■ Auch in den Bildern des Kosovo-Krieges kann man erkennen, wie die Rollenzuschreibung zwischen den Geschlechtern funktioniert
: Männer handeln, Frauen leiden

Im Krieg wird alles einfacher. Das ist einer der Mythen von Kriegen. Vieles, was vorher das Leben und die Politik bestimmte, wird unwichtig. (Wen interessiert jetzt noch das Bündnis für Arbeit?) Auch in diesem Krieg gibt es Gut und Böse. Freund und Feind. Zwei Seiten. Und diesmal stehen die Deutschen anscheinend einmal auf der richtigen.

Aber so einfach ist es nicht. Auch in diesem Krieg geht es um mehr. Zum Beispiel um eine neue Rolle der Nato und eine neue internationale Ordnung – aber darüber wird ja auch nachgedacht. Daß im Krieg immer auch die Geschlechterordnung verhandelt wird, darüber spricht bisher kaum jemand. Dabei läßt sich dazu schon einiges sagen. Was sich in vielerlei Variationen zeigt, ist die Aufwertung des Männlichen auf Kosten des Weiblichen. Da ist der automatische Autoritätszuwachs von Männern wie Schröder, Fischer und Scharping. Da ist das scheinbare Verstummen der Frauen. Meine private Umfrage bei deutschen Zeitungen ergab, daß seit Beginn des Krieges über 90 Prozent der Leserbriefe von Männern geschrieben werden.

Krieg ist ein Männerthema. Auf dem Titel der Zeit waren unlängst die Gesichter von Clinton, Schröder und Miloevic abgebildet, dazwischen eine weinende Frau mit einem Kind im Arm. Männer handeln. Frauen leiden.

Auch das gehört zu den scheinbaren Selbstverständlichkeiten des Krieges. Frauen symbolisieren die Opfer. Alles, was sie wirklich tun und lassen, unterliegt diesem ideologischen Filter. Daß Frauen in diesem Krieg auch eine aktive Rolle spielen, wird ausgeblendet. Im Gegensatz zum Golfkrieg bleiben die militärisch eingesetzten Frauen unsichtbar. Damals gab es in den USA eine hitzige Diskussion über den Einsatz von Soldatinnen. Einerseits erzeugte es Entsetzen, als Mütter von kleinen Kindern eingezogen wurden. Doch unter dem Strich brachte der Golfkrieg den Durchbruch für die US-Soldatinnen. Nach dem Krieg mußte das Verbot für Frauen, Kampfflugzeuge zu fliegen, aufgehoben werden. Denn im Golf hatte die Öffentlichkeit gesehen, daß Frauen, auch ohne an „vorderster Front“ zu stehen, für ihr Vaterland starben. Und die Militärführung vertrat den Einsatz der Soldatinnen offensiv, um dem Golfkrieg ein positives Image zu verleihen. Aus Vietnam stand der US-Öffentlichkeit noch das Bild einer demoralisierten Truppe von Männern vor Augen, die durch Vergewaltigungen und Drogenmißbrauch von sich reden machte. Jetzt agierte eine effiziente, professionalisierte Armee. Im vergangenen Dezember waren beim Angriff auf Bagdad nun zum ersten Mal Frauen als Bomberpilotinnen eingesetzt. Öffentlich bemerkt wurde dies nicht. So daß auch in diesem Krieg alle davon ausgehen, daß nur Männer in den Kampffliegern sitzen. Zu Unrecht, wenn man der US-Zeitschrift Defense & Foreign Affairs glaubt, die, unter Berufung auf Geheimdienstquellen, den Tod einer US-Pilotin im Kosovo meldete.

Aber viel eklatanter ist die Reduzierung der Flüchtlinge auf eine weibliche Opferrolle. Sinnbild dafür ist das Foto der Frau mit Kopftuch, entblößter Brust und einem Säugling im Arm. Sie repräsentierte die Flüchtlinge auf den Titelseiten von Time und Spiegel. ReporterInnen im Fernsehen fragen die Flüchtlinge nur nach ihren Leidensgeschichten, nicht nach ihrer Meinung. (Eine Journalistin hat aus Bosnien folgende Szene berichtet: Eine US-Reporterin fragt in einem Flüchtlingscamp: „Anybody here who's been raped and speaking English?“) In vielen Berichten wird einfach behauptet, daß die Flüchtlinge vor allem Frauen, Kinder und Alte sind, während die Männer zur UÇK gehen oder vom jugoslawischen Militär getötet wurden. Die Bilder widersprechen dem, oft sind Männer mittleren Alters zu sehen. Aber sichere Informationen darüber gibt es nicht.

Genausowenig wie über Vergewaltigungen. Die Washington Post bezeichnete die „nicht bestätigten“ Meldungen des Pentagon über eine Massenvergewaltigung im Kosovo als bis dahin wirkungsvollste Propagandaoffensive der US-Regierung gegen Miloevic. Man kann davon ausgehen, daß die jugoslawische Armee Vergewaltigungen systematisch als Kriegswaffe einsetzt. Aber so wie geschehen, benutzt die Nato dies wiederum, um ihre Politik zu legitimieren. So werden die Flüchtlinge immer wieder aufs neue zu Opfern gemacht. Daß in den Flüchtlingscamps viele Frauen die Familien zusammenhalten und das Überleben organisieren, hat keinen Platz in diesem Bild. Selbst bei diesem – aktiven – Part werden uns nur junge Männer präsentiert. Die Bundeswehrsoldaten sind häufiger beim Aufbauen von Zelten, Verteilen von Decken und Spielen mit Kindern zu sehen als bei Einsätzen im Krieg.

Die Flüchtlinge hingegen sind passiv – diese Inszenierung erleichtert es, sie zu instrumentalisieren. Hier hatte die US-Regierung ein beeindruckende Idee: Sie wollte 20.000 Kosovaren auf Guantánamo abladen, dem US-Militärstützpunkt auf Kuba. Sie sollten nicht in den USA aufgenommen werden, sondern auf der Insel des Bösen vor der Küste der USA. Ein Flüchtlingscamp als lebendes Ausrufezeichen für den gerechten Krieg.

Die Reduzierung „des Weiblichen“ auf eine passive Rolle macht die realen Erfahrungen von Frauen und manchen Männern unsichtbar. Widersprüche treten in den Hintergrund, und das „männliche Kriegshandeln“ wird automatisch plausibler. Aber wie das „untergeordnete Weibliche“ das „männliche Handeln“ und den Krieg legitimiert, zeigt sich nicht nur direkt im Krieg, sondern auch bei uns.

Zum Beispiel im Umgang mit „abweichenden“ Stimmen zum Krieg. Die einzigen, die einen gewissen Stellenwert zugebilligt bekommen haben, sind die Soldatenmütter. Diese „weibliche“ Stimme kann leicht in ganz traditionelle Kriegserzählung eingeordnet werden. Deutsche Männer ziehen wieder in den Krieg, während deutsche Frauen zu Hause um sie weinen. Frauen bitten ihre Brüder, Männer und Söhne stets, nicht in den Krieg zu gehen. Aber die Männer wissen, daß es sein muß. In diesen Erzählungen bestärkt das die männliche Macht. Genau wie eine machtlose, ängstliche, verlassene Frau.

Diese Wirkung haben nicht jene Frauen zu verantworten. Solche Initiativen von Müttern hat es in der Geschichte immer wieder gegeben, und sie galten meist als naiv. Organisationen wie die Mütter der Verschwundenen der argentinischen Militärdiktatur haben aber entscheidenden Einfluß gewonnen. Im Unterschied zu ihnen begegnet den deutschen Soldatenmüttern bisher allerorts anerkennende Gleichgültigkeit. So scheinen sie nur sich selbst zu vertreten und kein unterdrücktes gesellschaftliches Anliegen.

Wieso ist in diesem Krieg in Deutschland sowenig gesellschaftliche Kritik lautgeworden, die nicht einfach übergangen werden kann? (Wieso organisieren sich nicht die Väter gegen den Krieg? Das ergäbe zumindest eine Irritation.) Die PDS gilt nicht als koscher. Und vor allem sitzen die Grünen in der Regierung. Mit ihnen sind die „weichen Teile“ der Gesellschaft integriert. Man hoffte einfach, daß die Grünen keinen Krieg aus unlauteren Gründen führen. Daß sie die parteiinterne Diskussion über den Krieg überwiegend als Bedrohung empfinden anstatt als ihre ureigenste Aufgabe, das zeugt von einer Verarmung der politischen Auseinandersetzung und einem Verlust historischer Erfahrungen, die lange vor dem Krieg begannen. Dazu gehört, daß Frauen- und Friedensbewegung gesellschaftlich als out und altmodisch gelten und politisch als Störfaktor im harten Regierungsgeschäft.

Joschka Fischer verkörpert den Teil der 68er-Bewegung, der nicht im Abseits gelandet ist – im Gegenteil. Daher bedeutet es soviel, daß der Außenminister „Nie wieder Auschwitz!“ zu seiner Motivation für den Krieg erklärte. Das zeugt von der Idee, nachholen zu wollen, was die Väter (wieso nur die Väter?), gegen die eine ganze Bewegung rebellierte, versäumten. Der Krieg bietet der Generation der Rebellen endlich die Chance, die Vergangenheit der Väter stellvertretend für sie zu bewältigen. Auch dieser Krieg scheint offenbar die Kontinuität zwischen Vätern und Söhnen herzustellen, so wie es auch bei anderen Kriegen war. Selbst wenn das, wie hier, einige Umwege erfordert.

So erscheint „das Männliche“ als Kontinuum und „das Weibliche“ fragmentiert. Neu ist das nicht. Aber jetzt, im Krieg, sieht man es viel deutlicher als zuvor.

Karin Gabbert

Die Flüchtlinge repräsentiert eine Frau mit einem Kind auf dem ArmMit den Grünen sitzt der „weiche“ Teil der Gesellschaft in der Regierung