Flüchtlinge bescheren Albanien bescheidenen Boom

■ Inzwischen sind die Vertriebenen aus dem Kosovo allerorten heiß begehrt

Nach den nicht enden wollenden Flüchtlingströmen der letzten Wochen ist in Albanien nun etwas Ruhe eingekehrt. Hunderte von Hilfsorganisationen aus aller Welt haben die Versorgung der Menschen im Griff; viele neue Flüchtlingslager wurden inzwischen aufgebaut. Das Informationsblatt des Flüchtlingshilfswerkes UNHCR für Albanien umfaßt ganze sieben Seiten. Auf jeder Seite sind rund 50 Flüchtlingslager aufgeführt, es wird angegeben, wer sie leitet, wie viele Personen dort aufgenommen sind, wie groß die Kapazität insgesamt ist. Sie liegt bei den kleinsten Camps bei 50 Personen, bei den größten um die 20.000. Es sind sogar Überkapazitäten in Albanien geschaffen worden. Von rund 353.000 Plätzen sind nur 155.000 belegt.

„Während in Makedonien die Lager überfüllt sind, reißen sich hier die Hilfsorganisationen um jeden Flüchtling“, erklären Mitarbeiter von UNHCR. Viele Lager seien nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Deshalb wird vom UNHCR immer wieder gefordert, die Vertriebenen aus den überfüllten Camps bei Kukäs in den Süden des Landes zu transferieren.

Unter der Hand heißt es zur Begründung, man brauche Platz nahe der Grenze zum Kosovo für den möglichen Einsatz von Nato-Bodentruppen. Zudem könnte die Stadt durch serbische Artillerie bedroht werden.

Noch aber scheint dieses Argument vielen vorgeschoben. Es ginge einfach nur darum, die Lager anderer Hilfsorganisationen im Süden des Landes zu füllen, mutmaßen Mitarbeiter der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur, die in Kukäs ein Camp unterhält.

„Die Menschen wollen nahe der Grenze bleiben, sie warten auf Angehörige“, erklärt Rupert Neudeck. Auf sein Betreiben hin hat Cap Anamur sogar die Mitarbeit im UNHCR aufgekündigt. „Wir wollen die Vertriebenen nicht hin- und herschieben, weil es die UNHCR-Bürokraten so wollen.“

Die Unterbelegung der Lager hängt vor allem aber damit zusammen, daß die meisten der 450.000 in Albanien befindlichen Flüchtlinge es vorziehen, Wohnungen oder Zimmer in Albanien anzumieten. Wer kann, wer noch über Geld verfügt oder von Verwandten aus dem Ausland Geld geschickt bekommt, möchte lieber unabhängig leben.

Dafür nimmt man auch Nachteile in Kauf. In den Lagern sind medizinische Versorgungszentren entstanden, die sich sehen lassen können. Zudem ist in der Regel die Grundversorgung mit Lebensmitteln gesichert.

Die Vertriebenen aus dem Kosovo haben der albanischen Gesellschaft unverhofft zu einem kleine Boom verholfen. Die Mieten, die für ein Zimmer in Tirana und Kukäs von den Flüchtlingen verlangt werden, reichen von 400 bis 1.000 Mark pro Monat. Auch das Geschäft mit der humanitären Hilfe blüht. „Es entsteht jetzt eine neureiche Klasse, die der Zöllner in den Seehäfen“, erklärt ein Mitarbeiter einer großen Hilfsorganisation, der selbstredend nicht zitiert werden möchte. Denn man kann es sich nicht leisten, es sich mit den Behörden zu verderben.

Die Gebühren, die für die Abfertigung von Lastwagen und Containern an die Zöllner bezahlt werden, reichen von zehn bis zu 10.000 US-Dollar, je nach Wert der Ladung, aber auch je nach Gutdünken der Beamten. Manche Hilfsorganisationen bezahlen nichts, andere wieder horrende Summen. „Es ist ein Glücksspiel.“ Bürgermeister der Städte bieten Grundstücke für die Lager an. Wer es schafft, Hilfsorganisationen in die eigene Stadt zu holen, kann auf die Verbesserung der Lage der Bewohner hoffen.

Nachfolgeprojekte zur Verbesserung der Infrastruktur, so der Wasserversorgung, des Straßenbaus und anderes werden dann in Aussicht gestellt und zum Teil auch durchgeführt. Das Geschäft mit den Flüchtlingen füllt die chronisch leeren Säckel der albanischen Gemeinden.

„Unter dem Strich werden wir nach der Rückkehr der Flüchtlinge in das Kosovo eine positive Bilanz erstellen können“, erklärt der Bürgermeister von Kukäs, Safet Sula. Er rechnet auch damit, daß manche der Hilfsorganisationen in Zukunft im Lande bleiben werden. Denn angesichts des Zerfalls der Wirtschaft und der Infrastruktur nach dem Kollaps des Kommunismus wird Hilfe auch weiterhin dringend nötig sein. „Es hängt von uns Albanern ab, jetzt die nötigen Kontakte herzustelleln.“

Der UNHCR hält zwar an der Überzeugung fest, die Kosovo-Albaner könnten bald in ihre Heimat zurückkehren und es ginge nur um Soforthilfe. Doch schon jetzt beginnen Alternativplanungen. Für den Winter sollen beispielsweise Fabrikhallen angemietet werden. Erich Rathfelder, Tirana