Aventis – Aufbruch oder Abenteuer

■ Bei der Hauptversammlung von Hoechst kritisierten die Aktionäre die geplante Fusion mit dem Konzern Rhone-Poulenc

Frankfurt (taz) – Der Scheich hat gesprochen: schneller fusionieren. Der größte Einzelaktionär von Hoechst, die Kuweit Petroleum Corporation, bestand offenbar auf der Realisierung von Aventis, der vollständigen Verschmelzung von Hoechst Life Sience mit dem französischen Unternehmen Rhone-Poulenc noch in diesem Jahr. Die Vorstellungen von Hoechst-Boß Jürgen Dormann, zunächst nur die Sparten Gesundheit und Landwirtschaft beider Unternehmen zu fusionieren, waren damit obsolet. Auch die Idee, sich auf der gestrigen Hauptversammlung (HV) in Frankfurt von den Aktionären erst einmal dafür und für die Abspaltung großer Teile der Chemieaktivitäten vom Konzern grünes Licht signalisieren zu lassen, war geplatzt. Die Fusion stand nicht einmal mehr auf der offiziellen Tagesordnung.

Dafür war sie aber Thema aller Redner Innen. Und erster Anlaß für bitterböse Kommentare von Kleinaktionären, die auch mit dem obligatorischen Freßbeutel und mit verbalen Streicheleinheitenvom Aufsichtsratsvorsitzenden nicht mehr ruhiggestellt werden konnten. Der traditionsreiche Name Hoechst werde „ohne Not zerschlagen“, hieß es verbittert. Und manche hatten Tränen in den Augen. „Adventis: Advent, Aufbruch? Oder doch eher ein Abenteuer?“ trug eine Sprecherin der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre zur Volksbelustigung bei. Mit der Verlegung des Firmensitzes nach Straßburg unterlaufe Aventis nicht nur die Mitbestimmungsrechte der ArbeitnehmerInnen, sondern auch die der AktionärInnen durch die Beschneidung von Rederechten auf den dann nach französischem Recht einzuberufenden Hauptversammlungen, klagte danach ein Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Zudem werde eine „Aktie von Weltruf“ vom Markt genommen. Dabei habe Hoechst in den Vereinigten Staaten erst vor wenigen Jahren eine teure Imagekampagne gestartet, die in dem Slogan „Say Herkst“ gipfelte.

Jetzt soll Aventis offenbar noch in diesem Jahr entstehen – ohne daß sich Hoechst von seinem wenig ertragreichen Chemiekomplex trennt. Für Analysten ist das aber die Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Start des fusionierten Life-Sience-Giganten Aventis, dem dann größten Unternehmen in Europa auf dem Markt der Pillen, Tabletten, Salben und Seren. Dormann glaubt dennoch an die Realisierung. Noch am Abend nach der HV gestern werde der Aufsichtsrat die Modalitäten für die Fusion „absegnen“, prophezeite Dormann. Und „Ende Juni oder Abfang Juli“ soll dann eine außerordentliche HV die Fusion mit Rhone-Poulenc beschließen. Klaus-Peter Klingelschmitt