„Gott gebe, daß Du nicht verletzt wurdest“

■  Vor zwei Jahren besuchte der Journalist Kuno Kruse Studenten in Belgrad und Arbeiter in Kragejuvac. Jetzt, in Zeiten des Krieges, ist der Kontakt abgerissen. Hier schreibt er einen sehr persönlichen Brief an seine serbischen Freunde

Ich weiß, daß Ihr da seid und daß seine Spitzel, seine Polizei und sein Propagandafernsehen Eure Stimmen nur nicht durchdringen lassen, zu uns nach draußen. Denn überall draußen ist jetzt Feindesland von Miloevic. Er hat Euch den unabhängigen Radiosender B 92 abgedreht, wie Miloevic es damals versucht hat, als Ihr 88 Tage auf der Straße wart, und auch die Zeitung Nasa Borba wird nicht mehr gedruckt. Aber deshalb wird er Euch nicht glauben machen, was seine Günstlinge im Fernsehen präsentieren.

Denn ich werde es auch nicht glauben, wenn Fernsehjournalisten hier berichten, daß sich jetzt alle Serben eng um Miloevic scharen. Habt Ihr nicht damals den ersten „Luftangriff“ gegen das staatliche Lügenfernsehen RTS geflogen, mit Euren Schwalben aus Papier?

Ich habe die Fotos aus Belgrad jetzt alle eingeklebt. Auch die aus Ni und Kragejuvac. Die mit den Trillerpfeifen und Trommeln, und dazwischen die rote Fahne, diese Rennfahne von Ferrari. Ich habe die Trompeten noch im Ohr, diesen verqueren Samba. Jede Demo war ein großer Tanz. Und ich sehe wieder Eure jungen, fröhlichen Gesichter. „Karneval der Freiheit!“ Das hattet Ihr so gesagt. Mehr als zwei Jahre ist das jetzt schon her. Jeden Tag wart Ihr auf der Straße. Und Miloevic wurde als Karnevalspuppe durch die Stadt getragen, im Sträflingsanzug.

Für Euch war das damals die Rückkehr in die Weltgemeinschaft. Doch die hielt sich lieber an Miloevic. Die starken Männer Europas haben weiter auf den starken Mann in Belgrad gesetzt, für ihr Gleichgewicht auf dem Balkan. Das schien seit Vance und Owen wichtiger als die Menschen auf dem Balkan. Ihr aber wart auf dem Weg nach Westen. Wir haben Euch begrüßt, wie man es hier eben tut, herzlich, aber flüchtig, um sich dann anderem zuzuwenden. Wir haben Euch nicht die Mittel gegeben, Euch stark zu machen. Jetzt schicken wir hilflos Bomber nach Jugoslawien.

Ich blättere gerade über die Köpfe Eurer Opposition hinweg: Zoran Djindjic und Vuk Drakovic, wie sie, die arme Vesna Pesic und mit ihr die ganze Antikriegsbewegung untergehakt, dem Menschenzug voranschritten. Und wie sie sich die Nasen zuhielten gegen den Gestank im Staate Miloevic, in dem der kleine Diktator jeden Minister mit einem lukrativen Staatsunternehmen verkuppelte.

Und ich erinnere mich wieder, daß Ihr behauptet habt, Zajedno, dieses dreiköpfige Oppositionsgebilde, stinke ebenso wie Miloevic. Ich wollte es Euch nicht glauben, wie ihr da herumhocktet, auf Eurem Nachtlager in der Universität, Ihr mit Euren gelben Haaren. Ich habe Euch unterschätzt, wegen Eurer Jugend. Dabei hätte ich gerade wegen Eurer Jugend wissen müssen, daß Ihr den unverstellten Blick auf die Belgrader Gesellschaft habt. Ihr habt dem eleganten Djindjic mißtraut, und Ihr hattet von Drakovic „Das Messer“ gelesen.

Ich habe nur Drakovic' Bart gesehen und nicht die Barttracht des Tschetniks, und bei Djindjic nur die Wildlederjacke, so eine, wie sie sanfte Intellektuelle gern tragen. Zoran Djindjic ist nach Bosnien zu Karadic gepilgert, um diesem Kriegsverbrecher seine Aufwartung zu machen. Vuk Drakovic ist jetzt Vizepremier unter Miloevic, dem anderen Kriegsverbrecher, und er sagt: „Wir werden für das Kosovo sterben.“ Ihr Studenten habt damals so recht gehabt, als Ihr in Eurer eigenen Demonstration gelaufen seid. Ihr habt damals einfach die Absetzung Eures Universitätspräsidenten gefordert und damit auf das System Miloevic gezielt, dieses Netz aus Mythen und Abhängigkeiten vieler Helfershelfer, in dem sich jetzt auch Djindjic und Drakovic verfangen haben. Ich habe den feinen Universitätspräsidenten jetzt im Fernsehen gesehen. Er hat als Stimme der Belgrader Intelligenz gegen die Nato-Angriffe protestiert. Aber ihr kennt Miloevic' Statthalter auf dem Campus ja zur Genüge, könnte man sagen!!!

Ich habe auch die Steine gesehen, die in das Amerikahaus geflogen sind, die Bücherregale, die auf der Straße lagen. Ich weiß, daß diejenigen die Scheiben eingeschlagen haben, die nie in das Haus gegangen waren. Ich weiß, wie wichtig Euch diese Kultureinrichtungen waren. Von Eurem Belgrad war das Kosovo damals weiter weg als New York. Ihr habt über die Popen gespottet, denen die Gebeine wichtiger sind als die Lebenden. Auch Eure Eltern hatten andere Sorgen als das Amselfeld, zum Beispiel die, mit dem spärlichen Lohn über den Monat zu kommen.

Ihr fühltet Euch damals von den Kosovaren im Stich gelassen, weil sie einfach die Wahl boykottiert hatten und damit auch Euch. Die Albaner sind sicher störrisch, nationalistisch. Aber wundert es, nach dem, was dort in all den Jahren passiert ist? Und warum hätten sie wählen sollen, wenn Miloevic' Sozialisten selbst in Belgrad die Stimmen falsch auszählten?

Niemand hat die Oppositionsführer nach dem Kosovo gefragt. Wir haben uns mitreißen lassen von diesem fröhlichen Sturm gegen den Wahlbetrug. Warum hätte man über ethnische Rechte streiten sollen, die doch ganz selbstverständlich sind, wenn man sie nur gewährt. Und wer hätte daran gezweifelt, daß man sie in einem demokratischen Jugoslawien gewährt?

Und Du, alter Bär aus Kragejuvac, mit Deinem Walesa-Bart und den Schwielenhänden, wir haben stundenlang in diesem Café gesessen. Du hast immer die nationalistischen Töne der Oppositionsführer mitschwingen hören. Nicht aus Zajedno, nur aus der Studentenbewegung würden die Köpfe und auch die Herzen für eine Demokratie kommen, das hast Du immer gesagt, Du, der Fabrikarbeiter.

Miloevic nach Den Haag! Das hast Du gefordert, Bär von Kragejuvac. Du warst da, als Vukovar brannte, warst Soldat. Du hast gesehen, wie der Krieg die Verbrecher entfesselt. Und weil Du in Vukovar warst, weißt Du auch ohne Fernsehnachrichten, was jetzt im Kosovo passiert. Und ich weiß, daß Du es weißt, weil Du Dich auch damals nicht täuschen ließest.

Jetzt haben Nato-Flieger Eure Fabrik bombardiert. Ich habe die zerstörten Hallen gesehen. Zwei große Angriffe. Gott gebe, daß Du nicht verletzt wurdest und auch keiner Deiner Freunde. Weißt Du noch, wie alle zusammen die 200 Kilometer nach Belgrad gefahren sind? Und wie Ihr, Arbeiter aus Kragujevac, dort mit den Studenten von der Uni in die Stadt hineingezogen seid? Ich habe die Fotos vor mir liegen, von Euch, den Arbeitern, die für den Kapitalismus demonstrierten.

Der Yugo war damals schon lange nicht mehr vom Band gelaufen. Die Hallen standen voll von diesen Autos, die keiner mehr kaufen wollte. Und wer vielleicht gewollt hätte, der konnte nicht bei dem Preis. Der stand vielleicht auf einem dieser wilden Märkte, um eine Steckdose zu verkaufen oder wenigstens zu tauschen, gegen Schrauben, ein Rohr oder einen Wasserhahn. 32.000 von 40.000 Arbeitern standen bei Euch auf der Reserveliste, dieser sozialistischen Variante von Kurzarbeit Null. Ein paar Jagdwaffen habt Ihr noch zusammengebaut. Ich weiß, daß auch Ihr die serbische Kriegsmaschinerie zerstört habt, indem Ihr Euch geweigert habt, die großen Waffen für die Armee weiterhin zu produzieren, weil die ruinierte Staatsmacht schon lange nicht mehr dafür bezahlt. Ihr hättet das auch den Kameraden von der Nato vielleicht einmal stecken müssen. Schließlich habt Ihr damals diesen General zum Teufel gejagt, der Euren Fabrikdirektor mimte. Leider nicht all die anderen Funktionäre, die weiter Waffen bauen wollten.

Nun ist Euer Traum von einer Umstellung auf zivile Produktion zerstört. Ich weiß nicht, wie Du darüber denkst. Ich habe in Bosnien auf diesem Acker gestanden, unter dem die Toten verscharrt waren, und deshalb zweifle ich an den Greueltaten im Kosovo. Und deshalb meine ich, daß es jetzt keine Alternative mehr zu den Bomben gibt. Aber ich lebe auch nicht in Kragujevac.

Natürlich verstehe ich die Nato-Kommandeure auch nicht, die statt der Panzer im Kosovo nur Euer Werk treffen und die Brücke von Novi Sad. Dort im Norden wurden die Oppositionszeitungen gedruckt, für die es in Belgrad keine Rotationsmaschine und schon gar kein Papier gab. In Novi Sad war doch so viel Hoffnung, daß Serben, Ungarn und andere doch zusammenfinden. Vielleicht glauben unsere Strategen, wir könnten Miloevic erschrecken, wenn Serbien brennt. Und ich bete, daß sie darin nicht irren. Ihr kennt ihn besser. Ihr wußtet, er hätte in Belgrad auch auf Euch schießen lassen. Habt ihr es auch noch im Ohr: „Baba Jula“? Ich habe die CD von Dopa noch einmal aufgelegt. Von allen Häuserwänden Belgrads schallte der Rocksong vor zwei Jahren wider. Ihr habt mir das Wortspiel aus Baba, altes Weib, und JUL übersetzt. JUL, das Kürzel für die „jugoslawische Linke“, diese kommunistische Partei von Mira Markovic, Miloevic' Gattin. Sie hat mehr Millionäre unter ihren Mitgliedern als Wähler. So habt Ihr damals gelästert. Ihr wußtet alles über Miloevic junior, den Diskothekenmillionär mit dem Faible für schnelle Autos, die nicht bremsen für Untertanen. Wahrscheinlich habe ich Euch deshalb nicht auf den Fernsehbildern von den lebenden Schutzschildern wiedererkannt, die sich auf die Brücken gestellt haben. Die Leute sahen anders aus als Ihr auf meinen Fotos.

Wißt Ihr noch, daß ich in diesem Hotel wohnte und Ihr mir gesagt habt, daß es Arkan gehörte, wie diesem Kriegsverbrecher vieles in Belgrad gehört. Das dankt er dem Embargo, das ihn reich machte, und seiner Privatarmee, die raubend durch Bosnien zog. Ich hatte Arkans „Tiger“ in Erdut gesehen, nicht weit von Vukovar. Sie lagerten in einer alten Kelterei, Mauer an Mauer mit belgischen UN-Soldaten. Und der UN-Offizier sagte: „Wenn hier etwas passiert, dann sind wir als erste tot.“ Das war 1993, lange vor Srebrenica. Und wundert Ihr Euch da, daß sich die Albaner in Rambouillet nicht mehr auf Blauhelmsoldaten verlassen wollten?

Ihr habt mir im Café von dieser Fernsehsendung mit der Sängerin erzählt, Interpretin dieser Turbo- Volksmusik. Sie ist mit Arkan verheiratet. Die Zuschauer durften anrufen, direkt hinein in die Unterhaltungssendung.

Und dann war da diese Frau am Hörer, die den Schlagerstar auf ihr Collier ansprach, das sie so wunderschön finde. Und die Anruferin erzählte, die Kette habe einmal ihrer Tochter gehört, sie erkenne sie, weil ein kleiner Stein fehle. Die Sängerin solle den Schmuck ruhig tragen. Denn die Tochter sei tot. Die Männer von Arkan hätten sie ermordet. Der Moderator stammelte verlegen. Eine peinliche Panne, und das im Staatsfernsehen. Ihr habt diskutiert, ob das vielleicht eine Inszenierung gegen Arkan gewesen sein könnte. Dabei nimmt die Wahrheit oft seltsame Wege.

Auch Arkan habe ich jetzt im Fernsehen gesehen. Er stand auf diesem Rockkonzert gegen die Bomben auf Belgrad, seine beiden Kinder im Arm, mit den schicken weichen Pelzmützchen. Seine „Tiger“, so berichten die Flüchtlinge, wüten im Kosovo. Schließlich war Arkan ja auch Abgeordneter des Kosovo im jugoslawischen Parlament. Selbst schuld, daß die Albaner nicht gewählt haben?

Ihr geht auch zu den Rockkonzerten, und Ihr wollt, daß das Bomben aufhört. Und daß die Menschen im Westen endlich begreifen, daß Ihr zu uns gehört. Daß Ihr auch R.E.M. hört, Viva seht, daß Ihr die gleichen Filme liebt wie wir. Aber wer ist das, der sich in Belgrad jetzt diese Zielscheiben an die Märtyrerbrust steckt? Das könnt doch nicht Ihr sein! Es ist so viel Lüge in dieser Geste. Ihr werdet sie durchschauen.