Kompanie Leder und Fetisch, marsch!

Wahl zum German Mr. Leather: Schwule Gummi-, Uniform- und Lederfetischisten feiern zusammen beim traditionellen Ostertreffen in Berlin. Nach dem Debakel bei der Premiere letztes Jahr sichert die „Berliner Truppe“ diesmal den Backstagebereich vor feindlichen Elementen  ■   Von Christian Haase

Schwule Bataillone, Kompanie Leder, Fetisch, Dresscode, Abteilung Camouflage, marsch! Im Gleichschritt stiefeln sechs Rekruten und Gefreite der „Berliner Truppe“ in die Arena ein. Bundeswehruniform, Sternchen auf der Schulter, Barett, Deutschlandfahne überm Bizeps. Der Kommandeur bahnt sich seinen Weg durch Gummifetischisten in orangefarbenen Angleranzügen, Lederkerle in Schwarz, Polizeiuniformen, Spiegelbrillen und Schnäuzer. Die Mission: Bei der Wahl zum German Mr. Leather 1999 in der Treptower Arena den Backstagebereich vor feindlichen Elementen sichern, vor Fotografen, Freunden, Fans und dem ganzen Geschmeiß.

Techno donnert, weiße Lichtkegel zucken über die blauweiß gestreifte Fahne der schwulen Ledercommunity an der Bühne. „An die Lautsprecherboxen! Daß sich da keiner draufsetzt!“ Kommandeur Kolditz bringt seine Truppen in Stellung. Willig, devot, gedrillt harren die Rekruten an den Boxen ihres Schicksals, beäugt von etwa tausend Lederkerlen, die auf den Anfang der Show warten.

„Gleich geht es los!“ Hektisch huschen die Mitglieder des Berliner Leder und Fetisch e.V. an der Bühne entlang. Sie organisieren die Wahl zum Mr. Leather dieses Jahres, und ihr Fetisch heißt „Per- fekte Organisation“. Ihre Waffen sind die manövererprobte „Berliner Truppe“ und jede Menge gelbe und rote Namensschildchen. „Manager“, „Assistant Manager“, „Pressesprecher“, „Staff“, „Presse“.

„Pressesprecher“ Rainer Kluge verwaltet den Schilderwust. Nervös nestelt er in einem kleinen Pappkarton, macht Häkchen auf einer Liste, streicht Namen, greift zum Handy, legt es wieder weg: „Bei der ersten Wahl zum German Mr. Leather letztes Jahr gab es keine Preise für den zweiten und dritten Platz, die Tickets nach Chicago zur International Mr.-Leather-Wahl waren nicht gebucht, und hinter der Bühne tummelte sich die Presse. Kurzum: Die totale Katastrophe.“ Jetzt soll alles besser werden.

Spots aus, Bühnenlicht an, es geht los mit einem Ständchen der „Lederbarden“ aus Dortmund: „Wir sind die echten Kerle und strotzen vor Männlichkeit jeder Zeit.“ Traralala, traralala. Zwei Polizisten der California Highway Patrol mit Handschellen und Prügelstöcken am Bund liegen sich in den Armen und gucken verträumt.

Nach dem Ständchen hastet der „Manager“ von Leder und Fetisch e.V. auf die Bühne. Artig liest er von einer kleinen gelben Karte die Verhaltensregeln für den Abend ab: „Die Toiletten oben sind für den Spaß, die unten zum Pinkeln.“ Dann darf jeder Kandidat ein auswendig gelerntes Sätzchen aufsagen. Anschließend bittet die Jury die Kandidaten um kleine Showeinlagen. Joachim aus Frankfurt träufelt Wachs auf seinen Sklaven, zieht ihn am Halsband über die Bühne, gibt ihm die Rute, zieht ihn hoch, runter, links und rechts. Abschluß der „Ich zeig's dir , wo es lang geht“-Nummer – Joachim befiehlt der Menge: „Nächstes Mal macht ihr es ohne Drogen.“

Ein Skinhead gähnt, die Jury amüsiert sich prächtig. Auf einer Bierbank auf der Bühne hält sie Fleischbeschau. Manolo aus Kassel strippt, Mike aus Berlin tanzt, und Dirk Grundmann aus Hannover, der sechste Kandidat, schleppt für seine Klappenszene ein selbstgebasteltes Klohäuschen auf die Bühne. Da guckt selbst Punk Lego, 23, auf, der während der anderen Shows Bierbecher eingesammelt hat: „Mensch, der hat sich Mühe gegeben. Den wähl' ich.“

Der „Manager“ eilt auf die Bühne, stellt kleine Pappkartons auf, in die die tausend Männer ihre gelben Eintrittskärtchen stecken dürfen. Mit zerwühlten Haaren kommt Jörn aus Schweden aus dem Darkroom. „Was ist los?“ fragt er. „Ach, Publikumswahl? Ich find's wichtiger, hier beim traditionellen Ostertreffen der Lederszene in Berlin alte Kontakte wieder aufzufrischen.“

Großer Tusch. Preisverleihung. Gewinner der Publikumswahl: Dirk aus Hannover. Gewinner der Internetwahl: Dirk. Gewinner der Jurywahl und neuer German Mr. Leather: Dirk. Für jeden Sieg erhält er je eine „Tom of Finland“-Gesamtausgabe. „Vielen Dank“, sagt er. „Ich will zeigen, daß sich Schwule und HIV-Positive nicht verstecken müssen. Aber jetzt muß ich mir erst einmal ein neues Bücherregal kaufen.“

Die Rekruten der Berliner Truppe rühren sich, rollen ihre Tarnnetze ein und trollen sich zum Ausgang. „Dit war nichts“, sagt Kommandeur Kolditz. „Keiner dabei mit 45-Zentimeter-Oberarmen. Da geh' ick lieber mit vollem Gepäck zehn Kilometer marschieren.“