Der Sieger heißt Milosevic

■ Die Vertreibung der Kosovaren ist Teil des alten Konzepts eines ethnisch reinen Großserbien. Bisher hat der Westen das hingenommen

Die 90er Jahre sind das Jahrzehnt von Slobodan Milosevic. In drei Balkankriegen hat der serbische Führer die demographische Landkarte der Region neu gezeichnet und Südosteuropa auf Jahrzehnte destabilisiert. Zugleich hat er die westliche Nachkriegsallianz periodisch gespalten, die russisch-westlichen Beziehungen untergraben, den Ruf von UN-Friedensoperationen ruiniert und die Nato gedemütigt. Und selbst wenn Serbien ihm in Ruinen zu Füßen liegt, steht Milosevic als Beweis, daß eine faschistische Politik des Herausschneidens ethnischer Nationalstaaten aus multinationalen Ländern ein durchsetzbares Projekt im zeitgenössischen Europa ist. Es wird sogar belohnt: Internationale Truppen überwachen ein ethnisch geteiltes Bosnien und könnten dies auch gut im Kosovo tun. Die gegenwärtigen Anstrengungen, eine neue „Friedenslösung“ mit dem serbischen Führer zu schmieden, könnten direkt in seine Hände spielen und die Bedingungen seines langfristigen politischen Überlebens schaffen.

Im Kosovo selbst und in den westlichen Hauptstädten nehmen die Umrisse einer für Milosevic und westliche Führer gleichermaßen akzeptablen „Verhandlungslösung“ schon Formen an: Kosovo wird ein Nato- oder UNO-Protektorat, nominell weiter ein Teil Jugoslawiens, aber unter internationaler Verwaltung. Eine ethnische Grenzlinie wie die durch Bosnien wird die Provinz in Sektoren aufteilen: einer für Serben, einer für Kosovo-Albaner. Nicht zufällig würden die heute frisch ethnisch gesäuberten und von der jugoslawischen Armee kontrollierten Territorien – wo sich die Fabriken, die Bergwerke und die orthodoxen Klöster befinden – in serbischen Händen enden. Zwei Millionen ethnische Albaner wären in den Rest gedrängt. Vor Ort scheinen serbische Streitkräfte heute Kosovo-Albaner in die von Belgrad für die Albaner vorgesehenen Gebiete „umzusiedeln“.

Wie Blair und Clinton versprechen, wird nach Ende des Krieges jeder das theoretische Recht auf Rückkehr in seine Heimat haben. Aber es ist vorhersehbar, daß wenige oder keine das über ethnische Grenzen hinweg tun werden – wie in Bosnien. Zum einen werden die Kosovo-Albaner in den neuen, albanerfreien Zonen keine Häuser mehr haben. Und selbst wenn ihnen Wiederaufbaugelder versprochen würden – wenige würden sich entscheiden, als Minderheit in einem serbisch beherrschten Gebiet zu leben. In den verwüsteten kosovo-albanischen Döfern würden serbische Flüchtlinge aus Bosnien, Kroatien und Südkosovo angesiedelt werden.

Eine solche Lösung würde Milosevic stärken. Er wird ein ethnisch kompaktes Großserbien geschaffen haben, auch wenn er für einige Zeit auf „Marionetten“ in „Serbisch-Kosovo“ und der bosnischen Republika Srpska angewiesen wäre. Vor allem wird er aus Jugoslawien die UÇK und über eine halbe Million potentielle albanische Wähler entfernt haben – eine wichtige politische Opposition, sollten Kosovo-Albaner in Jugoslawien ihr Wahlrecht ausüben. Wenn die kosovo-albanischen Stimmen jemals mit Anti-Milosevic-Kräften in Montenegro, der Wojwodina und dem Kern Serbiens zusammenfänden, könnte das für Milosevic und seine Verbündeten das Aus bedeuten.

Der Westen würde Milosevic die idealen Bedingungen für eine Verewigung seiner Herrschaft präsentieren, sollte er mit ihm einen solchen Deal schließen. Die Nato- Luftangriffe haben bereits die Dissidenz niedergedrückt und die demokratische Opposition in ganz Jugoslawien geschwächt. Ein isoliertes, verbittertes, wirtschaftlich verwüstetes Land ist die ideale Bühne für einen Autokraten wie Milosevic. Nato-Luftangriffe auf Fabriken, Brücken und andere zivile Ziele werden sicherstellen, daß Serbien ein fruchtbarer Boden für nationalen Extremismus bleibt.

Was die jugoslawische Armee und die serbischen Streitkräfte vor Ort ausführen, wird von westlichen Diplomaten wie Lord Owen öffentlich als die Endlösung ihrer Wahl zur Stabilisierung des Balkans gepredigt. Owen, der ehemalige UN-Vermittler für Bosnien, tritt dafür ein, Kosovo in zwei Hälften zu teilen und die eine davon zusammen mit dem Osten der Republika Srpska an Jugoslawien anzugliedern. Die Westherzegowina würde an Kroatien fallen, während der Westen der Republika Srspka in Bosnien verbliebe. Ein solcher Deal würde zumindest Belgrads Problem der Wiederbesiedlung des serbisch kontrollierten Kosovo lösen: Der sichere Flüchtlingsstrom aus dem Westen der Republika Srpska würde die demographischen Lücken füllen.

Für Owen spricht, daß er versteht, was westliche Führer und die Nato noch immer nicht verstehen: daß Milosevic die Bedingungen des Rambouillet-Abkommens nie wollte oder anzunehmen gedachte. Kritiker, die glauben, daß es je möglich gewesen wäre, einen Kompromiß mit Milosevic zu schließen, irren sich. Eine politisch autonome Provinz mit Selbstregierung der Kosovo-Albaner hätte Belgrad das letzte Mittel zur Kontrolle über das Kosovo geraubt. Die langanhaltende westliche Strategie, Luftangriffe anzudrohen und dann Milosevic fügsam zu bomben, hatte nie eine Chance; sie gab ihm einfach Zeit, eine ethnische Säuberung zu planen, die seit langem in Arbeit war.

Der serbische Blitz war offensichtlich lange geplant. Die Staatsmedien überschütteten die Bevölkerung ständig mit Bildern von Kosovo-Albanern als primitive Untermenschen – und brachten Serben damit dazu, die Greueltaten zu akzeptieren und sogar zu unterstützen. Und daß ethnische Säuberungen seit acht Monaten im Gange waren, ist kein Geheimnis. Milosevic' Vorbereitung einer Endlösung für das Kosovo-Problem war tatsächlich schon in Arbeit, seit er die Provinz 1989 ihrer Autonomie beraubte. Das Erscheinen der UÇK war eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, eine logische und kalkulierte Konsequenz der erhöhten Repression im Kosovo. Das einzige Geheimnis, und das ist dem moderaten Kosovo-Albaner-Führer Ibrahim Rugova zu verdanken, ist, daß es so lange dauerte, bevor eine bewaffnete nationalistische Bewegung ihr Haupt erhob.

Die westliche Hinnahme der ethnischen Säuberung in Bosnien und Kroatien und die westliche Bereitschaft, aus Frontlinien faktische Grenzen zu machen, gab Milosevic im Kosovo grünes Licht. Eine Verhandlungslösung entlang der in Belgrad angedachten Linien würde das ganze Projekt legitimieren. Der Preis könnte sein: noch ein Jahrzehnt Milosevic. Paul Hockenos

Übersetzung: Dominic Johnson