchner Innenministerium wies Köhlers Darstellung zurück. Klaus-Peter Klingelschmitt, Frankfurt am Main