Leben unter der Plastikplane

Seit zehn Tagen halten Jugendliche vor dem US-amerikanischen Konsulat eine Mahnwache gegen den Krieg in Jugoslawien ab  ■ Von Elke Spanner

Die weiße Plane hebt sich wie ein Theatervorhang. Alkoholdunst und der Qualm von Zigaretten dringen von drinnen nach außen. Dann ist das Innenleben der notdürftigen Plastikhütte zur Einsicht freigegeben. Drei Männer und eine Frau liegen zusammengekauert auf Matratzen. Eingemümmelt in Daunenjacken, von schweren Wolldecken bedeckt. Ausstrecken können sie ihre Beine nicht. Wo soeben noch die Plane Schutz vor dem unwirtlichen Wetter bot, sammelt sich nun Regenwasser in einer Pfütze.

Seit zehn Tagen harren die Jugendlichen vor dem US-amerikanischen Konsulat an der Außenalster aus. Die Mahnwache begannen sie wenige Tage, nachdem die Nato angefangen hatte, Jugoslawien zu bombardieren. „Mein Land“, sagt die Serbin Vanja B. in akzentfreiem Deutsch. Aufgewachsen ist sie in Hamburg.

Vanja B. macht eine Ausbildung zur Masseurin. Doch einen Alltag gibt es für sie zur Zeit nicht. Ihr Leben spielt sich unter der Plastikplane ab. 30 Jugendliche beteiligen sich an den Mahnwachen. Tag und Nacht.

Die meisten kommen täglich für ein paar Stunden. Vanja sagt, sie sei ständig hier, „weil ich für die Sache voll und ganz dasein möchte“. Sie ist sorgfältig geschminkt, als ginge sie gleich ins Büro und nicht unter die Plastikplane, wo alles naß und klamm ist. Wo die Matratzen zu kurz sind, um bequem zu sein. Wo die Decken und die weißen Plastikbecher auf dem Boden rumliegen. Von den leeren Selterflaschen rechts in der Getränkekiste perlen Regentropfen ab. Draußen sind Fahnen gehißt. Die serbische gleich zwei Mal, daneben die Staatsflagge von Griechenland, die des alten Jugoslawien, von Mazedonien, China und Rußland. Die meisten Jugendlichen bei der Mahnwache sind SerbInnen. Ein Iraner harrt ebenfalls seit 10 Tagen aus, auch Griechinnen sollen Wache halten. Deutsche sind kaum dabei.

Zu ihnen versuchen die Jugendlichen Kontakt aufzunehmen, wenn sie an der Mahnwache vorbeikommen. „Viele bleiben stehen und fragen, was wir hier tun“, sagt Sascha P. „Das hier ist die einzige Möglichkeit für sie, mal die andere Seite zu hören.“ Bleibt jemand stehen, erzählen die Jugendlichen etwa, daß die Medien nur Bilder von Militäranlagen zeigen würden, die die Nato zerstört hat. „Aber die Nato fliegt 400 Einsätze am Tag. Wo schlagen wohl die anderen Bomben alle ein?“ Die Bedingungen des Abkommens von Rambouillet habe Milosevic nicht unterschreiben können, finden sie: „Da spricht er ganz für sein Volk.“

Reaktionen von MitarbeiterInnen der amerikanischen Botschaft gegenüber seien noch keine gekommen. Nur einmal habe eine Frau ihnen beim Verlassen der US-Vertretung den Stinkefinger gezeigt.

„Spätestens wenn die Nato Bodentruppen in den Kosovo schickt, wird die Mahnwache sich auflösen“, kündigt Vanja an. Denn dann „gehen wir alle dorthin und kämpfen“. Trägt Sascha deswegen heute schon eine Jacke mit Camouflage-Muster? „Nein. Es ist kalt.“