La french touch

Pariser Pop taugt für Disco wie Wohnzimmer und glitzert geschmackvoll wie gutes Design. Sogar Engländer finden das neuerdings chic. Doch die Basis rüstet sich schon für die Zeit nach der digitalen Dekadenz   ■  Von Ulrich Gutmair

Da steht sie, die Kindergartengruppe, und schreit: „Le Météor! Le Météor!“ Der Meteor, der hier an Ekstase grenzende Begeisterung auslöst, ist die neueste Metrolinie in Paris. Ihre automatischen Züge funkeln in klassisch-futuristischem Chrom, und aus den Lautsprechern ihrer Bahnhöfe zwitschern künstliche Vögel: Willkommen in der Zukunft, dies hier ist Paris. Die Stadt, in der der Fortschritt einen ungebrochen guten Namen hat, sei er auch rein symbolisch. Denn natürlich fährt diese Pariser U-Bahn wie alle anderen auch auf den dicken Vollgummireifen von Michelin.

Daß den Parisern keiner so schnell was vormacht, wenn es um Design geht – sie selbst glauben das traditionell am allerliebsten. Die Existenz einer französischen, noch dazu elektronischen Musik, die international konkurrenzfähig ist, erscheint dagegen als neuere Erkenntnis. Sie nennen es „La French Touch“, die spezifisch französische Art, Musik zu produzieren.

Tatsächlich verkaufen sich die neuen elektronischen Waren der Grande Nation besser im Ausland als zu Hause. Wenn man Pierre-Michel Levallois glauben darf, liegt das paradoxerweise gerade an der erfolgreichen Behauptung eines gallischen Sounds. Französische Produktionen haben einen eigenen Wiedererkennungswert, und das, argumentiert der Mitbegründer des Solid-Labels vom schweren Ledersessel seines kleinen Hinterhofbüros aus, sei das Kennzeichen erfolgreicher Produkte auf dem globalen Markt. Im Gegensatz zur politischen Klasse habe man auf Konsumentenseite nämlich erkannt, daß Euro- oder gar Weltkultur gar nicht attraktiv ist, weil sie alle kulturellen Differenzen letztendlich nivelliere. Paris erfindet sich neu als digitale Metropole, und wir alle sind mit dabei, via Stereoanlage und MTV.

Das lokale Zentralorgan des digitalen Lebenswandels ist die 1998 gegründete Zeitschrift Crash. Das eher elitäre Hochglanzmagazin, das den Slogan „Cybermusicstylesocieté“ im Untertitel führt, lebt vor allem von den jeweils neuesten visuellen Reizen aus der Technowelt: In Ausgabe 1/99 sind das ein Roboterschoßhündchen – dein mechanischer Freund in einsamen Stunden – oder Computer, die man anziehen kann.

Die Crash-Titelhelden fürs erste Quartal des Jahres sind Cassius, die mit ihrer CD „1999“ die Nachfolger des letztjährigen Exportschlagers Air werden sollen. Air hatten das Label „French Band“ gleich als Markenzeichen in ihr Logo integriert und kassierten für ihr Erstlingswerk „Moon Safari“ Awards en masse.

Die englische Lifestyle-Postille Face freute sich ob des exotischen Inputs von der anderen Seite des Kanals, womöglich aber aus den falschen Gründen: Man begrüßte Airs vermeintlichen Befreiungsschlag gegen einen wohl nur imaginären „dancefloor fascism“. Schließlich ist Paris bekannt dafür, keine wirklich prosperierende Clubkultur zu haben. Auch Cassius, deren House-Sounds auf Tanzbarkeit achten, sind Modellen wie Air näher, als man denkt.

Das Projekt ist mehr oder minder typisch für eine ganze Generation französischer Exportgüter, die Clubkultur sagen, aber Pop meinen. Requisiteure sind sie alle. Wo Air die Elektroniksounds der Siebziger mit dem entsprechenden Equipment naturgetreu nachstellen, ein Szenarium für das Tragen von Cashmerepullovern auf der Wohnzimmercouch geschaffen haben, Stichwort: Retrofuturismus, treiben Cassius die Ästhetik des Samplens aber auf die manieristische Spitze.

Hier ist nichts billig oder plakativ, sondern so vordergründig zurückhaltend und ausschließlich geschmackvoll, daß das Endprodukt in seiner Perfektion schon wieder in Bedeutungslosigkeit zu versinken droht: Die zitierten Elemente aus der vornehmlich schwarzen Popwelt der Endsiebziger und Frühachtziger – Funk, Disco und Electro – sprechen vor allem vom guten Geschmack ihrer Sammler. Kein Wunder also, wenn im Zusammenhang mit den profilierten Vertretern des „French Touch“ sich des öfteren das Gefühl einstellt, von überbewerteten Feinästhetiken umgeben zu sein.

Stimmt das? Wie immer lautet die Replik auf Fragen, die mit kulturellen Stereotypen beantwortet werden wollen: Falsch gestellt. Wenn es um im weitesten Sinne elektronische Musik mit Bekanntheitsgrad geht, hat man es entgegen aller Propaganda kaum mit „Frankreich“ oder auch nur „Paris“ zu tun, sondern der immer gleichen, relativ kleinen Posse von Machern mit einem überproportional hohen Anteil gutbürgerlicher Twentysomethings aus Versailles. In Versailles wird kulturelles Kapital gehortet, das sich auf den Popmärkten wieder in bare Münze zurückverwandelt.

Techno scheint dagegen als Parallelwelt mit eigenen Netzwerken von Labels, Clubs, Produzenten und Aktivisten nie wirklich in Paris angekommen zu sein. Paris ist die Stadt der großen Discotheken geblieben, inklusive mehr oder weniger nostalgischer Disco-Soundwelten. Selbst die Techno-Parade, die letztes Jahr zum ersten Mal erfolgreich inszeniert wurde, wurde erst durch den Lobbyismus Jack Langs möglich. Lang hatte in der Libération Techno zur kosmopolitischen Kunstform und damit zum kulturellen Standortfaktor erklärt.

Aber noch ist Frankreich nicht verloren für die Idee, daß all das mehr sein könnte als eine ökonomische Operation. Kultur in Paris sei eine elitäre Angelegenheit, die von oben nach unten diffundiere, meint Jocelyne Auzende vom eben eröffneten Club-Schiff batofar. Die Motivation der batofar- Macher scheint sich dagegen aus einer basisdemokratischen Punk- Ethik zu speisen, die lange Jahre vor allem in der Hausbesetzerszene überlebt hat. Jocelyne besorgt das Booking des Clubs, um Acts aus anderen europäischen Städten nach Paris zu importieren und generell der Idee des Ausgehens einen neuen Impuls zu geben. Auch wenn deren rot-schwarzer Innenanstrich unter Deck dafür ein wenig zu konservativ geraten ist.

Aber auch die Pariser Labels warten mit einer neuen Generation von Produzenten auf. Zum Beispiel Source, das mit seinen Kompilationen den Sound of Paris vor Jahren maßgeblich definiert hat. Das Label, dessen Hauptquartier mit einer Klingelanlage ausgestattet ist, die den Besucher eine Bedienungsanleitung herbeiwünschen läßt, versucht jetzt einen Neustart des Systems für die Zeit nach dem „French Touch“. Denn für Mark Teissier du Cros von Source hat sich die alte Szene auf dem Weg durch die Businessinstanzen bereits ausgelaugt. Er geht den unter diesen Umständen fast logisch erscheinenden Weg, Techno als Modell noch weiter in Richtung Post-Club zu verschieben, als das ohnehin schon der Fall war.

Die eben erschienene „Source Rocks“ bringt einige wirklich interessante Projekte auf den Plattenteller, die die Hegemonie des Versailles-Chics ins Wanken bringen könnten. Die ganz neuen Phoenix begeistern mit einem minimalistischen Track, der von Disco inspiriert ist und an die goldenen Tage von Daft Punk erinnert. Cosmo Vitelli hat dagegen bereits auf zwei EPs seinen eigenwilligen Humor experimentell umgesetzt. Er sampelt frech Robert Wyatt für obskure Disco-Ekstasen und vermittelt in seinen Titeln generell ein post-situationistisch anmutendes Verständnis von Politik: „Auf dem Weg in die 6. Republik“ heißen sie, oder „Hört auf, Tiere zu essen. Eßt Kinder!“

Laurent Garniers Firma F-Com, die einmal als das Technolabel Frankreichs begonnen hat, betreibt dagegen eine pragmatischere Politik und läßt afrikanische Musiker wie Neba Solo oder Nahawa Doumbia durch Elektronikprojekte remixen. So sollen die weiße Mittelklassejungswelt und der französische HipHop-Mainstream mit der marginalisierten afrikanischen Kultur konfrontiert werden, wie F-Com-Marketingchef Laurent Masset erklärt.

Andere Perlen liegen derweil noch mehr oder weniger unerkannt in den Regalen: Daß die Kombination von Genres auf der Basis eines Housebeats nicht beliebig sein muß, beweist Stéphane Malca. Der in Tunis geborene Pionier des französischen Funk fusioniert House-, Funk- und Jazz-Elemente mit einer gänzlich unironischen Soulhaltung, die von diversen Vokalisten in entsprechend klare Worte gefaßt wird. Hier geht es um nichts weniger als den Anspruch auf den ureigenen „Pursuit of Happiness“. Und wenn Malca vom Super Highway spricht, meint er nicht die neue Cyberwelt, sondern eben diesen Weg zum Glück.

Das erinnert an das historisch andere Paris-Image, an Bilder junger Frauen in Chanel-Kostümen mit Pflastersteinen in der Hand: Seid realistisch, verlangt das Unmögliche. Vergeßt La French Touch, hier kommt La Human Touch. Allein für diese Platte würde sich eine neue französische Standortoffensive in jedem Fall lohnen.

Cassius: 1999. (Virgin) V.A.: Source Rocks. (Source/Virgin) Cosmo Vitelli. (Solid/Rough Trade) Cosmo Vitelli: Vidéo. (Solid/Rough Trade) Neba Solo. (Cobalt/F Communications) Nahawa Doumbia. (Cobalt/F Communications) Stéphane Malca: Next to you. (Pro-Zak Tracks/Barclay)