Zimmerbrände

Ohne rockiges Krachgerät und den Kollegen Bacharach spielte der Herr Costello zum Amusement auf  ■   Von Thomas Groß

Costello-Fans wirken wie Leute, die unter gewissen Anstrengungen gelernt haben, sich mit einigen unvermeidlichen Grundtatsachen des Lebens abzufinden, wochentags ihrem Job und nur noch nach Feierabend in Plattenläden speziell gewordenen Vorlieben nachgehen. „I used to be disgusted, but now I try to be amused“, wie der Mann selbst später als x-te Zugabe, von Beifall umtost, singen wird. Das kann man doch irgendwie unterschreiben! Überhaupt scheinen Costello-Konzerte eine Gelegenheit zu sein, der Natur seines eigenen Amüsemangs ins Gesicht zu sehen.

Alles ist gediegen an diesem Abend im Großen Sendesaal des SFB: das Setting (Bestuhlung), die Location, die Altberliner Einlaßdamen, die grauen Anzüge der Herren Costello und Nieve, die diesen Reigen kammermusikalisch über die Bühne bringen werden – ganz ohne Schlagzeug und sonstiges rocky Krachgerät. Steve Nieve war in fernen, in Punk-Zeiten einmal Teil der Costello-Begleitband The Attractions, jetzt vertritt er am meterlangen Konzertflügel den abwesenden Herrn Bacharach. Daß der bald 70jährige Grandseigneur des Repertoire-Pop, mit dem Costello jüngst kollaborierte, nicht selbst erscheinen konnte, macht nichts, denn es perlt auch ohne ihn.

Außerdem gibt Nieve den besseren Eckermann. Kaskadenreich, fast claydermannesk umschmeichelt er den Vortrag des Meisters, dessen Kompositionen wie alte Bekannte aufgenommen werden, obwohl er sie gelegentlich hinter fremdländischen Arrangements versteckt. Oder sagen wir: Er versucht es, zum Scherz und zur Prüfung des Auditoriums, das das Spiel gnädig durchschaut.

Melodien lassen sich nämlich nicht verleugnen, das wäre wider ihre Natur, und um Melodien geht es hier, Prachtexemplare von Melodien, Gemütsschmeichelmonstren von Melodien, gezirkelt, ziseliert, verschnörkelt und ausladend wie alte Handschriften – und genauso anachronistisch. Costello-Lieder leben von der Tatsache, daß es sie eigentlich nicht mehr geben dürfte, daß sie eigentlich längst wegdigitalisiert sein müßten. Ihr Dennoch-Dasein berührt so seltsam wie die Tatsache, daß ein wenig attraktiver, genaugenommen leicht schmieriger Mann namens Declan MacManus sich vom größten Rockstar aller Zeiten den Vor- und von einem amerikanischen Komiker den Nachnamen geliehen hat – und damit sogar prächtig durchkommt.

Indes nehmen diese Stücklein ihre eigene Unwahrscheinlichkeit als Stärke und attackieren mit Verve an einer zweiten Front. Lyrischerseits dramatisieren Costello-Songs Gespräche im Dunkeln, beschwören verwaiste Villen und Zimmerbrände des Gefühls. Sie handeln von der einen nächtlichen Botschaft auf dem Anrufbeantworter, die das Leben eines Mannes entscheiden kann, von Unfällen, die passieren werden, und Verrat, der schon beschlossene Sache ist. Man stellt sich einen Hausherrn im Satinmantel dazu vor, der, rastlos vor unerfüllter Leidenschaft und mit bernsteinfarbenem Whiskey im Kristallglas, durch Zimmerfluchten wandelt, bevor er zu einer melancholischen Reise nach Spanien, Holland oder Santiago de Chile aufbricht,um Sanskrit zu lernen, einen Roman zu schreiben oder sich auch nur weiter gen Süden einzuschiffen.

Es ist die alte Welt des Melodrams, die im Costellotum Asyl gefunden hat, und King Elvis II. pflegt sie nach Kräften. Vom Shakespeareschen Königsdrama hat er sich Dramaturgie und Pathos geliehen, von Hollywood das Bühnenbild, von der italienischen Oper das Tremolo. Aus voller Brust croont er sich durch schwierigste Koloraturen seines neueren Schaffens, schnulzt, preßt, knödelt. Er chargiert nach Manier eines singenden Oberkellners, spricht „beiseite“, läßt den Scheinwerferkegel effektheischerisch auf dem schmächtigen Brillengesicht erlöschen, erzählt zur Auflockerung ein paar britische Witze, um mit einer Countryballade oder der alten, herzzerreißenden Romeo-Nummer unterm Balkon dann doch wieder alle zu kriegen.

Daß die dargebotenen Gefühle letztlich zu groß sind für so einen kleinen Mann der Gegenwart, weiß der Akteur selbst am besten – und weiß auch das Publikum. Es ist ihm ernst mit seiner Sache, aber so ernst auch wieder nicht. Costello-Musik ist Repertoiremusik, sie kann sich den ironischen Umgang mit der eigenen Performance leisten, weil sie das Rollenspiel voraussetzt. Just entertainment, folks! Immerhin: amused, not disgusted. Noch so eine Nummer, die selten geworden ist.