„Ich bin nicht der bessere Militär“

■ Wolfgang Huber, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, über die Fehlentwicklung militärischer Logik auf dem Balkan, die Flüchtlinge aus dem Kosovo, die Lage der Friedensbewegung und einen Pazifismus, der von gesamtgesellschaftlicher Verantwortung getragen werden muß

taz: Die Kirche spricht im Kosovo-Konflikt mit verschiedenen Stimmen. Bischöfe, wie Bischof Noack aus Magdeburg, wenden sich gegen den Einsatz der Nato, andere sehen darin keine Alternative.

Bischof Huber: Die Kirche ist keine politische Organisation, und ihre Stärke bezieht sie nicht daraus, daß sie immer einheitliche Einschätzungen abgibt. Entscheidend ist die Grundlage unserer Stellungnahmen, unseres Handelns. Wenn es dann Abstufungen in der Beurteilung der Nato-Einsätze gibt, zeigt das nur: Sie machen uns alle ratlos. Aber man muß natürlich alle, die sagen: „so nicht“, mit der Frage konfrontieren: „wie dann?“. Die Kirche kann sich nicht damit begnügen, die Lösungen die Politiker finden zu lassen und sich dann als moralische Oberrichter hinzustellen.

Wie soll Deutschland, wie soll Berlin sich zur Aufnahme von Flüchtlingen verhalten?

Es ist richtig, daß sich Deutschland an der Aufnahme der Flüchtlinge beteiligt. Berlin ist traditionell in besonderem Maß beansprucht, aber ich hoffe, daß die Flüchtlinge so aufgenommen werden, wie es einer Stadt wie Berlin entspricht. Ich erwarte aber auch, daß sich die Landesregierung in Brandenburg sehr gut überlegt, wo sie die Flüchtlinge unterbringt. Wir haben da ja schon ziemliche Ungeschicklichkeiten erlebt, die ausländerfeindliche Aktionen geradezu provozierten. Wenn die als Begründung herhalten müßten, daß Brandenburg oder andere neue Bundesländer sich nicht beteiligen, dann befinden wir uns in einer Schieflage.

Was tun die Kirchen jetzt?

Wir stehen mit unserer Flüchtlingsbetreuung zur Verfügung. Wir müssen den Geist der Verständigung und Versöhnung aktiv unterstützen. Die Kirchen tun nichts Wirkungsloses, sondern etwas Notwendiges, wenn sie jetzt Orte des Gebets für den Frieden sind.

Was macht die Kirche speziell in Berlin-Brandenburg?

Wir werden uns weiter mit noch größerem Nachdruck um die Einrichtung eines zivilen Friedensdienstes bemühen. Vor Ort suchen wir den Kontakt mit Serben und Kosovaren, um zur Versöhnung beizutragen.

Die westliche Allianz steckt in einem Dilemma. Die Nato-Bomben bringen keine Befriedung in der Region. Müssen demnächst Bodentruppen eingesetzt werden?

Ich kann mich nicht aufspielen, als sei ich der bessere Militär. Ich will nicht, daß der militärische Einsatz fortgesetzt wird, sondern daß verhandelt wird. Deshalb würde ich den Einsatz von Bodentruppen kämpfenden Charakters für ein riesengroßes Unglück ansehen, auch politisch. Man darf dem Argument nicht weiter nachgeben, daß noch nie ein Krieg aus der Luft gewonnen worden sei. Diese Art von militärischer Logik darf sich nicht weiterentwickeln. Das wäre eine Katastrophe.

Konkret, lehnen Sie den Einsatz von Bodentruppen ab?

Ich kann nur sagen: Die Aufgabe besteht darin, dem zuvorzukommen.

Kann man sich zur Friedensbewegung gehörig fühlen und gleichzeitig Bodentruppen im äußersten Notfall akzeptieren?

Gewissensentscheidungen kann man nicht delegieren. Ich hoffe, auch die Friedensbewegung trägt dazu bei, daß es nicht zu Bodeneinsätzenkommt. Die erste internationale Truppe auf dem Boden muß eine Friedenstruppe sein.

Gibt es eigentlich noch „die“ deutsche Friedensbewegung?

Es gibt eine deutsche Friedensverantwortung. Wir können nicht der Vorstellung anhängen, als würde die exklusiv von der Friedensbewegung wahrgenommen. Sie ist auch nicht allein eine politische Angelegenheit. Die Verantwortung muß in die Gesellschaft getragen werden. Wir erleben das jetzt exemplarisch an der Verantwortung für die Flüchtlinge aus dem Kosovo. Die Frage, wie wir mit den großen Zahlen von Kriegsflüchtlingen umgehen, ist für mich eine der Testfragen, wie friedensfähig diese Gesellschaft ist.

Kann die Friedensbewegung heute noch die gleichen Argumente ins Feld führen wie in den achtziger Jahren?

Damals haben wir uns gegen die Erhöhung der Kriegswahrscheinlichkeit durch das Wettrüsten gewehrt. Heute haben wir einen Krieg. Der hat übrigens nicht durch die Nato-Einsätze begonnen. Er hat durch das Morden von Miloevic angefangen. Und wir stehen jetzt vor der Frage, wie die Gewalt, die da ausgeübt wird, beendet werden kann. Anfang der achtziger Jahre hatten wir die Frage, wie der drohende Ausbruch von Gewalt verhindert werden kann. Deshalb haben wir uns dem weiteren Wettrüsten entgegengestellt. Das sind zwei vollkommen verschiedene Themen.

Welche Rolle hat die Kirche? Hat sie heute noch die gleiche Anziehungskraft für Friedensgruppen wie in den Achtzigern, wo sie vor allem von jungen Leuten „wiederentdeckt“ wurde?

Nein. Das merken wir in der Kirche genauso wie in der Friedensbewegung. Wir brauchen deshalb eine neue friedensethische Diskussion. Die Berlin-Brandenburgische Kirche hat die Initiative zu einem „zivilen Friedensdienst“ ergriffen. Das muß weitergehen.

Hat sich die Hilfsbereitschaft der Menschen gegenüber Flüchtlingen in den letzten Jahren verringert?

Die Friedensbewegung der Achtziger bezog einen großen Teil ihrer Stärke daraus, daß man sich klar darüber war, gegen den Nato-Doppelbeschluß zu sein. Das einte. Heute ist es komplizierter. Ich warne davor, sich einzubilden, daß man durch den Nato-Einsatz ein klares Feindbild hat, an dem sich die Friedensbewegung aufbäumen kann. Das wäre ein verhängnisvoller Irrweg.

Hat sich für Sie die Definition von Pazifismus verändert?

Ich definiere ihn als Verantwortungspazifismus. Diejenigen, die „Frieden stiften“ wollen, haben nicht nur mit der Frage zu tun, wie sie selbst auf Gewalt verzichten können, sondern sie müssen sich auch der Frage stellen, wie Gewalt, die ausgeübt wird, beendet werden kann. Ich habe das vor zehn Jahren genauso formuliert.

Beim Ostermarsch in Berlin marschierten nationalistische Serben mit. Macht sich die Friedensbewegung zum Werkzeug von Nationalisten, die in Wahrheit mit Pazifismus wenig im Sinn haben?

Ja, vor allem dann, wenn nicht in der Gestaltung einer Demonstration und in den Redebeiträgen eine deutlich andere Sprache angeschlagen wird als die der serbischen Nationalisten. Und da habe ich kein ausreichendes Maß an Gegenakzenten gehört. Allerdings darf man nicht alle Serben in einen Topf werfen. Diejenigen, die Anhänger von Miloevic sind, befinden sich nach meiner festen Überzeugung in der Minderheit. Ich bin selbst am Ostersonntag bei der serbischen orthodoxen Gemeinde gewesen und habe mich bemüht, darauf hinzulenken, daß die Hauptursache dessen, was wir gegenwärtig erleben, nicht im Nato-Einsatz, sondern in der Politik von Miloevic liegt. Man darf den Nationalismus nicht schüren und ihm auch keine Demonstrationsplattform geben. Wenn ein Ostermarsch wie in Berlin von nationalistischen Serben eröffnet und von der PDS abgeschlossen wird, ist man in einer höchst merkwürdigen Situation. Dieses verhängnisvolle Bild über die Serben darf sich nicht im Bewußtsein der Öffentlichkeit festsetzen.

Was würden Sie sagen, wenn einer ihrer Söhne freiwillig in den Krieg ziehen würde, Pilot wäre und in vorderster Linie Angriffe fliegen würde?

Ich würde es akzeptieren, daß er darin seine Verantwortung sieht. Ich würde für ihn beten. Ich würde ihm sagen, hoffentlich kannst du etwas für den Frieden tun, und hoffentlich kommst du gesund zurück. Interview: Annette Rollmann