■ Die Alpentunnel bleiben Brandsätze: Nach dem Großbrand im österreichischen Tauerntunnel fordern Politiker mehr Röhren für den Straßenverkehr. Mindestens ein Mensch erstickte in der „tickenden Bombe“, wie der Tunnel in Österreich seit Jahren genannt wird. Die Sicherheitsmängel waren bekannt.
: Einspurig in den Tod

Ferienstimmung in den Alpen. Pfingstferien in Bayern. Die ganz Schlauen waren bereits in der Nacht aufgebrochen, um Samstag an der Adria frühstücken zu können. Die Katastrophe passierte um 4.55 Uhr im Tauerntunnel, jener Röhre durch die Radstadter Tauern, die vom Bundesland Salzburg Richtung Kärnten führt und damit auch Bayern mit Oberitalien verbindet. 800 Meter nach der nördlichen Einfahrt des 6,4 Kilometer langen Tunnels: Ein Lkw-Fahrer hielt offenbar abrupt vor einer roten Ampel, die den Verkehr wegen einer Baustelle einspurig regelt. Der Pkw-Fahrer unmittelbar hinter ihm konnte zwar noch rechtzeitig bremsen, doch der Lastwagen dahinter war nicht mehr zu stoppen. Er schob den Wagen auf den mit Lackspraydosen beladenen ersten Lkw. Die hochexplosive Ladung begann dadurch zu brennen.

Der Fahrer war geistesgegenwärtig genug, sofort aus dem Führerhaus zu springen und alle Passagiere der inzwischen aufgestauten Fahrzeuge zur sofortigen Flucht aufzufordern. Sein Beifahrer, der 27jährige Thomas B. aus Bad Hersfeld, nahm den Unfall nicht so ernst und hielt es für notwendig, von der nächsten Telefonzelle den Dienstgeber zu verständigen. Er erstickte wahrscheinlich an den Rauchgasen.

Auch andere sahen ihr Leben nicht unmittelbar bedroht. Ein paar sensationsgeile Touristen eilten zur Unfallstelle, um den Brand zu fotografieren. Daß trotzdem kein weiterer Mensch dem Flammeninferno zum Opfer fiel, konnte niemand glauben. Denn der Feuerwehr gelang es wegen der starken Hitzeentwicklung gar nicht, zur Unfallstelle vorzudringen. Temperaturen von über 1.000 Grad brachten Teile der Tunneldecke zum Einsturz, die ersten teilweise ineinander verkeilten Autos verbrannten samt Urlaubsgepäck und Reisekasse. Keine Rettung gab es auch für 50 trächtige Zuchtkühe. Von den 67 Verletzten, die in den umliegenden Spitälern verarztet wurden, schwebt nach Angaben der Mediziner keiner in Lebensgefahr. Drei Personen werden allerdings noch vermißt.

Erst nach 15 Stunden konnten die Löscharbeiten abgeschlossen werden. Der Tunnel wird eventuell mehrere Monate für den Verkehr gesperrt bleiben.

Eine zweite Tunnelröhre, so die Experten, hätte eine größere Katastrophe verhindern können. Die war längt geplant, allerdings nicht als Rettungsweg, sondern zur Beförderung größerer Urlauberkarawanen. Aus Budgetgründen war der Ausbau unterblieben. Jetzt gibt es plötzlich keinen Politiker, der nicht schon längst die Verbesserung der Sicherheitsanlagen eingefordert hätte. Keine Partei ließ sich entgehen, auch für die bevorstehenden Europawahlen aus der Katastrophe Kapital zu schlagen.

Bundeskanzler Viktor Klima eilte am Sonntag zur Unfallstelle und forderte neue Sicherheitsmaßnahmen für ganz Europa ein. SPÖ-Spitzenkandidat Hans Peter Martin, Koautor des Bestsellers „Die Globalisierungsfalle“, regte die Verschärfung der Bestimmungen für Gefahrentransporte durch Tunnel an. Den Vogel schoß Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) ab, der sich durch die Katastrophe in seiner Ablehnung des Eisenbahntunnels durch den Semmering bestätigt sieht. Diese Verbindung zwischen Niederösterreich und der Steiermark ist wegen umweltpolitischer Bedenken umstritten. Pröll will jetzt den Probestollen zuschütten, „weil es in Wahrheit keine 100prozentige Garantie gibt“.

Tatsächlich ist die Tunnelsicherheit ein europäisches Problem. Früher hätten sich die Lkw bei der Tunnelaufsicht melden müssen, um Begleitschutz anzufordern. Seit dem EU-Beitritt Österreichs 1995 hat die Feuerwehr keine Kontrolle mehr. Ralf Leonhard

Telefon-Hotlines für Leute, die sich nach ihren Angehörigen erkundigen wollen: Zentrale Vermißtenstelle am Münchner Flughafen (089) 97620 sowie die Autogendarmerie in Flachau (0043) 6457 2322