Gespenstische Ruhe im Hafen von Bar

Die montenegrinische Hafenstadt schlummert vor sich hin. Die jugoslawische Armee hat den Hafen „im Interesse der Landesverteidigung“ zeitweise gesperrt. Von der früheren Aktivität ist nichts mehr zu spüren  ■   Aus Bar Thomas Schmid

Die Hafenstadt Bar ist für das gebirgige Montenegro das Tor zur Welt. Hier wurden in Friedenszeiten fünf Millionen Tonnen Güter jährlich umgeschlagen. Ein Fünftel davon blieb in Montenegro, vier Fünftel gingen nach Serbien, das selbst keinen Zugang zum Meer hat. Täglich wurde ein halbes Dutzend Schiffe entladen. Von einer der sieben Molen liefen die Passagierschiffe nach Bari aus, der Partnerstadt auf der italienischen Seite der Adria. Und von dort kamen die italienischen Touristen an, die, anders als die Deutschen, nie ein Visum benötigten.

Heute schlummert der Hafen vor sich hin, die Kräne recken untätig ihre Arme in den Himmel. Am 2. Mai übernahm die jugoslawische Armee die Kontrolle über den Hafen und erklärte ihn für gesperrt – „im Interesse der Landesverteidigung“. Der Hafendirektor Petrasin Kasanica, der die Marine öffentlich gewarnt hatte, auf Nato-Flugzeuge zu schießen, weil sonst der Hafen ins Visier der Allianz geraten könnte, hält sich irgendwo im Land versteckt. Er wird von der Armee gesucht, nachdem die „sogenannte Bundesregierung“, wie Jusuf Kalamperovic zu sagen beliebt, einen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt hat.

Kalamperovic ist Handels- und Verkehrsminister der montenegrinischen Regierung. Die erkennt die jugoslawische Bundesregierung nicht an und hält ihre Gesetze und Beschlüsse für gegenstandslos. So gilt in Montenegro der in Belgrad verfügte Kriegszustand nicht. Und Kalamperovic anerkennt – zumindest mental – auch die Blockade des Hafens nicht. „Was rein- und rausgeht“, sagt der Minister, „bestimmen die montenegrinischen Behörden.“ Im Prinzip jedenfalls. Faktisch aber ist der Hafen lahmgelegt. Ohne Genehmigung der Armee läuft nichts.

Von Bar werden die im Hafen gelöschten Güter in normalen Zeiten auf dem Schienenweg über die montenegrinische Hauptstadt Podgorica durch die Moraca-Schlucht hinauf nach Serbien bis Belgrad befördert. Doch auf dem kurzen Stück, die die Eisenbahnlinie über bosnisches Gebiet führt, haben in Bosnien stationierte internationale Truppen der SFOR die Gleise gesprengt. In Serbien sind einige Eisenbahnbrücken zerstört, und so fahren die Züge nur noch bis Podgorica. Die große Eisenfabrik in der montenegrinischen Stadt Niksic, die fast ausschließlich nach Serbien exportierte, steht still.

Für Belgrad ist der Hafen von Bar bedeutungslos geworden. Die Blockade soll vor allem Montenegro treffen, das über den Hafen 90 Prozent seines Rohöls und fast alle anderen Importgüter bezieht. Und seinen Präsidenten Milo Djukanovic, den stärksten Gegner Miloevic', der Montenegro aus dem Krieg herauszuhalten versucht.

In Belgrad sind Zigaretten, anders als in Podgorica, absolute Mangelware, und während in Belgrad der Liter Benzin vier Mark kostet, wird er in Montenegro noch immer für eine Mark angeboten. Das könnte sich bald ändern.

„In Bar“, sagt Kalamperovic mit Pathos in der Stimme, „prallen zwei Konzeptionen aufeinander: diejenige Saddam Husseins und Enver Hoxhas und diejenige der Demokratie und Moderne.“ Fürs erste haben die Diktatoren gewonnen, und die Demokratie versucht, einige wichtige Güter über die kroatischen Häfen Ploce und Dubrovnik und von dort auf dem Landweg einzuführen. Aber wenn die Blockade andauert, werden auch in Montenegro, was die Versorgung betrifft, bald serbische Verhältnisse herrschen. Noch gibt es alles zu kaufen. Aber eine Reihe kleinerer und mittlerer Montagebetriebe, die zu niedrigen Lohnkosten für Italien produzieren, hat bereits dichtgemacht, weil kein Rohmaterial mehr angeliefert wird. Auf der anderen Seite hat die Armee dem montenegrinischen Aluminiumkombinat sowohl den Import von Rohstoffen wie den Export ihrer Produkte erlaubt. Eine schlüssige Erklärung dafür weiß niemand zu geben.

Seit dem 10. Mai hat die Armee die Blockade ein wenig gelockert. Die „Simba“, ein Handelsschiff, das in Porto Marghera, dem Industriehafen von Venedig, ausgelaufen war und Mehl für die Flüchtlinge in Montenegro anliefern wollte, mußte am Samstag die Ladung zwar noch in Dubrovnik löschen. Aber am Sonntag durfte dann die „Alba“, die Fähre nach Bari, zum erstenmal in diesem Monat wieder in Bar ablegen. Auch „Laburnum“ und „Editor Ekspres“, zwei weitere Fähren nach Italien, sollen diese Woche noch die Adria kreuzen dürfen. Am Montag lief die „Ivan Nazaro“ mit Gütern im Hafen von Bar ein. Es sind Einzelfälle, mehr nicht. Zwar meint Minister Kalamperovic in Podgorica, der Hafen sei zu zehn Prozent wieder aktiv. Aber selbst das scheint reichlich hoch gegriffen.

Vor Ort, in Bar, ist von dieser Aktivität nichts zu spüren. Die 1.800 Hafenarbeiter seien in Zwangsurlaub geschickt worden, sagt Vojislav Micunovic, Stellvertreter des Hafendirektors, der über den Hafen wirklich alles weiß. Er schnurrt die Umschlagszahlen der vergangenen Jahre herunter, kennt die Länge der Hafendämme und die Anzahl Quadratmeter Lagerfläche auswendig. Nur wann Schiffe an- oder ablegen werden, weiß er nicht. „Die informieren uns nicht.“

Von der Armee ist im übrigen weit und breit nichts zu sehen. Es herrscht eine gespenstische Ruhe. Nur zwei Kriegsschiffe der jugoslawischen Marine dümpeln im Hafen. Mit der Blockade haben sie nichts zu tun. Sie lägen schon seit einem halben Jahr hier, bestätigt der Vizehafendirektor. Kein Kreuzer oder Zerstörer versperrt den Eingang zum Hafen. Keine Militärkontrollen halten den Neugierigen auf. Offenbar reichte ein Machtwort: Der Hafen ist zu.