Albanien wähnt sich auf der richtigen Seite

■ Tirana versucht, die Folgen des Krieges im Kosovo in den Griff zu bekommen. Die Bevölkerung hofft auf baldige Integration in die EU

„Die Stadt hat sich wahnsinnig verändert.“ Der spontane Ausruf eines Besuchers aus Israel, der Tirana noch aus der kommunistischen Zeit kennt, deckt sich mit den Beobachtungen all jener, die nach Jahren der Abwesenheit wieder in die albanische Hauptstadt gekommen sind. Restaurants, Cafés, flanierende Menschen, dichter Autoverkehr und keineswegs mehr nur die Armut der vergangenen Jahre prägen heute das Lebensgefühl im Zentrum der Stadt. Auch wenn die Nobelkarossen der Neureichen, die versuchen die nach wie vor klaffenden Löcher in den Straßen zu umfahren, weiter einen scharfen Kontrast zu den Normalbürgern bilden, die jeden Lek umdrehen müssen.

An jeder Straßenecke wird gezimmert und gebaut, neue Geschäfte und Hotels entstehen, die vor Jahren noch leeren Lebensmittelgeschäfte sind heute voller frischer Waren. Und die Menschen bauen trotz des Krieges im Kosovo und jetzt 380.000 Vertriebenen auf die Zukunft. „Wir werden bald Mitglied der Nato sein, das Engagement des Westens wird uns auch wirtschaftlich helfen, die Perspektive Europäische Union rückt näher“, sagt ein Redakteur der Tageszeitung Koha Jone.

Auch Pandeli Majko, der Premierminister, ist voller Optimismus. Die Freunde des Landes, so der Premier, signalisierten, daß die Auslandsschulden annulliert würden und daß Albanien bald in die Welthandelsorganisation aufgenommen werde. Die Präsenz der Nato würde viele Verbesserungen der Infrastruktur, des Telefonsystems und der Elektrizitätsversorgung mit sich bringen. Das Jahr 2000 werde eines der besten Jahre für Albanien werden, versprach der Premierminister auf einer Konferenz der Sozialistischen Partei am Wochenende. „Die mächtigsten internationalen Finanzlobbys sind auf unserer Seite.“

„Zum ersten Mal in der leidvollen Geschichte unseres Landes sind wir Albaner auf der richtigen Seite“, bestätigt auch Gazmir Qafa, ein Geschäftsmann aus Tirana. Die Albaner hätten immer unter dem Druck aus dem Osten zu leiden gehabt, seien von den Osmanen unterjocht, von den Flamen angegriffen und vom Kommunismus blokkiert worden. „Wir wollen eine westliche Nation sein, jetzt ergibt sich die historische Chance dazu.“

Das Straßenbild scheint diese Hoffnungen zu nähren. Denn nicht nur die humanitären Helfer zeigen mit ihren Geländewagen Präsenz, sondern auch die Militärs der Nato. Offiziere des Bündnisses schlendern ganz selbstverständlich die Boulevards entlang. Das schlechte Image Albaniens nach dem Aufstand vor zwei Jahren ist verflogen. Pistoleros sind hier nicht mehr aktiv, Schießereien, wie sie noch 1998 zwischen Anhängern der Regierung und des Oppostionsführers Sali Berisha üblich waren, scheinen, zumindest in Tirana, ausgeschlossen.

„Es ist seit der Vertreibung der Menschen aus dem Kosovo ein Ruck durch die albanische Nation gegangen“, sagt Ilaz Ramajli, der „Chef des Büros der Republik Kosova in Albanien“, der von der Regierung in Tirana als Botschafter der Republik Kosova anerkannt ist. Der albanische Staat habe es organisatorisch geschafft, die Vertriebenen über das ganze Land zu verteilen. „Das haben nur wenige dieser Bürokratie zugetraut“, erklärt der Botschafter, der nun ohne die Weisungen seiner Regierung auskommen muß. Denn die Führung der Kosovo-Albaner ist immer noch paralysiert.

Selbst Ariane Quentier, die Pressesprecherin des UN-Flüchtlingswerkes UNHCR, lobt die Behörden. „Sie sind sehr kooperationsbereit. 100.000 der rund 380.000 Vertriebenen konnten in Familien untergebracht werden.“ Inzwischen seien 58 Gebäude, Schulen, Verwaltungsgebäude und andere, zur Verfügung gestellt, 17 Flüchtlingslager von internationalen Organisationen aufgebaut geworden. „Wir erwarten weitere Flüchtlinge, wir müssen unsere Anstrengungen verstärken und brauchen noch mehr Unterstützung“, sagt Quentier. Niemand weiß, wie viele Albaner sich im Kosovo aufhalten. Die Schätzungen reichen von 200.000 bis zu 800.000.

10.000 kamen in der Nacht zum Dienstag über die Grenze nach Nordalbanien. Erschütternde Bilder werden vom albanischen Fernsehen übertragen. Weinende Frauen undKinder. Mindestens 200 Männer, so heißt es, sind aus einem Treck von Flüchtlingen aus den Dörfern der Region Djakova ermordet worden. Über das Schicksal der Frauen berichten die albanischen Medien nur wenig.

„Die Vergewaltigungen sind für die Albaner ein Tabu“, sagt die albanische Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation, die sich mit ihren Freundinnen getroffen hat. Dabei habe man jetzt viele Beweise, einige der Frauen hätten sogar vor den Kameras von BBC gesprochen. Die Freundinnen stimmen zu. „Diese traditonelle Scheu schützt doch nur die serbischen Mörderbanden“, erkärt eine.

Am Himmel ist der Lärm der Nato-Kampfflugzeuge zu hören, die auf dem Weg nach Serbien sind. Die Frauen freuen sich. Die Luftangriffe reichten aber nicht aus, um Miloevic in die Knie zu zwingen. In den Zeitungen, so sagen sie, werde nicht der Einsatz von Nato-Bodentruppen gefordert. Ausführlich würde zwar beschrieben, daß die Nato-Truppen in Albanien ihre Logistik für die humanitäre Hilfe zur Verfügung stellten und für die Sicherheit der Vertriebenen sorgten. Aber eigentlich wäre es besser, wenn die Nato ihre Luftangriffe auf militärische Ziele im Kosovo fortsetze und die UÇK mit Waffen ausrüste. „ Die Albaner müssen Kosovo selbst befreien.“

Dagegen kann sich eine Gruppe von Vertriebenen aus der Region um Peja die Rückeroberung Kosovos ohne die Hilfe von Nato-Bodentruppen nicht vorstellen. „Sie haben so viele Männer ermordet, unsere Leute sind nicht ausgebildet, die UÇK hat doch keine Chance“, sagt Baton. Die albanische Bevölkerung sei zwar solidarisch mit den Flüchtlingen, die Regierung wolle doch nur von dem Engagement der Nato profitieren. „Ich glaube nicht, daß die mit uns um Kosovo kämpfen werden. Ich hoffe, daß die Welt uns weiter beisteht.“ Erich Rathfelder, Tirana

Seit der Vertreibung der Menschen aus dem Kosovo ist ein Ruck durch die albanische Nation gegangen