Melange de France

Auch eine Form der Integrationspolitik: Beim „Printemps de Bourges“ werden weltmusikalische Mischungen auf ihre Marktreife getestet. Auf diesem Gebiet schreibt Frankreichs wichtigstes Musikfestival Erfolgsgeschichten wie die der Sängerin Lhasa  ■   Von Daniel Bax

Der Name täuscht. Frühlingshaft warm ist es selten beim „Printemps de Bourges“. Und wenn gegen Ende die Zahl der Sonnenbrillen zunimmt, dann liegt das weniger am schönen Wetter. Dem Nieselregen zum Trotz simulieren Freiluftbühnen und fliegende Händler den Sommeranfang. Frisch importierte Indienblusen, T-Shirts aus Thailand und Dönerbuden – das Standardangebot. Und über allen Zeltdächern das Tamtam afrikanischer Djembe-Handtrommeln, allgegenwärtig.

Bourges ist ein Markstein französischer Kulturpolitik, im Sinne der Dezentralisierung weitab von Paris etabliert, hochsubventioniert und mit dem Integrationsauftrag, die verschiedenen Jugendszenen zusammenzuführen – nicht zuletzt unter den Blicken der französischen Musikgewaltigen, die hier rege Marktbeobachtung betreiben. Daß die Kulturministerin vorbeischaut, ist lediglich eine Selbstverständlichkeit. Denn nur in Bourges trifft der HipHop-Nachwuchs, der in Grüppchen auf Nike-Sohlen übers Festivalgelände schlurft, auf die in Frankreich fast gleich starke Reggaegemeinde, auf die gymnasiale Gitarrenfraktion und die Freunde anspruchsvoller Elektronika. Und wenn sich ein Quartett mit Dudelsack und Drehleier am Marktbrunnen einfindet und mittelalterliche Melodien spielt, wundert sich auch keiner.

Mélange de France. Allerdings hatte der Versuch der Veranstalter, die immer weiter divergierenden Tendenzen unter einen Hut zu bringen, im vergangenen Jahr ein gewaltiges Defizit hinterlassen. In diesem Jahr mußte ein strikter Sparkurs gefahren werden, Gesundschrumpfung unter weitgehendem Verzicht auf internationale Namen. Statt dessen krönten Musiker wie Natacha Atlas, Rachid Taha oder Femi Kuti das Programm, die sich auf ihre Art durch einen internationalen – man darf auch sagen: weltmusikalischen – Stil auszeichnen. Auf diesem Gebiet schrieb das Festival zuletzt seine größten Erfolgsgeschichten. Zum Beispiel Lhasa. Mit melancholischen Chansons, aus einer imaginären Welt mexikanischer Mythen und teils osteuropäischer, teils mediterraner Melodien geboren, lateinamerikanisch und klezmerhaft zugleich, debütierte die damals 24jährige Sängerin aus Montreal vor zwei Jahren in Bourges als Abgesandte aus dem frankophonen Norden Amerikas. Es folgte ein Album, „La Llorona“, das sich sensationell gut verkaufte, sowie eine Tournee, die nach Stationen in Kanada, den USA und Frankreich kürzlich auch für drei ausverkaufte Konzerte nach Deutschland führte. Der Kreis schloß sich nun wieder in Bourges. Im gleichen Konzertgebäude, bloß nicht mehr im Souterrain, sondern im doppelt so großen Hauptsaal. Dort lauschte die Hörerschaft, dichtgedrängt und andächtig, den inzwischen vertrauten Klageliedern, die Lhasa inbrünstig, aber nicht ohne Ironie vortrug: Lamento und Varieté. „Frankreich hat ein System, das sehr effizient ist“, weiß Lhasa um die Gründe für ihre Blitzkarriere. Bedächtig spricht sie und leise, fast schüchtern. „Die Leute hören Musik aus der ganzen Welt. In Kanada sind die Leute schwieriger dazu zu bewegen, etwas Neues zu hören. Deswegen hat es dort viel länger gedauert, bis wir unseren Weg gemacht haben.“ Drei Jahre zog Lhasa, mit Nachnamen de Sela, mit ihrem Gitarristen Yves Desroisiers durch die Rockbars Montreals, bevor sie durch ihren Auftritt in Frankreich auch außerhalb der Stadt bekannt wurde. „Ich hatte einen kahlrasierten Kopf, und wir sangen mexikanische Lieder. Ich glaube, wir waren ein wenig wie Außerirdische.“ Das Repertoire bestand aus Billie-Holiday-Balladen und Eigenkompositionen, aber „mit der Zeit haben die mexikanischen Stücke die Jazzsongs verdrängt“.

Die Arbeit am ersten Album erwies sich auch als Rückkehr zur Sprache der Kindheit. Aufgewachsen in einem ausgebauten Schulbus, mit dem Lhasa mit ihren Eltern und ihren drei Schwestern durch die Gegend zog, kampierte man auf Trailerparks in Mexiko und den USA. Eine Hippie-Familiengemeinschaft, der Vater Mexikaner, die Mutter Amerikanerin, in der die Kinder mittels Fernschulmaterialien unterrichtet wurden. „Weil wir keinen Fernseher hatten, haben wir viele Märchen gelesen, Bücher von Charles Dickens oder Charlotte Brontä.“ Fast klassische Bildung, abgekoppelt von der übrigen Umwelt, und musikalisch begleitet von Bob Dylan, Tom Waits und ungarischer Folklore. Nach der Scheidung ihrer Eltern blieb Lhasa mit ihrer Mutter in San Francisco, später zog sie nach Kanada. „Als ich die Stücke für mein Album geschrieben habe, habe ich viel mit meinem Vater gesprochen, der Lehrer für spanische Literatur ist, und er fütterte mich mit Poesie. Er gab mir alles mögliche aus Lateinamerika und Spanien, von hundert Jahre alten Texten bis zu modernen Sachen, und ich habe gelesen und gelesen und bin wieder eingetaucht in diese Sprache.“

Da klingt es wie Ironie, daß die meisten ihrer Hörer diese Sprache gar nicht verstehen. Der Trend zum Polyglotten ist in Frankreich freilich unverkennbar. Insbesondere in Bourges, wo diesmal eine brasilianische Nacht und eine „Soirée Sitarfunk“ mit DJs aus dem Londoner Club-Underground, Kubas alte Herren von der Vieja Trova Santiaguera und der Komponist Hector Zazou mit irischen Chorgesängen konkurrierten. Anders als in Deutschland fungiert das, was man gerne Weltmusik nennt, in Frankreich als eine Art Gesamtschnittstelle zu anderen Genres. Und im Windschatten des französischen Kulturprotektionismus herrscht ein gutes Klima für musikalische Grenzgänger und Quereinsteiger. Nicht nur für hausgemachte Stars wie Rachid Taha, sondern auch für britische Gruppen wie die Asian Dub Foundation, die als Britpop-Flüchtlinge in Frankreich Asyl fanden und dort mehr Platten verkaufen als in ihrem Herkunftsland. „In Frankreich ist die Musikszene offener, weniger stereotyp. Was nicht heißt, das es keine Stereotype gibt“, befindet Pandit John auf einer Pressekonferenz am Tag ihres Auftritts.

Mustafa Terki, einer der Festivalverantwortlichen, sieht das ähnlich: „Man war viel offener für Exotisches aus dem Ausland als für die Musik vor der eigenen Haustür. Es hat vergleichsweise lange gedauert, bis man auf die algerische Rai-Musik aufmerksam geworden ist.“ Heute dagegen werden in Bourges ständig neue Mischungsverhältnisse auf Marktreife und Exportfähigkeit getestet: Der libanesische Rapper Clotaire K fusioniert HipHop und Beirut-Pop, der Franzose Sawa mischt orientalische Klänge unter Breakbeats. Mustafa Terki sieht das nüchtern: „Es ist gut für Frankreich, und es ist gut fürs Geschäft.“