Letztlich (fast) keine Mitschuld

■ Obwohl man glauben könnte, "Die Darstellung der Kurdenproteste in den Medien" sei derzeit nicht von primärem Interesse, gab es in Berlin eine bezeichnend hilflose Diskussionsveranstaltung zum Thema

Irgendwie ist das auch ein Fazit. „Lest mehr Romane!“ rief Ömer Erzeren in die Diskussionsrunde, die sich mit der „Darstellung der Kurdenproteste in den Medien“ beschäftigte.

Das trockene und derzeit so gar nicht aktuell anmutende Thema hatte am Dienstag abend immerhin etwa fünzig Interessierte in die Berliner Räume der Heinrich- Böll-Stiftung gelockt. Haben die deutschen Medien nach der Entführung Abdullah Öcalans im Februar mit Schlagzeilen wie „Kurdenkrieg“ und „Kurdenterror“ eine Kampagne inszeniert? Anlaß waren die zum Teil gewalttätigen Demonstrationen in Europa. Beim Versuch, das israelische Generalkonsulat in Berlin zu stürmen, waren im Februar drei kurdische Demonstranten erschossen worden.

Um herauszufinden, was damals durch die deutsche Presse ging, hatten die Veranstalter, das Dritte-Welt-JournalistInnen-Netz und Mediawatch, neben dem früheren taz-Türkei-Korrespondenten Ömer Erzeren noch die Auslandschefin der Berliner Zeitung, Martina Doering, den freien Journalisten Thomas Ruttig, den Wissenschaftler Ferhad Ibrahim und Peter Brinkmann („Ich war im Golfkrieg der verletzte Journalist, den Saddam Hussein im Krankenhaus besuchte“) vom Lokalboulevardblatt Berliner Kurier eingeladen.

An den Golfkrieg 1991 fühlte sich auch Ömer Erzeren erinnert. „,Die Kurden‘ wird gesagt, wenn die PKK gemeint ist. Das ist das Muster der Ethnisierung, das in den Berichten angewendet wird. Im Golfkrieg hieß es ,der Araber‘, wenn von Saddam Hussein die Rede war.“ – „Das ist keine Ethnisierung, sondern eine Simplifizierung“, widersprach Peter Brinkmann; Journalismus sei nun mal, „die Dinge so einfach darzustellen, daß ein Quentchen Wahrheit übrig bleibt. Je größer das Quentchen ist, um so besser.“

Zu der Stürmung des israelischen Konsulats war es gekommen, nachdem die Nachrichtenagentur dpa eine Meldung verbreitet hatte, wonach der israelische Geheimdienst Mossad der türkischen Regierung bei der Öcalan- Entführung geholfen habe. „Diese unbewiesene Behauptung als Meldung zu versenden, war verantwortungslos“, bekannte Martina Doering, deren Blatt die Ente auch gedruckt hatte. Der Politologe Ferhad Ibrahim mochte sich darüber nicht empören. „Noch ist Israels Beteiligung nicht bewiesen“, sagte er, und verwies auf israelisch-türkische Verträge, ohne freilich zu begründen, warum Demonstrationen nicht vor den Botschaften von Ländern, die zusammen mit der Türkei in der Nato militärisch zusammenarbeiten, stattfanden. Und Thomas Ruttig, der u.a. für das Neue Deutschland berichtet, bemerkte bloß, daß doch Geheimdienste ohnehin alles dementieren und deswegen die Israel-Connection sehr wohl stimmen könne. Daß die deutsche Presse mit dem Abdrucken der Mossad-Falschmeldung einen Teil der Schuld an der Eskalation der Kurdenproteste auf sich genommen hat, wollte bis auf Frau Doering niemand so recht gelten lassen.

Was man daran künftig ändern könnte, blieb offen. „Eine tolle, leider Gottes tolle Debatte“ finde zur Zeit in ihrer Redaktion über die Darstellung des Kosovokrieges statt, erklärte Doering, „diese Debatte setzte im Grunde nach der Stürmung des Konsulats ein“. Nur zu welchem Ergebnis sie führt, wußte auch die Auslandschefin nicht zu sagen. Nachlesbar ist der bessere Journalismus scheinbar nirgends.

Lesern, die wirklich wissen wollen, was passiert, konnten die diskutierenden Journalisten nicht ihre eigenen Blätter empfehlen. Peter Brinkmann riet, ins Land zu reisen, Martina Doering empfahl das Studium von ganz vielen verschiedenen Zeitungen, Ferhad Ibrahim und Thomas Ruttig rieten, den Kontakt mit Wissenschaftlern zu suchen. Und Ömer Erzeren schlug eben vor: „Lest mehr Bücher, lest mehr Romane! In der Fiktion gibt es mehr Realität als in den Medien.“ Martin Krauß