„Man kann nicht einfach nichts tun“

■  Nach einem Besuch in albanischen Flüchtlingscamps berichtet die Gynäkologin Monika Hauser von mißhandelten und schwerst traumatisierten Kosovarinnen. Sie fordert, Milosevic vor das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu stellen

taz: Es häufen sich Berichte, daß Kosovo-Albanerinnen von serbischen Soldaten vergewaltigt werden. Was haben Ihnen die Frauen erzählt?

Monika Hauser: Aus den Aussagen derjenigen Frauen, die Gewalt selbst erlebt haben, und Augenzeugenberichten können wir bestätigen, daß es sehr verbreitet Gewalt gegen Frauen gibt. Allerdings ist es unmöglich, sich derzeit ein klares Bild zu machen. Von massenhaften oder systematischen Vergewaltigungen würde ich deshalb noch nicht sprechen.

Aber Gewalt gegen Frauen gibt es?

Aus all dem, was wir gehört haben, läßt sich schließen, daß vielfach Gewalt gegen Frauen angewendet wurde: Serbische Einheiten sollen in Dörfer eingefallen sein, haben die muslimischen Eliten in Lagerhallen zusammengepfercht und die Frauen unter ihnen herausgeholt. Nach einigen Tagen kehrten die dann halbtot und schwer verletzt zurück. Allerdings sprechen die Frauen noch nicht alle. Zum einen, weil sie noch unter Schock stehen. Zum anderen, weil sie aus einem sehr patriarchalen Kontext kommen.

Es heißt auch, die Serben würden diesmal ihre Ankündigung wahrmachen und die Frauen nach der Vergewaltigung töten, damit sie nicht mehr aussagen können. Gibt es dafür Belege?

Wir haben Geschichten gehört, wo Frauen nach ihrer Verschleppung nicht mehr zurückgekommen sind. Niemand weiß, ob sie tot sind.

Im Bosnienkrieg haben Sie einmal gesagt, die Ignoranz gegenüber der Logik des Krieges mache Sie fertig. Wie beurteilen Sie die Situation heute?

Es ist eine andere Situation als in Bosnien. Ich kann es unterstützen, daß dieses Mal eingegriffen wurde. Ich war eine pazifistische Feministin, als ich 1992 nach Bosnien gegangen bin. Aber ich habe in dieser Situation gemerkt, daß Pazifismus ein Luxusartikel ist. Ich denke, wenn man mit demokratischen Mitteln nicht mehr weiterkommt, dann gibt es keinen anderen Weg mehr. Miloevic muß nach Den Haag. Dieses Regime muß weg.

Die Bosnierinnen fühlten sich vor sechs Jahren von der ganzen Welt verlassen. Wie fühlen sich die Kosovo-Albanerinnen?

Auch wenn die Frauen wissen, daß die Bomben anscheinend noch nicht das Mittel sind, Miloevic zu stoppen, hoffen sie trotzdem, daß sie ihn aufhalten. Aber es gibt auch viele Kosovo-Albanerinnen, die nichts mehr sagen, weil sie nur noch Angst um ihre Männer haben. Sie sind schwerst traumatisiert. Manche haben vielleicht fünf, sechs Kinder; wenn da kein Mann mehr ist, haben sie keine Perspektive mehr. Was soll ich ihnen noch sagen? Man ist wortlos.

Sie haben einmal gesagt, die Bosnierinnen hätten eine Holocaust-Situation überlebt. Machen die Kosovo-Albanerinnen dasselbe durch?

Ich denke, wenn wir die volle Wahrheit wissen werden, wird es für uns unvorstellbar sein, was die Frauen erlebt haben. Für die Kosovo-Frauen ist das noch mal schlimmer, weil sie seit zehn Jahren in der Unterdrückung gelebt haben. Wenn man sie auf ihre vielen Kinder anspricht, dann sagen sie, eins war immer für Miloevic bestimmt. „Wir wußten immer“, erklären sie, „daß Miloevic uns auslöschen will. Deshalb haben wir immer ein Kind mehr bekommen, weil wir dachten, eins bringt er sicher um.“

Kann man deshalb von Holocaust sprechen?

Holocaust? Irgendwann beschreibt das Wort nicht mehr das, was die Menschen erlebt haben.

Nach dem Bosnienkrieg hieß es, Heilung der Traumatisierten wäre nur dann möglich, wenn in Den Haag ausgesprochen werde, was geschehen ist. Wie schätzen Sie den Erfolg des Kriegsverbrechertribunals nach sechs Jahren Arbeit ein?

Manchmal ist der Weg zum Urteil schmerzhaft. In Den Haag gibt es zwar Leute, die wirklich bemüht sind, die Dimensionen der sexualisierten Gewalt darzulegen, aber dennoch: Manchmal wird die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen in Zweifel gezogen. Sie müssen dann sagen, daß sie nicht traumatisiert sind. Das ist ein Armutszeugnis.

Breitet sich jetzt schon wieder das große Schweigen über die Gewalt an den Frauen aus?

Wenn ich sehe, wie sich jetzt die Medien auf die Frauen stürzen, denke ich wieder, was wird in einem Jahr sein? Wer wird uns noch Geld geben, damit wir weitermachen können? Wer wird dann noch über die Frauen reden? Jetzt will man nur viele Details über die Vergewaltigungen wissen.

Die Bomben der Nato haben bisher die menschliche Katastrophe nicht verhindern können. Was soll die Nato jetzt tun?

Ich habe keine Lösung. Ich weiß nur, daß da noch Tausende im Kosovo sitzen und verrecken. Daß alles weitergeht, während die Bombardierung läuft. Ich weiß nur, daß man nicht nichts tun kann. Es muß ein humanitärer Korridor geschaffen werden. Es kann nicht sein, daß wir von draußen zusehen, was da drinnen geschieht. Interview: Petra Welzel