Kommas und die Bomben auf Schanghai

■ „Wir wollen den Halunken abwählen“: Der isrealische Lyriker und Jeanette-Schocken-Preisträger Tuvia Rübner spricht im Interview über die Bedeutung von Poesie, den Wechsel der Sprache und den Sinn von Konflikten

Sein Ohr ist sein empfindlichstes Organ. Ich muß mich an seine rechte Seite setzen, damit er mich hören kann. Der Lyriker Tuvia Rübner ist ein zarter Mann mit wachen Augen und einer freundlichen Ironie im Gesicht, die auch aus seinen Worten schimmert. Im taz -Gespräch beantwortet Rübner Fragen über den Abschied von der Muttersprache, die Macht der Poesie und den Sinn von Konflikten.

taz: „Ich schrieb in jugendlichem Überschwang haufenweise Verse“, haben Sie über Ihre frühen, in deutscher Sprache geschriebene Gedichte gesagt. Da höre ich viel Distanz heraus?

Tuvia Rübner: Würde ich nicht zu ihnen stehen, hätte ich sie nicht veröffentlicht. Aber es sind Gedichte aus einer völlig anderen Sprachwelt als die, in der ich seither lebe. Ich habe seither nie wieder die Form der giechischen Ode benutzt, die mir damals Halt gegeben hatte.

Haben Sie den Wechsel zum Hebräischen als eine Pflicht oder als eine Befreiung empfunden?

Etwas dazwischen, würde ich sagen. Meine zweite Frau konnte kein Deutsch. 1949 ist meine erste Tochter geboren. Mit ihr habe ich immer Hebräisch gesprochen. Sie war schon vier Jahre alt, als ich anfing, auf Hebräisch zu schreiben. Es war Vergangenheit, ich wollte nicht mehr deutsch schreiben. Es war ein schwieriger Übergang, der lange gedauert hat.

„Der wahre Zauber der Sprache liegt im Nennen“, schreiben Sie in einer Geburtstagsrede für Ihren Freund Werner Kraft. Können Sie mir das erklären?

Poesie ist zunächst Erkennen. Jedes Gedicht ist eine neue Erkenntnis. Aus dem Wort entsteht die Welt. Mit dem Nennen schaffe ich ein Verhältnis zwischen mir und der Welt, zwischen mir und meinen Mitmenschen. Das ist die Essenz der Poesie.

Worin sehen Sie den Unterschied zwischen ihren frühen deutschen und den hebräischen Gedichten?

Sie sind völlig anders, obgleich in den frühen hebräischen Gedichten unterschichtig noch einiges auf die dichterische Tradition des Deutschen hinweist. Deshalb habe ich in Israel nie einer Gruppe angehört. Ich bin ein Outsider. Einflußreich in Israel war russische Dichtung, auch französische. Später in den 50er Jahren kam mit dem Englisch-Unterricht an den Schulen auch die angelsächsische Tradition dazu. Ich bin irgendwie doch der deutschen Dichtung verpflichtet. Es ist eine andere Art des Zugangs zur Welt.

„Das große Gedicht bemüht sich um das Wahre“, schreiben Sie. Sehen Sie Gedichte als eine moralische Kraftquelle?

Ich habe absichtlich „Das Wahre“ gesagt und nicht „Die Wahrheit“. Das Wahre ist ... wo alles, was da ist, stimmt. Daß alle im Gedicht vorkommenden Worte ihrem Sinn, ihrem Klang nach, in ihren Beziehungen zur Außenwelt und zur Innenwelt stimmen. Daß Gedichte nicht aus irgendwelchen anderen Motiven, sondern aus dem Zusammenklang dieser sehr verschiedenen Kräfte entstehen. Sie müssen völlig frei davon sein, beeinflussen oder beeindrucken zu wollen.

„Ist die Kunst des Frieden-Schließens eine Wortkunst“, war Ihre Rede vor der Darmstädter Akademie 1995 überschrieben. Kann die Wortkunst der Lyrik dabei helfen, den Frieden zu bewahren?

Das Thema ist nicht von mir gewählt worden, ich habe es bekommen. Aber um die Frage zu beantworten: Da kommt einmal ein Freund zu Karl Kraus und fragt, wie kannst Du jetzt über Deinen Komma-Problemen sitzen, wo Schanghai bombardiert wird? Karl Kraus antwortete darauf: Würden immer alle Kommas an ihrem richtigen Platz gestanden haben, würde heute Schanghai nicht bombardiert werden. Das ist zwar schon Sprachmystik, aber das gehört im Wesen zu jedem Gedicht. Trotz besseren Wissens des Dichters erhebt jedes Gedicht den Anspruch, die Welt ins Richtige zu renken. Ich sage: trotz besseren Wissens. Und was verstehen wir unter Frieden? Konfliktlosigkeit? Gibt es ein Leben ohne Konflikte?

Und Kriege?

Alle Kriege sind schrecklich, aber stellen Sie sich vor, man hätte nicht gegen Hitler Krieg geführt?

Der Krieg in Jugoslawien wird auch von Joschka Fischer mit dem Gedanken begründet, „Nie wieder Auschwitz“ sei wichtiger als „Nie wieder Krieg“. Wie stehen Sie dazu?

Ich bin mit ihm einverstanden. Die Leute, die einfach nur für den Frieden plädieren, machen es sich zu einfach. Natürlich, ich nehme an, es gibt noch andere Motive für diesen Krieg als die moralischen. Daß ein „sauberer Krieg“ im Kosovo geführt wird, in dem nur die anderen umkommen, ist eine Schweinerei. Aber dennoch: Was war der Beginn? Ist da niemand umgekommen? Man kann keinen Krieg befürworten, und dennoch sage ich: Ewiger Frieden, das ist der Tod. Aber nicht alles, was man denkt, darf man sagen. Manches bleibt nur im Schweigen richtig. Wenn man es ausspricht, wird es falsch.

Welche Chancen sehen Sie für einen stabilen Frieden in Israel?

Stabil? Ich bin für einen palästinensischen Staat, wenn auch Staaten heute eigentlich grotesk sind. Meine Frau Galila und ich fliegen rechtzeitig zu den Wahlen (heute, 17. Mai; Anm. d. Red.) nach Israel, um diesen Halunken (Benjamin Netanyahu; Anm. d. Red.) abzuwählen, was hoffentlich gelingt.

Fragen: Hans Happel