■ Chemieindustrie: Der Hoechst-Konzern geht, Aventis kommt
: Lästige Sentimentalitäten

Tränen vergossen die Rentner der alten Farbwerke Hoechst schon auf der Hauptversammlung am 4. Mai 1999. Kein noch so gut gefüllter Freßbeutel, keine satte Dividende konnte sie mehr trösten. Der Name „Hoechst“ würde ausgelöscht werden, der Konzern zerschlagen. Aus und vorbei; spätestens im November 1999. Dann ist die Fusion zwischen Hoechst und Rhône-Poulenc perfekt – und Hoechst nur noch Historie. Aventis heißt das neue Life-Science-Unternehmen für die Gesundheit und den Tier- und Pflanzenschutz mit Sitz in Straßburg. Keine Träne weint der Vorstandsvorsitzende von Hoechst und designierte Boß von Aventis, Jürgen Dormann, dem traditionsreichen Namen „Hoechst“ nach. In den USA, dem für die Branche wichtigsten Markt, habe ohnehin kein Mensch diesen Namen aussprechen können. Und auf dem Alten Kontinent sei Hoechst von der Bevölkerung zuletzt nur noch mit Störfällen assoziiert worden. Also weg mit dem Namen. Kapital ist nicht sentimental; und Aventis „the future“, so Dormann.

Zurück in der Vergangenheit bleiben die Industriekomplexe von Hoechst. Störanfällige Monster aus der untergehenden Welt der Chemie, die von der Bio- und Gentechnologie abgelöst wird. Die Chemie wird der neuen Celanese AG zugeschlagen. Und nicht wenige Analysten, die demnächst Aventis-Aktien halten, glauben, daß die Celanese auch bald zerschlagen wird; falls sich keine Käufer für die einzelnen Unternehmen, für Farben, Fasern oder Folien, finden. Nach der Übernahme auch noch der letzten defizitären Industriekomplexe von Hoechst beginnt die Celanese AG ihr (Geschäfts-)Leben immerhin mit einem Nettoschuldenstand von rund einer Milliarde Euro.

Bei Celanese müssen die Beschäftigten also um ihre Arbeitsplätze bangen. Das spaltet die Belegschaft, denn wer zu Aventis mitwechselt, wähnt sich sicherer. Aber auch das mag täuschen – aufgrund von Synergieeffekten bei Aventis.

Keine Sentimentalitäten. Ein Unternehmen, so der Sprecher einer Gruppe von Kleinaktionären, habe schließlich keine gesellschaftliche Verpflichtung, sondern nur die Pflicht, „die maximale Dividende zu erwirtschaften“. Das dürfe man heute endlich wieder laut sagen. Bitte schön. Es ist – leider – die nackte Wahrheit. Und die unternehmerische Verantwortung wenigstens für die Mitarbeiter? Nur eine lästige, läßliche Sentimentalität in den Zeiten explodierender Aktienkurse. Klaus-Peter Klingelschmitt