Keine Angst vor Freiheit

■ Vom 31. Mai bis zum 5. Juni ist der Schlachthof zum fünften Mal Erkundungsort des europäischen Jugendtheaters

„... alle sind betroffen, Problem, Problem!“ Das ist von den Goldenen Zitronen und hat recht wenig mit Theater zu tun. So könnte man aber auch Erwartungen beschreiben, die durch viele Köpfe geistern, wenn das Stichwort „Jugendtheater“ fällt – pädagogische Holzschnittarbeit. So böse ist die Welt; und so kommt man am besten damit klar. Ein Klischee, gewiß. Doch ist es nicht ganz falsch.

Es muß doch auch anders gehen. „Explosive!“ soll die Mischung sein, die in der kommenden Woche im Schlachthof zu besichtigen ist. In der fünften Auflage des „Internationalen Jugendtheater Festivals“ treffen Ensembles aus fünf europäischen Städten aufeinander. Dabei geht es um mehr als Theater. Die Szene hat sich angekoppelt an Entwicklungen der großen Bühnen. Und pendelt zwischen Performance, Tanz, Musik und Text.

Die Herangehensweise der Gruppen an ihren Stoff habe sich im Laufe der fünfjährigen Geschichte des Festivals verändert, erzählt Barbara Hirsch, eine der OrganisatorInnen. Während vormals Gruppen das Erscheinungsbild des Festivals prägten, die aus Streetworking-Projekten entstanden sind, sei nun auch im Bereich des Jugendtheaters eine Wendung nach innen zu beobachten. Soziale Aspekte fielen dadurch nicht etwa heraus, nur näherten sich die Ensembles diesen aus anderer Perspektive. Sie schöpfen gemeinsam aus ihrer persönlichen Erfahrungswelt.

Allein die Bearbeitung von Goldings „Herr der Fliegen“ des hiesigen „THEATER bizarr“ mag als textlastig gelten. Die einzige Klassikerbearbeitung – virtuos und kurzweilig vorgetragen. Ansonsten viele lockere Szenenfolgen, Collagen. Gelingt es, Beliebigkeit aus dem Spiel mit den diversen Wirklichkeiten herauszuhalten, entsteht Dichte. Die ist spannend anzusehen. Aus Gründen der Kommunizierbarkeit konzentriert sich die Auswahl der Stücke auf Formen des nichtsprachlichen Ausdrucks.

„Komosha“ des Spieltheaters Gent wird kurzerhand als Bild- und Tonfolge mit 140 bpm angekündigt. Das belgische Ensemble sei vielleicht das professionellste des diesjährigen Festivals, erzählt Barbara Hirsch. Als fester Bestandteil der europäischen Szene reist es von einem Festival zum nächsten. Aus diesen Treffen ist über die Jahre eine Art Netzwerk entstanden. Austausch über Formen und Herangehensweisen wird möglich. „Den hat das hiesige Jugendtheater auch nötig“, meint Barbara Hirsch. Austausch ist neben den Aufführungen deshalb Bestandteil des Konzeptes. In einer Gesprächsreihe werden Spielweisen und Ar-beitsmethoden vorgestellt und diskutiert.

Vorsichtiger, fragender als das belgische Kraftpaket erscheint die Gruppe „Forma“ aus dem polnischen Slupsk, deren Projekt den Titel „Angst vor der Freiheit“ trägt. Trotz, besser: wegen aller Vielfalt, liegt genau dort so etwas wie das Thema des Treffens. Im Nebeneinander von Stilen und Weltsichten siedelt das vielleicht reizvollste Problem. Es heißt Freiheit. Sie gilt es auszuhalten. Heute, da einfache Lösungen diskreditiert sind.

Eine der Erfahrungen ist die Gehörlosigkeit, die das Ensemble des „MUK Theatre of Silence“ aus Padua dazu zwingt, Wege abseits traditionellen Sprechtheaters zu beschreiten. Die Produktion „Flugversuche“ allerdings ist weit mehr. Eine Reise um die Sprache herum, die sich im Erarbeiten starker und poetischer Bilder mit der Praxis der anderen Gruppen trifft. Etwa mit der Hamburger Gruppe „Curry, Sand und Eigelb“, die mit ihrem Stück „Am Rande des Gletschers tanze ich meine Pirouetten“ auszuloten versucht, wie sich Ängste, Traumata und Phobien im Körperausdruck niederschlagen.

Tim Ingold/Tim Schomacker

Auftakt: Speelteater Gent, 31. Mai um 20 Uhr. Vorstellungen täglich bis 5. Juni um 20 Uhr im Schlachthof. Karten unter: 0421/37 77 50.