Die Gouvernante

Vor zwanzig Jahren zog Margaret Thatcher als Premierministerin in Downing Street No. 10 ein. Dort entwickelte sie – ganz im Gegensatz zur gängigen feministischen Lesart vom „weiblichen Teamgeist“ – einen fraulichen Führungsstil besonderer Art: knallhartes, klassisches Gouvernantentum. Eine Würdigung der Frau, die nichts ohne Handtasche unternahm, Eiserne Jungfrau genannt wurde und Interviews mit Formeln begann wie „Ich, die Regierung...“  ■ Von Ute Scheub

Sie ist das lebende Dementi des Glaubens an die Frau als den besseren Menschen, die kaltlächelnde Widerlegung eines „weiblich“-weichen Führungsstils, die stahlharte Widerrede auf die Utopie einer fraulich dirigierten Welt: Margaret Thatcher. Diese Dinosaura Regina zu Tränen rühren zu können galt seinerzeit als unmöglich. Und dennoch stand sie vor zwanzig Jahren, am 3. Mai 1979, tränenbenetzt in der Tür der berühmten Downing Street No. 10 – sie war die erste weibliche Regierungschefin eines großen westlichen Landes geworden.

Am 13. Oktober 1925 wurde sie in der Kleinstadt Grantham als zweite Tochter der Familie Roberts geboren. Ihr Vater Alfred führte einen Krämerladen, ihre Mutter Beatrice Stephenson war Näherin, bis sie heiratete. Spießig bis zum Ersticken ging es zu bei der Familie Roberts. Vater und Mutter waren strenge Methodisten, die sonntags bis zu viermal zur Kirche hasteten. Am heiligen Sonntag waren weder Spiele noch Vergnügungen erlaubt. In den Augen der Familie Roberts war das Leben eine todernste Sache und vor allem zum Arbeiten da. „In meiner Kindheit habe ich gelernt, welche Würde die Arbeit verleiht“, so Mrs. Thatcher im Rückblick.

Als Zehnjährige kam Margaret in ein städtisches Mädchengymnasium, wo sie fast jedes Jahr Klassenbeste war. Wenn sie nicht Schulaufgaben machte, half sie im Laden aus. Niemals fiel sie durch Ausgelassenheit, niemals durch Humor auf. Schon damals schien sie aus eiserner Disziplin und Kontrolle zu bestehen.

Ihr den Nationalliberalen nahestehender Vater, 1940 zum Bürgermeister von Grantham gewählt, machte sie mit politischer Arbeit vertraut, mit der Von-Tür-zu- Tür-Werbung für konservative Kandidaten. „Die Politik ging mir in Fleisch und Blut über“, stellte sie später fest. Ihr Vater war für sie die Verkörperung jener viktorianischen Tugenden, die sie als Premierministerin später so hochhielt. In ihrer Wohnung in der Downing Street No. 10 über den Regierungszimmern so residierend wie ihr Vater in der Wohnung über seinem Krämerladen, baute sie seine einfachen Grundsätze zu den Säulen des Thatcherismus um: Heiligkeit der Arbeit, Fleiß, Sparsamkeit, Pflichterfüllung, Beharrlichkeit.

Maggie Thatcher schwärmte Zeit ihres Lebens von ihrem Vater und er von ihr – die beiden schienen in einer Art geistigem Inzest nicht voneinander loszukommen. „Margaret ist zu 99,5 Prozent vollkommen. Das fehlende halbe Prozent ist, daß sie etwas mehr Wärme ausstrahlen könnte“, meinte ihr Vater einmal. Sie wiederum sprach immer öfter von ihrem „Pa“, je länger sie regierte. Sie verdanke ihm „alles, einfach alles!“ Er hielt sie an, Bücher zu lesen, er lehrte sie, darüber zu diskutieren und frei sprechen zu lernen.

Von ihrer Mutter redet sie hingegen äußerst selten. Für Maggie Thatcher war die Mutter eine „Art Magd“ im Hintergrund, deren einziges Verdienst darin bestand, ihr beigebracht zu haben, „wie man Männerhemden richtig bügelt und Spitzen so plättet, daß sie nicht beschädigt werden.“ Im Buch „Vatermänner – ein Bericht über die Vater-Tochter-Beziehung“ entwirft die Schweizer Psychologin Julia Onken eine Charakteristik der sogenannten „Leistungstöchter“, die voll und ganz auf Frau Thatcher zu passen scheint: „Viele leistungsstarke Frauen, die erfolgreich geworden sind, erzählen, daß sie vor allem große Probleme mit der Mutter hatten. Die Rolle der Mutter bekam vom Vater wenig oder überhaupt keinen Applaus und schien ihnen in keiner Weise erstrebenswert... (Diese Töchter) hüteten sich davor, die Mutter nachahmen zu wollen, zu wenig Prestige war damit verbunden. Sie identifizierten sich also nicht mit der weiblichen Rolle, sondern mit der väterlichen... Sie pauken, ackern, schuften unermüdlich für ein einziges Ziel: von Vaters freudigem, stolzdurchtränktem Blick endlich gestreichelt zu werden.“

Die zielstrebige Margaret studierte Chemie und Jura, heiratete 1951 den ebenso reichen wie häßlichen Chemiefabrikanten Dennis Thatcher, gebar 1953 die Zwillinge Carol und Mark und arbeitete als Steueranwältin. Die Erziehung ihrer Kinder überließ sie der Haushälterin „Abby“ und dem Internat. Später ließ sie Kindergärten und Förderprogramme für berufstätige Mütter streichen. Noch einmal Julia Onken: Vatertöchter hätten „längst gelernt, andere Frauen mit den Augen ihres Vaters zu betrachten“. Oder in der Lyrik von Frau Thatcher: „Ich hasse diese schrillen Töne der Emanzen.“

Mit 34 Jahren zog Margaret Thatcher 1959 ins Unterhaus ein. Sie setzte sich für „geschmackvollere“ Schuluniformen und die Wiedereinführung der Todesstrafe ein. Unter dem konservativen Premier Edward Heath erhielt Thatcher das Erziehungsministerium. Die kostenlos ausgegebene Schulmilch hielt sie für überflüssig – weg damit. Wenig galante öffentliche Stimmen schmähten sie als „Milchdiebin“ (“Thatcher – milk snatcher“), „Eisige Jungfrau“ und „Offener Kühlschrank“.

Daß sie 1975 Oppositionsführerin wurde, war von den meisten Torymännern nicht beabsichtigt worden. Für viele war sie ein kreischendes Weib aus dem Kleinbürgertum. Ein Mitglied des Kabinetts Heath: „Hätte mir jemand 1973 gesagt, sie werde als nächste die Partei führen, so hätte ich ihm geraten, sich schnellstens in psychiatrische Behandlung zu begeben.“ Aber Premier Heath hatte die Wahlen verloren und sich in weiten Teilen seiner Partei wegen seiner Arroganz unbeliebt gemacht. Heath' innerparteiliche Gegner einigten sich auf Thatcher als einzige Gegenkandidatin, damit sie ihn deutlich genug abstrafen konnten.

Thatcher schlug Heath im ersten Wahlgang mit 130 zu 119 Stimmen. Niemand hatte das erwartet, am wenigsten sie selbst. 1976, nach einer heftigen antikommunistischen Rede, wurde sie von der sowjetischen Nachrichtenagentur Tass zur „Eisernen Lady“ erklärt. Thatcher nahm das Kompliment auf ihre Art an: „Die Russen behaupten, ich sei die Eiserne Lady. Sie haben recht. Britannien braucht eine Eiserne Lady.“

Der Streikwinter 1978 ebnete der Oppositionsführerin den Weg zur Macht. Ein von den Konservativen eingebrachtes Mißtrauensvotum gegenüber der Labour- Regierung gewann sie mit nur einer Stimme Mehrheit. Im Mai 1979 wurden vorgezogene Wahlen abgehalten. Frauen, Facharbeiter, Freiberufler und Angestellte liefen scharenweise zu den Tories über: Mrs. Thatcher war ihre Kandidatin. Diesmal waren ihr ihre einfache Herkunft und ihr Geschlecht zum Vorteil geraten.

Ihr Regierungsprogramm war ebenso einfach wie nachhaltig: Senkung der zirkulierenden Geldmenge, Kürzung der Staatsausgaben, Beseitigung der Subventionen, Umverteilung von unten nach oben, Privatisierung von Staatsbetrieben, Brechung der Gewerkschaftsmacht, „Ausrottung des Sozialismus“. „Sie kann staatliche Einrichtungen nicht sehen, ohne mit ihrer Handtasche auf sie loszuschlagen“, meinte der konservative Abgeordnete Julian Critchley.

Ihr Regierungsstil war exakt das Gegenteil des vielgerühmten „weiblich-kommunikativen“ Stils: autoritär, unnachgiebig, kreuzzüglerisch. „Margaret Thatcher nutzt die Kabinettssitzungen weniger dazu, die Meinung der übrigen einzuholen, als vielmehr ihre eigene durchzusetzen“, schreibt ihre Biographin Pia Paoli. Einer ihrer Minister habe einmal rumgemotzt: „Manchmal teilt man uns von vornherein mit, was beschlossen wurde, und läßt uns nicht die Zeit, uns dazu zu äußern.“ Wer ihre kompromißlose Sparpolitik im Kabinett nicht mittragen wollte, den nannte sie „Wet“ – Waschlappen.

Angsthasen verachtete sie, aber Rebellen erging es meist noch schlechter – sie wechselte sie einfach aus, denn Thatcher mochte es gar nicht, wenn ihr widersprochen wurde. Die Premierministerin verbrauchte innerhalb ihrer drei Legislaturperioden an die hundert Minister. „Shut up“ – halt den Mund, schnauzte sie während des Falkland-Krieges ihren Außenminister Lord Carrington vor versammeltem Unterhaus an. Sie war die Chefin und damit basta. Sie führe ein „stalinistisches Regime“ über ein „fügsames Kabinett“, bescheinigte ihr Ex-Minister John Biffen. „Ich, die Regierung...“ begann sie einmal ihre Antwort auf eine Journalistenfrage.

Für viele war Margaret Thatcher wie ein Mann. Die Irritationen rühren wohl von ihren Eigenschaften, die normalerweise mit „Männlichkeit“ konnotiert werden: Härte, Aggressivität, Entschiedenheit, Durchsetzungsfähigkeit, Durchhaltevermögen, Dynamik. „Stimmt das Gerücht, daß Mrs. Thatcher eine Frau ist?“, war ein beliebter Witz zu Beginn ihrer politischen Karriere. Helmut Schmidt bedachte sie mit dem Spitznamen „Rhinozeros“, andere nannten sie „den blonden Tornado“ oder „Attila, die Henne“.

Aber: Mrs. Thatcher ist „weiblicher“, als uns vielleicht lieb ist. Schon rein äußerlich. „Die Hosen an“ hatte sie nur im übertragenen Sinne, im wirklichen Leben aber trug sie niemals welche. Die Gipfeltreffen europäischer Staatsmänner erstürmte sie in Pumps, die keinen sicheren Tritt zuließen. Sie verwendete enorm viel Zeit für ihre Garderobe und ihre Frisur. In der Zeit zwischen zwei Friseurbesuchen benutzte sie elektrische Lockenwickler, denn sie hatte eine geradezu neurotische Angst, einige Haare könnten aus der Reihe streben.

Ohne dieses weibliche Outfit wäre Mrs. Thatcher womöglich nie so hoch aufgestiegen. Ihre „männlichen“ Eigenschaften machten Politikern und Bevölkerung Angst genug, mit ihrem damenhaft-betulichen Auftreten demonstrierte sie jedoch, daß sie eine ganz traditionelle Frau war. Das tat sie wahrscheinlich nicht einmal in berechnender Absicht, sondern aus einer heftigen inneren Vermännlichungsangst. Wenn eine Frau Parteiführer sei, so erklärte sie einmal, müsse sie nicht nur Politiker sein, sondern auch gut aussehen.

Anfang der achtziger Jahre befand sich die britische Ökonomie ebenso im Keller wie Thatchers Popularität. Die Nachricht vom 31. März 1982, argentinische Truppen seien in der Hauptstadt der Falklandinseln gelandet, kam der Premierministerin wie gerufen. Thatcher wußte die plötzlich wieder aufbrechenden kolonialistischen Sehnsüchte nach dem verlorenen British Empire geschickt zu schüren. Sie schickte Truppen los, die die Inseln in einer grausligen Schlacht zurückeroberten, bis Argentinien am 14. Juni 1982 die weiße Flagge hißte. Die Befreiung von einer halben Million Pinguinen und 1.800 Inselbewohnern hatte Galonen von Blut gekostet.

Im Jahr 1983 trat sie nach Unterhauswahlen zu ihrer zweiten Amtszeit an, 1987 gewann sie zum dritten Mal mit beträchtlichem Vorsprung vor Labour. Doch was sie groß gemacht hatte, machte sie auch wieder klein: Im Herbst 1990 rebellierten ihre Minister gegen ihren selbstherrlichen Führungsstil. Als sie eine innerparteiliche Stichwahl verlor, trat sie am 22. November 1990 um der „Einheit der Partei“ willen zurück. In Eisenrüstung und mit wehender Fahne ging sie unter, nicht ohne einige Tränen zu vergießen.

Ihr Regierungsstil war die Neuanwendung einer uralten weiblichen Rolle. Margaret Thatcher agierte gegenüber ihrem Kabinett und ihren WählerInnen wie eine strafende Mutter oder, britisch gewendet, wie eine „Nanny“: Gouvernante, Hausdame, Kindermädchen und krankhaft sparsame Haushälterin in einer Person. Der frühere taz-Journalist Rolf Paasch sah in ihr eine Haushälterin, die es verstanden habe, „den tief in der englischen Psyche verwurzelten Masochismus“ anzusprechen. Auf die Journalistenfrage, ob eine Frau in der Politik nur dann etwas werden könne, wenn sie männliche Eigenschaften habe, antwortete sie einmal: „Gewiß, ich höre die Leute sagen: Sie ist der beste Mann in der Politik! Und ich antworte: Nein, viel besser, sie ist die beste Frau.“

Die Nanny ist gleichzeitig so etwas wie eine weibliche Tugendwächterin, und als solche trat auch Maggie Thatcher mit ihrer Betonung der alten „viktorianischen Tugenden“ auf. Für eine in der Öffentlichkeit agierende Frau, zumal im konservativen Lager, war das womöglich unabdingbar.

Wer sich als Frau in die Öffentlichkeit wagte, setzte sich stets dem immer noch untergründig wabernden Verdacht aus, eine öffentliche Frau, also eine Hure zu sein. Diesem Verdacht konnte Mrs. Margaret Thatcher nur entgehen, indem sie sich als „Eiserne Lady“ gleichsam den Keuschheitsgürtel umschraubte. Wenn die Lady nicht eisern gewesen wäre – sie wäre wohl nie Premier geworden.

Ute Scheub, 43, taz-Gründerin und freie Autorin, lebt in Berlin. Dieser Text beruht auf einem Vortrag auf der Tagung „Machtgefunkel“, veranstaltet von der Katholischem Akademie in Stuttgart. Die dort gehaltenen Vorträge zum Thema „Frauen und Macht“ erscheinen demnächst als Sammelband beim Schwabenverlag