In der Badewanne über die Wanderdüne

■ „Von Beuys bis Cindy Sherman“ oder: Selten hat eine Ausstellung so viel Spaß und Sinn gemacht / Der Kunstbuchverleger Lothar Schirmer zeigt in der Bremer Kunsthalle erstmals seine ausufernd schöne Sammlung

„Wir sind die Roboter“, quakt ein Fernseher durch die Halle. „Das ist sozusagen der audio-visuelle Teil.“ Ein Lächeln erklimmt die Lippen von Lothar Schirmer, hintergründig, verschmitzt und wissend, aber dennoch halb entschuldigend. Einer der Kollegen wirft einen verächtlichen zweiten Blick auf vier riesige Fotos des Holländers Anton Corbijn, in deren Rahmen sich die Dauerschleife eines monotonen Musik-Videos spiegelt. Vier Männer mit ausdruckslosen Gesichtern sind keine Schaufensterpuppen, sondern die Musiker von „Kraftwerk“. Der Sammler Lothar Schirmer deutet noch kurz mit dem Arm in die andere Richtung und will wohl noch etwas sagen, aber die Journalisten-Horde ist weitergetrabt. Endlich darf der letzte Raum betreten und der Geist des Mannes eingeatmet werden, den die Ausstellung bereits im Titel anführt. Die große Zahl von Zeichnungen vom Ozzy Ozbourne* der freien Kunst hat man bereits gesehen, nun erreicht die Führung durch die Ausstellung seinen Höhepunkt.

Ein aufgespießter Hase, an eine Tafel gelehnt, ein alter Ofen, ein Kleintierstall voll Unrat, ein Haufen Schrott in gedeckten Farben, „vor dem Aufbruch aus Lager I“ genannt, phantastisch! Nicht zu vergessen natürlich die gute, alte Badewanne, wahrscheinlich das bekannteste Werk von Joseph Beuys aus Düsseldorf. Schirmer hatte das Objekt im Jahre 1973 an ein Wuppertaler Museum ausgeliehen, von wo die Wanne mit einer Wanderausstellung in den Abstellraum eines Museums in Leverkusen gelangte. Bei einer Fete des SPD-Ortsvereins wurde das Objekt dann als Bierkühler verwandt, und die Affäre endete damit, daß die Stadtverwaltung zum Schadensersatz von 180.000 Mark verdonnert wurde. Ein Foto von Ludwig Rinn zeigt Beuys in Schirmers Wohnung „beim Anrühren und Mischen von Ölfarbe während der Neubearbeitung“, quasi beim Remixen des Objektes. Egal, Badewanne ist Badewanne, und die Presse ist zufrieden.

Es scheint zunächst schwierig, einen roten Faden in den Werken zu finden, die der Chef des wohl bedeutendsten deutschen Fotobuchverlages Schirmer/Mosel in 25 Jahren zusammengetragen hat. Kein Kunsthistoriker würde eine solche Kombination zusammenstellen. „Wie eine Wanderdüne“ hat sich die Ausstellung ausgebreitet, wird gewitzelt. „Eine gewisse ästhetische“ sowie eine „geistig künstlerische Haltung“ weiß Kunsthallenchef Wulf Herzogenrath trotzdem zu erkennen. Seit vielen Jahren ist er mit Lothar Schirmer eng befreundet. Wie zwei Schuljungs freuen sich die beiden auch dementsprechend über ihren gelungenen Coup, die Sammlung erstmals der Öffentlichkeit zu zeigen. Und das eben nicht nur, weil u.a. die international bedeutendste, „privat verborgene“ Beuys-Sammlung dazugehört. Lothar Schirmer präsentiert seine Sammlung mit großer Leidenschaft und wird nicht müde, die Journalisten mit persönlichen Anekdoten zum Erwerb einzelner Werke zu unterhalten. Hans-Peter Feldmanns „Objekt mit roten Schuhen und kolorierter Photokopie“ ließ bei seiner Lebensabschnittsgefährtin den Verdacht der Untreue aufkommen: glänzende, neue Schuhe? Da konnte nur eine andere Frau dahinterstecken!

Lothar Schirmer hat schon Kunst gesammelt, bevor der Kunstmarkt in den 60ern zu explodieren begann und die „documenta“ für eine breite Popularisierung der Gegenwartskunst sorgte. Von Bremen-Vegesack aus, machte sich der junge Schirmer 1962 in die Innenstadt auf, um sich in der Kunsthalle die Adressen der von ihm geschätzten Künstler aus dem Künstlerindex rauszuschreiben und diese privat aufzusuchen. So begannen Freundschaften mit Künstlern wie Beuys, Lothar Baumgarten und anderen, die sich heute für erlesene Weine interessieren können und auf exklusiven Parties mit Jack Nicholson bekannt gemacht wurden. Als Chef-Redakteur der legendären Schülerzeitung „Echo“ sorgte er 1963 dafür, daß die Cover von exklusiven Künstlern der Gegenwart gestaltet wurden. Krönung war ein Cover vom großen Roy Lichtenstein, was dieser später persönlich signierte. Nach seiner Bundeswehrzeit entschied sich Schirmer für den Beruf des Verlegers statt für den des Händlers.

Als Verleger konnte er auf die Eitelkeit der Künstler hoffen, die natürlich ihre besten Sachen nicht ungedruckt sehen mochten. So war die Schirmersche Wohnung irgendwann bis zur Besenkammer voll mit Kunst, und es kam immer noch mehr dazu. Zur Zeit steht aber nur ein Bett in der Wohnung. Der gesamte Rest der Einrichtung steht in der Kunsthalle. Viele Fotos sind dabei, Heinrich Zille und August Sander leiten das Jahrhundert ein, und Philipp Otto Runges Scherenschnitte von 1805 zeugen von einem Hauptmerkmal der Sammlung: der Abneigung gegenüber Ölbildern und der Vorliebe für popmoderne Pioniere und Großväter. Lange hat eine Ausstellung nicht soviel Spaß und Sinn gemacht.

Der Katalog kann am Ort des Geschehens zum Vorzugspreis von 49 Mark statt 78 Mark erworben werden und verzichtet streng minimalistisch auf jegliche biographische Schnörkel zum tieferen Verständnis einzelner Werke. Man wollte auf ein „Massengrab der Informationen“ verzichten, und über diese treffenden Worte sollten wir heute alle beim Einschlafen noch mal nachdenken. Die „Sammlung Lothar Schirmer“ ist noch bis zum 25. Juli in der Kunsthalle zu sehen.

Tommy Blank, Wissenschaftler, Raumfahrer und kein „linker Pop-Autor“ wie so andere Typen

* Nachtrag: Ozzy Ozbourne ist ein Musiker des „Heavy Metal“, der in den 70ern damit reich und berühmt wurde, lebenden Tauben die Köpfe abzubeißen und heutzutage in amerikanischen Spielzeugläden auch als Plastik-Action-Figur zu haben ist (incl. Plastik-Tauben mit abnehmbaren Köpfen!)