Die taz ist ein radikales Ärgernis, um das man weiter nicht herumkommt

■ Was ich der taz zum Zwanzigsten wünsche (I): Daß sie wie die Anti-AKW-Bewegung in einen Jungbrunnen falle, um im Alter jung zu bleiben

Die taz ist ein Ärgernis. Für die politische Klasse, die Konzernetagen und die außerparlamentarische Bewegung und ihre ExponentInnen gleichermaßen. „Radikal“ war ein Prädikat, das sich die taz in ihren Kinderjahren selbst verlieh.

Enthüllungsjournalismus und Angriffslust waren ihr Markenzeichen. Die taz nahm Partei und war parteiisch. Sie enthüllte und überraschte. Mit ihren frechen SäzzerInnenbemerkungen und ihrer thematischen Steuerung. Was nämlich Tages- und taz-Thema sein sollte, wurde entsprechend plaziert. Auch die Auswahl der Nachrichten folgte dieser Logik. Endlich war es aus Sicht von Bürgerinitiativen möglich, die Öffentlichkeit zu erreichen – dank der taz.

Die öffentliche Meinung zu beeinflussen setzt bekanntlich voraus, daß eine bestimmte Meinung auch öffentlich wird. Seit es die taz gab, gab es diese Möglichkeit. Die „bürgerlichen Medien“ waren hermetisch abgeschottet gegen den linken Rand und die Bürgerinitiativbewegung, mit der taz fanden diese endlich ihr Sprachrohr und damit ihr Zuhause in der Medienwelt. Kein Wunder – waren doch die JournalistInnen aus diesem Spektrum hervorgegangen und fühlten sich ihm verbunden. Es gab eine Ökologieredaktion! Und der Kampf gegen's AKW war natürlich Markenzeichen einer solchen Zeitung.

Das war (ist) zugleich das Problem. Meinungs- und Strömungsjournalismus bedienen nur die Weltbilder der LeserInnen, bewegt die Bewegung und versumpft, verebbt, ohne politisch ernsthaft zu bewegen. Die Zeitungsmacher entdecken den Wert journalistischer Unabhängigkeit und emanzipieren sich. Manchmal ist die taz dann schneller gewesen als der Zeitgeist und hat das Ende einer Bewegung aus übereifrigem Emanzipationsbedürfnis verkündet. Dabei wurden auch mal Themen geopfert oder Nachrichten unterschlagen, anstatt den politischen Diskurs zu eröffnen. Marotten und festgefügte Ansichten einzelner Redakteure verprellten „die Bewegung“.

Wie häufig der Anti-Atom-Bewegung in 20 Jahren taz der Tod unterstellt wurde, vermag ich gar nicht zu zählen. Am 6. August 1983 notierte ich mir erstmalig: „Die taz verspottet unsere Demonstrationen gegen die WAA Dragahn.“

Die Pläne zum Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Gorleben waren gerade vom damaligen CDU-Ministerpräsidenten Ernst Albrecht fallengelassen worden. Da begannen zeitgleich zu den Baugrunduntersuchungen in Wackersdorf, dem Ausweichplatz für Gorleben, Flachbohrungen in Dragahn in der Göhrde, einem Waldgebiet im Westkreis Lüchow- Dannenbergs. Auch dieses Dörfchen hätte WAA-Standort werden können.

Für einige Redakteursköpfe war aber die Anti-AKW-Bewegung out, die Friedensbewegung in. Es gab für uns no chance, wenigstens neutral und korrekt berichterstattet zu werden. Noch nicht einmal die Botschaft – siehe den Tag meiner Notiz –, daß ausgerechnet am Hiroshima-Tag Traktoren aus Protest gegen die Baupläne der Plutoniumwirtschaft rollten und gegen den Bombenstoff demonstriert wurde, kam in den taz-Etagen an. Überzeugen konnten wir – auch die taz – nur durch unsere überraschende Dauerhaftigkeit, die Phantasie (ja, ja – der Nachrichtenwert!) und unsere Mobilisierungsfähigkeit. Die Anti- Castor-Aktionen sind der Beweis: Totgesagte leben länger.

Der taz ging es in den vergangenen zwei Dekaden nicht anders. Das Kompliment muß ich der in die Jahre gekommenen taz dann doch machen: Ob es die Räumung des Hüttendorfes 1004 im Wendland war oder der Abriß der Reaktoren in Greifswald, ob es die Brokdorf-Demonstrationen, die Schlachten am Bauzaun in der Oberpfalz oder die Castor-Blockaden waren: Jedesmal schimmert die alte taz mit ihrer Empörung über den Atomstaat durch.

Die taz bietet heute für die „Nachgeborenen“ geschichtliche Lektionen, wenn sie über den Super-GAU in Harrisburg vor 20 Jahren berichtet. Und sie erteilt den Bonnern Lektionen, wenn sie das Schönreden von politischen Mißerfolgen wie beim Atomausstieg konterkariert. Und wen fragen wir, wenn wir unser Info „Restrisiko“ beilegen wollen? Die taz.

Also wünschte ich mir zum 20. Geburtstag der taz, daß sie wie die Anti-AKW-Bewegung Mitte der 90er Jahre in einen Jungbrunnen gefallen ist, im Älterwerden jung bleibt und nicht doch zum regierungsoffiziellen Sprachrohr erstarrt. Wolfgang Ehmke

Wolfgang Ehmke (51) ist Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg. Die größte deutsche Anti-AKW-Bürgerinitiative kämpft seit 1977.

Foto: Erhard