Höflich und cool killen

Verschwenderischer Umgang mit den Momenten des stillen, kontemplativen Wartens: Das Festival des japanischen Films mit Klassikern und aktuellen Produktionen in den Kinos Blow Up und Filmkunst 66  ■   Von Detlef Kuhlbrodt

Mit dem Satz, Japan sei so und so, würde man normalerweise einen Artikel über ein Festival mit japanischen Filmen beginnen. Das „so und so“, die Andeutung eines widersprüchlichen Japanbildes, dem dann die Kurzbeschreibung der einzelnen Filme folgt, hat man sich dabei aus einigen japanischen Großereignissen (Erdbeben, Asienkrise, apokalyptische Sekten), kulturellen Klischees und vor allem aus den großartigen Werken der weltweit drittgrößten Filmindustrie zusammengebacken.

Das würde dann so aussehen: Die Preußen Asiens sind sehr fleißig, singen leidenschaftlich gern Karaoke; auf der einen Seite sind sie eher prüde, auf der anderen Seite gucken sie sich in ihren raren Arbeitspausen millionenfach im weißen Hemd pornografische Mangas an und holen sich ab und an am Automaten an der Ecke ungewaschene Slips halbwüchsiger japanischer Schülerinnen.

Japanischer Pussypop ist so charmant wie seriell, der Selbstmord steht in hohem Ansehen, meditiert wird in schön gestalteten Zen-Gärten, coole Killer verziehen sowenig wie ihre Opfer eine Miene beim Ausüben ihrer Geschäfte, die Form dominiert den Inhalt, individuelle Psychodramen sind eher selten usw. usf. Um sich zu verdeutlichen, wie schwierig es ist, anhand einer größeren Filmreihe Schlüsse auf die Gesellschaft zu ziehen, in der diese Filme entstanden sind, kann man sich das Deutschlandbild mal vorstellen, das ein Japaner kriegen würde, wenn er sich vierzig deutsche Filme – von Heinz (Erhardt, Rührmann) über Werner (Faßbinder) und Herbert (Achternbusch) bis zu Fred (Kelemen) – anschaut.

Wie auch immer. Franz Stadler, Chef des Filmkunst 66, hat ein Festival mit 40 alten und jungen japanischen Filmen zusammengestellt, das einen guten Überblick über die Vielfalt der japanischen Kinematographie vermittelt. Es gibt die preisgekrönten Klassiker des japanischen Films wie Mizoguchis „Erzählungen unter dem Regenmond“ von 1953, Kobayashis „Barfuß durch die Hölle“ von 1960, fünf Filme des zuweilen als Westler verschrienen Akira Kurosawa oder Werke von „Japans Neuer Welle der 60er Jahre“ (die extrem düsteren „Onibaba – die Töterinnen“ von Kaneto Shindo).

Aber auch allerlei Kunst-Sexfilme – von Seijun Suzukis emanzipatorischem Prostituiertenfilm „Zuflucht der Sirenen“ (1946), einer seltsamen Mischung aus Melodram und Musical, die vor dem Hintergrund des verlorenen Kriegs spielt, bis zu Oshimas berühmten „Im Reich der Sinne“ (1976). Mit einer Jahresproduktion von 4.700 Pornovideos dürfte Japan zur Weltspitze gehören. Wer will, kann sich auch noch die drei berühmtesten japanischen Animationsfilme der letzten Jahre („Akira“; „Ghost in the Shell“ und „Prinzessin Mononoke“) anschauen.

Die Sektion mit Altmeistern des japanischen Films ist zwar etwas schlechter besetzt – nur vier Filme aus den 50er Jahren sind vertreten, Altmeister Ozu, an dem sich deutsche Regisseure wie Achternbusch orientiert hatten, fehlt ganz – dafür gibt es um so mehr junges japanisches Gegenwartskino.

Beispielsweise die lustig-trashig sich selbst zerstörende „Familie mit umgekehrtem Düsenantrieb“ (1984) des alten jungen Wilden Sogo Ishi (sein eher poetischer „August im Wasser“ von 1995 wird auch gezeigt), Shinobu Yaguchis superkomische Satire „Sakikos geheimer Schatz“ (1997), in dem die junge, geldgierige Heldin ihren Verehrer irgendwann darum bittet, ihr doch lieber das Geld für das Eis zu geben, zu dem er sie gerade einladen wollte, oder Koki Mitanis zugleich seltsam anrührende als auch extrem schnelle Komödie „Welcomeback, Mr. McDonald“ (1997).

Dieser Film erzählt von komisch-eitlen Schauspielern, die das melodramatische Hörspiel einer eifrigen Amateurautorin live aufführen sollen. Weil die ihnen zugedachten Rollen ihnen nicht spektakulär genug sind, lassen sie das Stück während der Live-Übertragung ständig umschreiben, was zu unglaublich komischen Situationen führt. „Welcomeback, Mr. McDonald“ ist der lustigste Film, den ich kenne.

Der Eifer, mit dem ein paar schüchterne Studenten sich in der Kunst des nicht mehr so sonderlich angesagten Sumo-Sports üben („Lust auf Sumo“, Shiko Funjatta, 1992) erinnert ein bißchen an Masayukis „Shall we dance?“. Eine sehr schön choreographierte, seltsame Sumo-Szene steht auch entspannt meditativ im stillen Auge des Sturm sozusagen von Takeshi „Beat“ Kitanos großartigem Art-Gangster-Movie „Sonatine“.

Von den avantgardistischen Gangsterfilmen aus Hongkong unterscheiden sich die japanischen vielleicht durch verschwenderische Momente stillen Wartens, in denen manchmal höflich gescherzt wird und zuweilen auch gar nichts passiert. Vor diesem Hintergrund einer sozusagen existenziellen Stille, scheinen die großen Werke der japanischen Kinematographie auch noch dann zu spielen, wenn sie diese Stille aussparen.

„Festival des japanischen Films“ bis zum 9. Juni im Filmkunst 66, Bleibtreustr. 12 (Charlottenburg) und im Blow Up, Immanuelkirchstr. 14, (Prenzlauer Berg)