Undergroundblatt mit erotischen Fotos

Eine Ausstellung im „Schwulen Museum“ in Berlin würdigt die Schweizer Zeitschrift „Der Kreis“. Deutsche Homosexuelle schmuggelten das Blatt, das in der Bundesrepublik der 50er Jahre offiziell nicht zu kaufen war, weil Homosexualität noch verboten war, über die Grenze  ■   Von Jan Feddersen

Die Herausgeber baten darum, „einwandfreie“ und „nicht zu eindeutige“ Freunschaftsanzeigen zu formulieren, sonst könnten sie nicht erscheinen. Den Inserenten war also Feingefühl abgefordert: Wie soll eine Annonce gehalten sein, in dem der dringende Wunsch nach sexuellen Kontakten deutlich wird, ohne die Sittlichkeitshüter aufzuschrecken? Die Zeitschrift, die diese journalistische Balance zu halten suchte, hatte allen Grund, mehr oder weniger konspirativ zu arbeiten.

Sie hieß Der Kreis und war seit Zerschlagung der Homosexuellenbewegung 1933 durch die Nazis das einzige Periodikum, das für ein schwules Publikum gemacht wurde. Es erschien in der Schweiz. Deutsche Homosexuelle schmuggelten, nachdem sie sich in Zürich oder Basel auf entsprechenden Tanzverstaltungen vergnügt hatten, Exemplare vom Kreis in ihre Heimat zurück, versteckt unter Hemden, in Hosenbeinen oder Geheimfächern von Koffern.

Die neue Ausstellung im „Schwulen Museum“ in Berlin erinnert an diese Zeitung, die, was Dezenz und Diskretion anbetrifft, das Gegenteil von dem war, was heutige Homozeitschriften wie Box, Gay Express oder selbst die Siegessäule bieten. Keine grellen Bilder, dafür ästhetisch gehaltene Fotografien, die, von allem vordergründig sexuellem Inhalt getilgt, für Kunst im Geiste der Griechen gehalten werden konnten.

Die einzelnen Lichtbilder, Dokumente, Abschriften und Originalausgaben wirken wie Schnipsel aus einer Zeit, über die alle Beteiligten bereits hinweggestorben zu sein scheinen. Ein Trugschluß. Wer heute über fünfzig ist, hat sein (oder ihr) Coming-out in einer Zeit haben müssen, als Homosexualität in Deutschland noch strikt verboten war. Der Kreis hätte also hierzulande nie erscheinen können.

1943 erschien dessen erste Ausgabe, redigiert und verantwortet von, so das Pseudonym, „Rolf“. Karl Meier verbarg sich hinter diesem Namen, 1897 in St. Gallen geboren, unehelicher Sohn einer Büglerin, später nicht sonderlich erfolgreicher Schauspieler. Zwei Jahre vor Ende des Zweiten Weltkriegs – das war, als die Nazis schwule Männer noch in Konzentrationslager einlieferten. Die Zeitschrift war von Beginn an eine Art „Gay Switchboard“: Informationsmedium für alle Belange homosexuellen Lebens.

Die politische Strategie „Rolfs“ war schon damals strikt bürgerrechtlich orientiert. Ohne daß es diesen Begriff schon gegeben hatte, galt es, alle rechtlichen und staatlichen Restriktionen gegen Homosexuelle abzuschaffen. Schwule selbst sollten sich am besten nicht zu erkennen geben, provozieren schon gar nicht, sonst wäre es um das Verständnis der Öffentlichkeit schlecht bestellt. Im Kreis schrieben exilierte Autoren wie Kurt Hiller, in den fünfziger Jahren Hans Giese. Der Hamburger Psychiater und Sexualwissenschaftler nutzte das Blatt für seine 1958 erschienene Arbeit „Der homosexuelle Mann in der Welt“, in der er nachwies, daß Schwule ebenso fähig zu längeren Beziehungen sind wie Heterosexuelle auch. Das nimmt sich heute wie ein Kalauer aus – damals diente der Hinweis als Argument, daß Schwule nicht von morgens bis abends als triebhafte Monster dem nächsten Sex entgegengieren.

Die ersten Auszüge aus dem amerikanischen Kinsey-Report, dessen empirisch astreiner Befund die gesamte Sexualwissenschaft der kommenden zwei Jahrzehnte revolutionieren sollte, konnten nur im Kreis publiziert werden. Darin stand zu lesen, daß das Bild, das bürgerliche Gesellschaften von sich und ihren Familien entwerfen – Vater, Mutter, Kinder, sexuell reinlich – falsch ist. Vielmehr hätten Ende der vierziger Jahre Männer und Frauen viel öfter homosexuelle Kontakte als angenommen.

Versuche, das Blatt Anfang der fünfziger Jahre in der Bundesrepublik vertreiben zu dürfen, scheiterten an den Jugendschutzgesetzen der Adenauer-Republik. Die Schweizer Herausgeber, die kaum damit rechneten, daß die neue Bundesrepublik Schwule ebenso drakonisch verfolgt wie ihr Vorgängerregime, leisteten bis weit in die sechziger Jahre hinein vor allem Servicearbeit für ihre deutschen Leser: Wer hilft mir beim 175er-Verfahren? Wie schaffe ich es, daß meine Vermieterin mich nicht anzeigt, wenn mein „Bekannter“ (damals für: Freund) mich besucht? Wie erhalte ich Entschädigung für meine Zeit im KZ, ohne daß herauskommt, daß ich den Rosa Winkel trug? Wie finde ich einen „treuen Begleiter durch alle Lebenslagen“?

Die Ausstellung ermöglicht nur einen kleinen Einblick in die Geschichte des Kreis. Nach der Auflösung 1967 wurden der gesamte Schriftverkehr und die Mitgliederkartei zerschreddert. Sichtbar wird dennoch ein wenig Gesellschaftsleben vom sogenannten anderen Ufer. Lichtbilder von Tuntenbällen, Fasnachtsfeiern, Männer (und ihre Scheinfreundinnen) beim Zechen. Frühere Prominente wie die Schauspieler O.E. Hasse und Hubert von Meyerinck sind zu sehen, auch der heutige Rhetoriktrainer Samy Molcho. Viel hat sich offenbar seit damals in ästhetischer Hinsicht nicht getan, von rechtlichen Gleichstellungen und Liberalisierungen abgesehen – Männer und Frauen beim Spielen mit Geschlechterrollen.

Unbedingt empfehlenswert ist die Ausstellung sowieso, besonders aber für diejenigen, die die gesellschaftliche und juristische Gleichstellung Homosexueller für ein ästhetischen Fragen untergeordnetes Thema halten. Der Kreis gibt heute noch Auskunft darüber, daß illegale Zeiten meist keinen besonderen Spaß machen.

„Der Kreis. Mitglieder, Künstler, Autoren“. Bis 25 Juli, Mehringdamm 61, Tel.: (030) 69 59 90 50. Der Ausstellungskatalog ist im Rosa Winkel Verlag erschienen, 60 Seiten, 14,80 DM