Der einstige Motor der EU stottert

■ Obwohl sie jetzt Kriegsalliierte sind, ziehen Bonn und Paris in der europäischen Rüstungspolitik noch nicht an einem Strang

Paris (taz) – Die Umgebung könnte kaum passender sein, um über Rüstungs- und Verteidigungsfragen zu sprechen. In Toulouse, wo heute der 73. deutsch-französische Gipfel zu Ende geht, ist ein großer Teil der Rüstungsindustrie Frankreichs konzentriert. Das ist schon so seit dem vergangenen Jahrhundert. Als Paris nach dem drittletzten deutsch-französischen Krieg entschied, diese sensible Branche vor dem Gegner im Osten in Sicherheit zu bringen und in den Südwesten des Landes zu verlagern. In Toulouse wollen heute die französischen Gastgeber eine Initiative für eine neue europäische Verteidigungspolitik lancieren. Sie hoffen auf die Unterstützung ihrer deutschen Gäste, um das Projekt beim EU-Gipfel in Köln vorschlagen zu können.

Für die Franzosen lautet eine zentrale Lehre aus dem Jugoslawienkrieg, daß die europäische Militärzusammenarbeit verstärkt werden muß. Paris, das sich vor zwei Jahren mit seiner Forderung nach einer europäischen Besetzung des Nato-Südkommandos nicht durchsetzen konnte, sieht in dem Geschehen auf dem Balkan einen Beleg für die Notwendigkeit größerer militärischer Unabhängigkeit Europas von den USA.

In der Frage des Nato-Südkommandos war es Paris nicht gelungen, die Unterstützung Bonns zu bekommen. Der neogaullistische Staatschef Jacques Chirac schaffte es auch nicht, die Bonner Regierung für die Entwicklung eines deutsch-französischen Spionagesatelliten, zu gewinnen. In Bonn gaben letztlich die milliardenschweren Kosten den Ausschlag für das „Nein“. Seitdem jedoch deutlich ist, daß die USA ihre Spionnageerkenntnisse keinesfalls mit all ihren „Alliierten“, sondern lediglich mit den Briten, teilen, ist die Frage „Helios II“ von neuer Aktualität.

In Paris, wo die rot-rosa-grüne Regierung und der konservative Staatspräsident eine Abhängigkeit von den USA fürchten, gilt neben dem Ausbau der europäischen Rüstungsindustrie auch der Aufbau europäischer Militärstrukturen als logischer nächster Schritt. Aus Bonn bekam Paris dazu bislang nicht die erwarteten Signale.

Zwar ziehen Deutsche und Franzosen offiziell im Jugoslawienkrieg an einem Strang, sind beide für eine Einbeziehung der Russen in die diplomatischen Bemühungen, gegen den Einsatz von Bodentruppen und für eine politische Lösung, doch brachten sie bislang keine gemeinsame deutsch-französische Initiative für ein Ende des Krieges, kein gemeinsames Auftreten zustande. Im Gegenteil: Den in Deutschland rechtzeitig vor dem Grünen-Parteitag lancierten „Fischer-Friedensplan“ erwähnte die französische Spitze nicht einmal. Chiracs Versuche, bei der Nato-Geburtstagsfeier die UNO zu stärken und Mitte Mai beim Besuch in Moskau Rußland verstärkt einzubeziehen, blieben in Deutschland so gut wie unbekannt.

Statt als Motor der Europäischen Union, als den sich früher die deutschen und französischen Spitzen gebärdeten, verhalten sich Bonn und Paris jetzt, da sie Kriegsalliierte sind, wie Einzelkämpfer. Dorothea Hahn