Türkpop mit Patina

■ Die Sängerin Nilüfer beschwor den Glanz der 70er Jahre im Weddinger Eisstadion

„Die 70er Jahre feiern ein Comeback“, hieß es in der taz, als im letzten Jahr in der Türkei mit dem greisen Sozialdemokraten Bülent Ecevit ein wahrer Polit-Dinosaurier die Regierung übernahm. Das Motto gilt auch für die Musik: „Wieder zurück in die Siebziger“, heißt das aktuelle Album der türkischen Pop-Veteranin Nilüfer, die damit den derzeitigen Ton setzt in der Musikszene am Bosporus.

Entsprechend viel Aufmerksamkeit ließ ihr Berliner Konzert erwarten. Doch weil die Veranstalter den Auftritt in die viel zu große Eissporthalle im Wedding gelegt hatten, wirkte der Andrang eher spärlich. Das Publikum eine Mischung aus türkischen Twens in Ausgehgarderobe und frisch verliebten Pärchen, Familien mit Kindern und ein wenig lokale Semi-Prominenz, changierte die Atmosphäre irgendwo zwischen High-School-Ball und türkischer Hochzeit. Die älteren nahmen auf den Rängen Platz, während sich die Jüngeren schon einmal zum Türkpop vom DJ-Pult warmtanzten.

Sie mußten lange tanzen: Mit zweieinhalb Stunden Verspätung ging es erst los, doch mit einer dramatischen Ballade gleich zu Beginn fing Nilüfer den Unmut auf. Flugs gingen die Feuerzeuge hoch, und alles war verziehen. „Ihr dürft ruhig mitsingen“, animierte sie ihr Publikum, und das folgte brav. Mit großer Band, Gitarristen und Backgroundsängerinnen gleich im Doppelpack, schritt Nilüfer durch ihr Repertoire: überwiegend neue, aber altmodisch klingende Lieder, die Erinnerungen wecken an eine Zeit, als der türkische Pop-Chanson noch nahtlos an Israel, Frankreich und zum souligen US-Show-Schmalz anschloß. Das Instrumentarium war damals ganz am Westen ausgerichtet, nur das Timbre, die Dramatik und die schluchzenden Geigen klangen türkisch. Mal hört man Istanbul, dann erklingt ein New Yorker Großstadtsaxophon: Nostalgisch ist das, und aus der Ferne reflektiert es an die Ära einer Gloria Gaynor oder Barbara Streisand.

Nilüfer gehört zur alten Garde des türkischen Pop, wie Ajda Pekkan oder Sezen Aksu. Doch während letztere sich ständig neu erfindet, kehrt Nilüfer zurück zu jener Epoche, in der sie als pummeliger Kinderstar begann. Dieses 70er-Revival paßt zum gegenwärtigen Klima der Restauration in der Türkei. Erstaunlich nur der Anklang, den das bei einer Jugend findet, die diesen Sound allenfalls von den Eltern kennt oder aus alten türkischen Filmen. Nur aus romantischer Neigung? Oder weil darin der Optimismus einer Zeit des sozialen und nationalen Aufbruchs anklingt, als zumindest die urbane Türkei näher am europäischen Pulsschlag zu sein schien als heute. „So war es, so kann es nicht weitergehen“, singt Nilüfer in Abwandlung eines fatalistischen türkischen Sprichworts, „die Welt ändert sich“. Selbst aber führt sie den besten Gegenbeweis. Daniel Bax