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Wie konsequent ist die deutsche Außenpolitik? Während auf Serbien Bomben regnen, verzichtet Bonn weiter darauf, das ebenso unterdrückerische Regime Peking zu strafen  ■ Eine Polemik von Jürgen Kremb

Neulich saß ich mit einem alten Bekannten in Taipeh zusammen, einem der führenden Beamten Taiwans, das man mittlerweile getrost als Asiens lebendigste Demokratie bezeichnen kann. Im Gegensatz zu mir hat er es weit gebracht – nicht nur in seiner Karriere, auch politisch. Während er noch vor zehn Jahren die taiwanische Regierungspolitik nachbetete und auf Gedeih und Verderb die Wiedervereinigung mit dem kommunistischen Festland verlangte, gibt er heute ungeniert den O-Ton der heimischen Opposition von sich, die zwei chinesische Staaten fordert.

„Sag mal“, überrascht er mich: „Warum sind die deutschen Linken eigentlich noch immer solche Rassisten?“ Nicht gerade die asiatische Höflichkeit, dachte ich zuerst, fragte dann aber freundlich zurück, ob mich mein Chinesisch vielleicht im Stich gelassen hatte. „Ja“, sagte mein Freund, „gegen das Apartheidregime in Südafrika habt ihr den Konsumboykott organisiert, für die PLO seid ihr auf die Straße gegangen, und wenn jetzt die Serben die MenschenRechte der Kosovo-Albaner mit Füßen treten, führt Deutschland zum erstenmal seit 1945 Krieg. Angeführt ausgerechnet von zwei Alt-68ern als Kanzler und Außenminister.“

„Aber wo ist da der Rassismus?“ wollte ich wissen. „Na ja“, sagte mein Freund, „versteh mich nicht falsch, es ist grauenhaft, was auf dem Balkan passiert, aber das kommunistische Regime in Peking hat 70 Millionen Chinesen auf dem Gewissen und wird trotzdem mit Säcken voller Geld aus dem Westen vor dem Zusammenbruch bewahrt. Und die kritische Linke sieht in Jiang Zemin und Zhu Rongji schon wieder die Erfinder des dritten Weges. Selbst wenn Peking androht, Taiwan mit Gewalt heimzuholen, deklariert ihr das zur internen Angelegenheit. Ergo: Wenn ein paar Millionen Chinesen krepieren, dient das eben einer guten Sache. Ist das kein Rassismus?“

Reflexartig wollte ich zunächst gegenhalten. Von wegen deutsche Verantwortung vor der Geschichte, und vor allem könne man ja wahrlich Kommunismus und Sozialismus (Achtung: linke Todsünde) nicht mit dem Faschismus gleichsetzen. Aber – eigentlich hat er doch recht.

Wenn es um die Verbrechen des chinesischen Regimes geht, wird die heilige Allianz von deutscher Wirtschaft und Politik nur noch von der deutschen Linken übertroffen, die – wie weiland schon Franz Josef Strauß – bis heute „Wandel durch Handel“ predigt.

Aber hat sich in China wirklich ein historischer Bruch im Gedankengut der Führungsschicht vollzogen? Nein. „Die Kulturrevolution ist lange vorbei“, sagte mir auf einer meiner letzten Dienstreisen ein geachteter chinesischer Naturwissenschaftler, „aber das Momentum dieser unheilvollen Unterdrückungsmaschinerie ist in den Köpfen von Kadern und normalen Leuten noch lange nicht zum Stehen gekommen.“

Daß er das öffentlich zu sagen wagt, meinen viele Sympathisanten und Geschäftspartner der chinesischen KP, „zeigt doch, daß sich viel getan hat.“ Welch ein widerwärtiger Zynismus: Selbst in Suhartos Indonesien gab es mehr bürgerliche Freiheiten als im heutigen China unter Jiang Zemin. Und das Regime von Slobodan Miloevic duldet in Jugoslawien mehr politisch organisierte Opposition, als in der heutigen Volksrepublik China möglich ist.

Stabilität in China und Ostasien sei wichtiger, als demokratische Experimente zu wagen, lautet das vielgehörte Argument, wenn man einen härteren Kurs gegen die KP Chinas fordert. Zu ihr gebe es doch keine politische Alternative. Und im übrigen hätten die Chinesen ja keine Tradition der Aufklärung. Aber genau da liegt er verborgen, der Rassismus. Denn letztlich heißt dies, Chinesen seien dümmer als Südafrikaner, Palästinenser, Koreaner und Filipinos und brauchten die gestrenge Hand der Diktatur. Sie verdienen es, mit Coca-Cola und BigMäc abgespeist zu werden, wenn sie schon keine Gewerkschaften und Pressefreiheit erhalten.

Aber welche Stabilität verschafft das Jiang-Regime dem Westen überhaupt? Durch seinen rücksichtslosen Wachstumssozialismus beschwört es Überschwemmungen, wie im vergangenen Jahr am Jangtse, herauf. Die Armee betreibt Bordelle für arbeitslose Mädchen. Und außenpolitisch? Peking baut militärische Stützpunkte vor der philippinischen Küste aus, degradiert Birma zu einer Art chinesischem Protektorat und droht Taiwan mit dem Militär.

Im Balkan kämpft die Nato gegen den gleichen vormodernen Herrschaftsanspruch, die gleiche Menschenverachtung und den gleichen diktatorischen Ungeist, den sie in Peking bedenkenlos anerkennt. Fordern sollte sie eine wirkliche Autonomie Tibets, eine vorbehaltlose Anerkennung der taiwanischen Demokratie und ihre Ausstattung mit Verteidigungswaffen wie U-Booten und Raketenabwehrsystemen gegen Angriffe des roten Drachen aus China.

Die Politik wird das nicht tun. Sie geht zu sehr am Gängelband der Wirtschaft, die hofft, daß sich ihre Milliardeninvestitionen doch mal rentieren. Kanzler Schröder, der sich noch über Helmut Kohls Besuch bei der Volksbefreiungsarmee erzürnte, will Peking noch im Mai, wenige Tage vor dem zehnten Jahrestag des Tiananmen-Massakers, einen Besuch abstatten.

Natürlich hat Realpolitik nichts mit Moral zu tun. Wo kämen wir Roten da hin. Doch wenn die Entrüstung über die Bomben auf Belgrad echt ist, müßten gerade die Gegner der Nato-Einsätze bei Grünen und SPD sich ernsthaft überlegen, warum sie ihren Sprößlingen im kommenden Winter noch immer Spielzeug aus China unter den Christbaum legen.

Ein Boykott kann Wunder wirken: Der chinesischen Wirtschaft geht es so schlecht wie der indonesischen vor dem Sturz von Suharto. Boykottieren geht mitunter über Debattieren, denn es tut Diktatoren weh, ohne ihre Untertanen zu verletzen.

Jürgen Kremb, 41, ist seit Dezember 1998 Südostasien-Korrespondent des „Spiegel“ mit Sitz in Singapur. Zuvor wurde Kremb nach achtjähriger Tätigkeit für den „Spiegel“ in Peking aus China ausgewiesen. Von 1984 bis 1990 arbeitete Kremb als Redakteur und Korrespondent für die taz.