Gute Bilder, schlechte Bilder

Dilemma des Fernsehkrieges: Während Machtpolitik sich immer emotional zu inszenieren weiß, fehlen der verantwortungsvollen Verhandlungspolitik die Bilder  ■   Von Dieter Prokop

on einem Medienforscher erwartet man, daß er über Fernsehbilder elegante Klagen schreibt, daß Bilder manipulieren zum Beispiel: „Wir navigieren durch den Ozean der Pixel, und wir leben ganz selbstverständlich mit dem Paradox, daß man vor lauter Pixeln keine Bilder mehr sieht (Peter Körte Frankfurter Rundschau, 20. 4.). Hier aber bleiben wir beim normalen Fernsehen, in dem die schleichende Katastrophe weitergeht.

Haßbilder

Vor einer Woche fielen die Bomben auf Chinas Botschaft. Im „globalen Bildergedächtnis“ werde, so Stefan Reinecke in der taz, die zerbombte Botschaft zum Symbol für das Desaster westlicher Menschenrechtspolitik. Jedenfalls ist sie – trotz allen Bedauerns – auch Symbol dafür, was die moralischen Politiker vielleicht auch in China tun möchten, denn auch China respektiert die Menschenrechte nicht. Moralische Politik ist grenzenlos – und maßlos.

Den Bildern von der Botschaft folgten Bilder steinewerfender Studenten, inszeniert von Chinas Führung. Es sind nationalistische Symbolbilder – Nationalismus ist den Regierenden recht, das lenkt von Problemen ab. Aus Moskau das Bild des wegen der Duma stocksauren Jelzin, der mit dem Ausstieg Rußlands aus den Verhandlungen droht – Bilder nationalistischer Russen könnten folgen.

Erlöserbilder

Moderner ist die Art, wie Bill Clinton das globale Bildergedächtnis besetzen möchte. Vor zehn Tagen kam Clinton nach Deutschland, zu seinen Soldaten. „Ihr kämpft gegen das Böse“, sagte er. Sie jubelten. Er trug eine Bomberjacke.

Clinton und seine Berater wissen, daß der Krieg visuelle Helden braucht. Es ist ein Charakteristikum der postmodernen Kultur, daß man Versatzstücke aus früheren Zeiten neu einsetzt. Deshalb spielt Clinton bei seinen Soldaten die Rolle „Roosevelt bei seinen Truppen vor Beginn der Invasion in der Normandie, die Europa von den Nazis befreien wird“. Gut macht sich ein Besuch bei den Flüchtlingen. Tony Blair hat das vorgemacht: Umjubelt und Arme rekkend lief er an den Flüchtlingen vorbei, die hinter den Drahtzäunen wie Gefangene wirkten. Er spielte die Rolle, die Chamberlain einst nicht spielen konnte, die Rolle „Heldischer Politiker geht zu den Verdammten dieser Erde und verbreitet Hoffnung auf Erlösung.“

In Ingelheim besucht auch Clinton Flüchtlinge und spricht wie ein Heilsbringer. Mißtrauische Menschen mit erfahrenen Gesichtern sehen ihn an. Danach will er eine junge Kosovo-Frau umarmen. Sie sperrt sich, und das ergibt kein gutes Bild. Clinton zögert, dann – er ist Profi – tut er das Richtige: Er bleibt bei der gerührten Miene und segnet sie durch Handauflegen auf die Schulter. Das ist das Bild! Der Erlöser! Es ist am nächsten Tag in allen Zeitungen.

Medienkritiker, die über „inszenierte Bilder“ jammern, sind realitätsfremd, besonders wenn sie „unverfälschte Bilder“ fordern. Es gibt keine Film- und TV-Bilder ohne Inszenierung. Man kann nur überlegen, wohin Inszenierungen ihr Publikum führen. Als Inszenierer ist Clinton hervorragend. Er und seine Berater wissen, wie schnell sich auch die gräßlichsten Fotos von Massakern abnutzen, die Moralpolitiker anklagend in die Kamera halten. Gern möchten wir glauben, daß die Politiker nur helfen wollen. Aber Politik ist die Kunst des Fallenstellens, und das zum richtigen Zeitpunkt.

Clintons Handauflegen ist eine Geste des Mitleids – aber es kanalisiert das Mitleid in die Vorstellung, das Unausweichliche müsse getan werden, und es sei, leider Gottes, ein Naturgesetz, daß die Guten auf die Bösen einschlagen. Vor lauter Moral vergessen wir, worum es geht: Clinton besucht Deutschland, um die Opposition gegen den Krieg einzudämmen. Und Fachleute wissen, daß es in diesem Krieg einen zweiten Krieg gibt: Es kämpfen US-Interessen gegen europäische.

Eine geschickte Inszenierung – oder doch Zufall? – könnte die Ortswahl sein: Ingelheim war einst Kaiserpfalz, Verwaltungssitz Karls des Großen, der eine Zentralmacht aufbaute. Auch er nutzte Moral als Machtmittel, sein Reich war ein „heiliges Reich“. In Ingelheim durfte der deutsche Bundeskanzler den Welt-Kaiser begrüßen. Über Ingelheim schwebte der Geist der gesinnungsethisch sich legitimierenden Welt-Zentralmacht der USA.

Langweilige Bilder

Im Gegensatz dazu steht das Modell der demokratischen Welt-Zentralmacht der UNO, die Welt der verantwortungsethischen Verhandlungspolitik. Darin hat Joschka Fischer seine Auftritte. Die G-8-Außenministerkonferenz auf dem Petersberg ist ein Erfolg seiner Verhandlungspolitik, doch diese Welt der Verhandlungen produziert keine guten Bilder. Sie produziert Bilder von Politikern, die sich erschöpft der Presse zeigen.

Natürlich ist es wichtig, im Fernsehen zu zeigen, wenn der Außenminister nach der G-8-Konferenz deren Beschluß verliest. Aber: Es wäre wünschenswert, wenn auch die verantwortungsvolle Verhandlungspolitik ihre Gefühlsbilder hätte. Warum läßt man den Verhandler Tschernomyrdin optisch unwichtig werden? Man sieht immer nur, wie er irgendwo ankommt. In der Fernsehgeschichte gab es Verhandlungsbilder, die zu Gefühlsbildern wurden: Clinton, der Profi, inszenierte sich vor dem Weißen Haus, mit den Kontrahenten des Nahost-Konflikts, er selbst in der Mitte: glückliche „Es ist erreicht“-Bilder. Oder Gorbatschow und Kohl in Freizeitjakken am Fluß, als Gorbatschow der deutschen Vereinigung zustimmte: auch das ein Glücks-Bild dafür, „daß man weiterkommt, wenn man wie unter Freunden redet“. Fernsehjournalisten produzierten einst bei einem Europagipfel eine Verhandlungsinszenierung mit den Journalisten in der Rolle der Politiker. Eine spannende Sendung, denn hinter den Kulissen halten die Politiker nicht die Predigten, die sie uns zumuten, sondern reden Klartext.

Rührende Bilder

Auch der Außenminister besuchte die Flüchtlinge, ebenso der Innenminister. In beiden Fällen verfielen Inszenatoren auf das Motiv der kleinen Kinder. Während der Außenminister-Hubschrauber im Hintergrund anfliegt, steht im Vordergrund eine Horde Kinder, die man „Joschka Fischer, Joschka Fischer“ rufen läßt, um ein Jubelbild zu haben. Bildästhetik der 30er Jahre. Im Feldlazarett bekommt Fischer von einer Verletzten die Patrone überreicht, die sie traf. Angewidert reicht er das Projektil zurück. Die Rolle „Chefarzt bei der Krankenvisite“ paßt ihm nicht. Auch Schily darf Kinder begrüßen. Da haben Fernsehjournalisten sich etwas gedacht.

Beide Minister nehmen sich gestisch zurück, sie machen nichts falsch – aber wo bleibt die Visualisierung der Rolle „Zähe Verhandler für den Frieden“?

Immerhin gibt es nun vom Grünen-Parteitag auch von Joschka Fischer ein rührendes Opferbild – auch wenn nur rote Farbe floß, kein Blut.

Dieter Prokop ist Professor für kritische Medienforschung an der Uni Frankfurt. Bis 1989 war er freier Fernsehjournalist, u.a. für das ZDF