Die Vertreibung aus dem Kosovo läuft nach Plan

■ Der Krieg ums Kosovo führt zu einer Radikalisierung in den benachbarten Ländern

Als der serbische TV-Kanal Kiss in Makedonien wiederholt erklärte, die Flucht der Albaner aus dem Kosovo sei eine Folge der Bombardements der Nato, löste dies in Makedonien vorwiegend Verwunderung aus. Eine derart unverfrorene Lüge ließ auch die in der Region unerfahrenen Journalisten die Köpfe schütteln. Denn die Nato-Angriffe begrüßen gerade jene, die der Hölle des Kosovo entkommen sind. Die Kosovo-Albaner fordern schon seit Jahren die Einmischung der Nato, um den Terror der serbischen Sicherheitskräfte zu beenden.

Die Vertreibung war lange vorbereitet

Selbst jene, die sich damals in Prishtina aufhielten, als die Nato die Stadt direkt angegriffen hat, wiederholen ständig, daß die Angriffe punktgenau auf serbische Zentralen gerichtet waren, so auf das Polizeihauptquartier, auf Stellungen der Armee, die Luftabwehr und Verwaltungszentralen. Bei den im serbischen Fernsehen gezeigten Bildern von Ruinen der Wohnviertel handelt es sich um von serbischen Truppen gezielt zerstörte Häuser der Albaner.

Ein drittes Beispiel für die Manipulation der Öffentlichkeit ist die Lüge von der „Öffnung der Grenzen“ des Kosovo. Zwar werden ab und an Vertriebene über diese oder jene Grenze geschoben, von einer Öffnung der Grenze kann aber nicht die Rede sein. Die Bilder von der Masse der dorthin deportierten kosovo-albanischen Bevölkerung vor noch wenigen Tagen war den serbischen Propaganda-Zielen abträglich, auch wenn sie politisch gewollt war. Nun versucht Belgrad, die Vertreibungen mit anderen Mitteln fortzusetzen.

Nach und nach wird deutlich, daß der Plan zur Vertreibung der kosovo-albanischen Bevölkerung schon längst vor den Verhandlungen in Rambouillet fertig in den Schubläden der jugoslawischen und serbischen Behörden gelegen hat. Nach den Berichten der Vertriebenen ist die Aktion zur Deportation von Hunderttausenden bis ins kleinste Detail vorbereitet gewesen. Eingeleitet durch Artilleriebeschuß und unter dem Schutz von Panzern wurden die Dörfer und Wohngebiete der Albaner mit Infantrie-Soldaten, Polizisten und Freischärlern eingenommen. Die Bevölkerung wurde nicht nur zur Flucht gezwungen, sie wurde systematisch deportiert. Lastwagen und Busse standen zur Verfügung, die Frauen und Kinder sowie alte Männer an die Grenzen brachte. Die jungen Männer, das bezeugen viele Deportierte, wurden verhaftet oder vor allem in West-Kosovo auf der Stelle erschossen, eine unbekannte Anzahl junger Frauen wurde verschleppt. Als im letzten Sommer die serbischen Sicherheitskräfte 500.000 Menschen in die Wälder oder ins Ausland vertrieben, ihre Häuser und Dörfer zerstörten, wurde die heutige Aktion erprobt.

In der Vertreibung der Kosovo- Albaner spiegelt sich mehr als nur die Politik des Slobodan Milošević und seiner Polizei. Die Brutalität des Vorgehens der Sicherheitskräfte und der Freiwilligen, ihr Auftreten als „Herrenmenschen“, hat ideologische Voraussetzungen, die tiefer reichen, der Rassismus gegenüber den Albanern hat in Serbien eine lange Tradition. Schon der im frühen 19. Jahrhundert lebende Sprachforscher Vuk Karadžić war von der „historischen Mission“ der Serben als „führender Nation“ im Umfeld der südslawischen Völker überzeugt.

Die Deportation von Albanern gehört seit spätestens Ende der Dreißiger zu diesem Programm, als bereits Zehntausende Albaner und Türken das Land verlassen mußten. In den Fünfzigern wurden unter dem jugoslawischen Innenminister Ranković Zehntausende von Albanern und Türken zur Flucht in die Türkei gezwungen.

Das Drama in und um Kosovo hat die Lage in der Region grundlegend verändert. Bisher noch in einem labilen Gleichgewicht, beginnen sich nationalistische Kräfte in Albanien, Makedonien und in Montenegro zu formieren, die dem serbischen Herrschaftsanspruch nun offen gegenübertreten wollen.

Tirana ist mit den Flüchtlingen überfordert

Albanien steht vor der größten Herausforderung seiner Geschichte. Mit der Aufnahme von Hundertausenden von Flüchtlingen ist das Land überfordert. Die gezielten Provokationen der serbischen Armee an der Grenze – seit Tagen schon wird mit Artillerie von der serbischen Seite auf albanisches Gebiet geschossen – können die politische Führung nicht mehr gleichgültig lassen. Trotz einer bisher zögerlichen Haltung der Bevölkerung Albaniens, für das Kosovo in den Krieg zu ziehen, ist bei weiteren Grenzzwischenfällen mit einer Radikalisierung zu rechnen. Schon jetzt fordern nationalistische Kreise in Albanien, Jugoslawien den Krieg zu erklären. Und in Makedonien radikalisiert sich die albanische Bevölkerung. Freiwillige gehen in Trainingslager der UÇK. Die Vertreibung der Kosovo-Albaner scheint zur nationalen Vereinigung der zersplitterten Albaner beizutragen. Der Krieg gegen Serbien wird so eine gesamtalbanische Angelegenheit, die UÇK zum Motor der Bewegung.

Auch in Montenegro will sich die montenegrinisch gesinnte Bevölkerung nicht mehr von den Serben bevormunden lassen. Die Gefahr eines Bürgerkrieges ist nicht mehr auszuschließen. Käme es zu einem Putsch proserbischer Kräfte, wären bewaffnete Auseinandersetzungen wahrscheinlich. Um das durch den slawisch-albanischen Gegensatz labiler werdende Gleichgewicht in Makedonien zu stabilisieren, ist ein Angebot von seiten des Westens schon gemacht: Makedonien soll die Nato-Mitgliedschaft angeboten werden. Erich Rathfelder, Tetovo