Odyssee durch deutsche Behörden

■ Ein evangelischer Pfarrer will zwei Flüchtlingskinder aus Albanien nach Deutschland holen. Ein fast aussichtsloses Unterfangen – obwohl er für alle Kosten aufkommen will

„Ich gebe nicht auf, ich möchte wissen, wie es mit der Humanität bestellt ist, die ständig öffentlich proklamiert wird.“ Der evangelische Pfarrer Michael Mitt bemüht sich seit mehr als drei Wochen, ohne Erfolg. Er will zwei Flüchtlingskinder aus Albanien nach Deutschland holen. Ezgona und Ezgon, ein und neun Jahre alt, sind Halbwaisen. Der Vater, Suleyman Derwishaj, hat seit Anfang des Jahres Zuflucht in Isny im Allgäu gefunden. Michael Mitt und der dortige Arbeitskreis Asyl kümmern sich um ihn. Seine Frau starb letztes Jahr im August bei einem serbischen Granatangriff auf das Dorf Jerzhnig im Kosovo. Aus Angst vor serbischer Verfolgung versteckte sich der Vater in den Wäldern und floh schließlich nach Deutschland. Seine Kinder blieben in der Obhut von Bekannten, die sie schließlich mit nach Albanien nahmen.

Suleyman Derwishaj ist in Deutschland nur geduldet, deshalb hat er keinen Anspruch auf Familienzusammenführung. Nur wenn Ezgona und Ezgon von der deutschen Botschaft in Tirana als humanitäre Härtefälle eingestuft werden, besteht die Chance, daß sie auf legalem Weg zu ihrem Vater nach Deutschland kommen können.

Fälle wie den der Familie Derwishaj gibt es Tausende. Seit Kriegsausbruch haben sich rund 50.000 in Deutschland lebende Kosovo-Albaner auf der Suche nach Verwandten an das Deutsche Rote Kreuz gewandt. Doch Bund und Länder wollen nur in Einzelfällen Vertriebene aus dem Kosovo auch außerhalb der vereinbarten Kontingente einreisen lassen. Wie das Bonner Innenministerium erklärt, müssen dafür „besondere Umstände vorliegen, die über das allgemeine Vertreibungsschicksal hinausgehen“. Gemeint sind Krankheit oder besondere Hilfsbedürftigkeit, Familienzugehörigkeit allein reicht nicht aus. Über die „besonderen Umstände“ befinden die Länder nach eigenem Ermessen.

Die Länder blockieren. Das zuständige Innenministerium in Baden-Württemberg etwa will weiter einer „restriktiven Grundsatzlinie“ folgen. Aus dem Kosovo sollen nicht so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen wie aus Bosnien. Nach Angaben des Bonner Innenministeriums leben bereits 250.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo in Deutschland. Von den 350.000 Menschen, die wegen des Kriegs in Bosnien in Deutschland Zuflucht suchten, sind rund 95.000 noch nicht zurückgekehrt. In vielen Fällen hätten die in Deutschland lebenden Verwandten nicht für deren Unterhalt sorgen können. Die Kosten hätten dann die Länder übernehmen müssen.

Pfarrer Michael Mitt ist bereit, alle Kosten für die Kinder zu übernehmen. Trotzdem, erzählt Mitt, hätten ihm Ausländeramt, Regierungspräsidium, Innenministerium und die Deutsche Botschaft ständig widersprüchliche Auskünfte darüber erteilt, ob und wie er die Kinder aus Albanien holen könne. Nach unzähligen Telefonaten, Faxen und Briefen scheint sich nun ein Weg aufzutun, Startpunkt Tirana. Michael Mitt muß – persönlich – einen Visumsantrag bei der Deutschen Botschaft in Tirana stellen, die Botschaft legt gegenüber dem Ausländeramt in Ravensburg dar, worin der dringende humanitäre Grund für eine Familienzusammenführung liegt, das Ausländeramt schickt diesen Antrag an das Regierungspräsidium in Tübingen, das Regierungspräsidium holt die Genehmigung des Innenministeriums ein; erst dann kann die Botschaft in Tirana die notwendigen Papiere für die Kinder ausstellen. Da Geburtsurkunden und Pässe bei der Flucht verlorengingen, muß die deutsche Botschaft zudem beim Innenministerium die Befreiung von der Paßpflicht beantragen. Dauer des gesamten Procederes: drei bis sechs Monate.

Abkürzen läßt sich das Verfahren aus rechtlichen Gründen nicht – obwohl Mitt schon eine mündliche Zusage aus dem Regierungspräsidium Tübingen hat, daß die Kinder als humanitäre Härtefälle angesehen würden.

Die Odyssee durch die Behörden ist kein Einzelfall. Nach Angaben von Pro Asyl haben auch legal in Deutschland lebende Kosovo-Albaner große Schwierigkeiten, Eltern und Verwandte aus den Flüchtlingslagern nach Deutschland zu holen. Heiko Kauffmann, Sprecher von Pro Asyl, kritisiert, daß ein System von Abwehrketten gegen die Kosovo-Flüchtlinge errichtet worden sei. Es sei zynisch, über das Flüchtlingselend hinaus noch größere Härten zu verlangen.

Michael Mitt würde die Kinder selbst aus Albanien holen. Eine Wohnung im Allgäu ist auch schon organisiert. „Klarer als bei diesen zwei Kindern kann ein humanitärer Härtefall doch gar nicht sein.“ Der Pfarrer will nicht lockerlassen, obwohl er den Eindruck hat, daß ihm nur Steine in den Weg gelegt werden. „Es wird zwar mit moralischen Argumenten Krieg geführt, aber in dem Moment, wo man wirklich helfen will, wird überall gemauert.“ Georg Gruber, Berlin

„Es wird zwar mit moralischen Argumenten Krieg geführt. Aber wenn man helfen will, dann wird überall gemauert.“