Luandas Oberschicht tanzt auf dem Vulkan

In Angolas Hauptstadt protzen die Reichen, während der Krieg im Hinterland täglich Flüchtlinge in die Stadt treibt  ■ Aus Luanda Kordula Doerfler

Der Flug SAA 054 am Montag morgen von Johannesburg nach Luanda ist bis auf den letzten Platz besetzt. Die Beleuchtung der Kabine spiegelt sich in Dutzenden von Sonnenbrillen. Auch halbwüchsige Jugendliche nehmen sie während des Flugs nicht ab. Cool sein ist alles, ohne Nike-Schuhe und Game Boys gilt man nichts. Die Mütter tragen frisch erstandene Designer-Kollektionen, Gold und Diamanten glitzern an ihren Fingern, Handgelenken, Ohren und auch im Mund. Junge Männer in Seidenhemden und Leopardenwesten tauschen die neuesten Geheimtips aus, wo man hip shoppen kann. Einigen hängen Bündel von 100-Dollar- Noten aus den Hosentaschen. Luandas Oberschicht kommt vom Wochenende zurück.

Steward Kevin Meyer ist schweißgebadet. Die Kabine hat sich in einen gehobenen afrikanischen Marktplatz verwandelt. Gekauft wird alles, was das Duty-free- Angebot an Luxusgütern hergibt – Parfums, Rasierwasser, Seidenkrawatten, edle Kugelschreiber. Es wird getauscht und gefeilscht. Am Ende ist nichts mehr übrig. „Wir könnten zehn Mal so viel dabei haben, es wäre alles weg“, lacht Meyer. Dreimal die Woche fliegt die südafrikanische Airline nach Angola.

Die Route wurde jetzt etwas geändert, von Johannesburg fliegen die Jets Kurs zunächst nach Westen und dann an der namibischen und angolanischen Küste entlang über den Atlantik bis zu Luanda. Der kürzere Weg über Land ist zu gefährlich, seitdem Ende Dezember zwei UN-Flugzeuge abgeschossen wurden. Denn in Angola herrscht wieder Krieg. Die Strecke Johannesburg–Luanda ist für die Fluggesellschaft eine der lukrativsten auf dem Kontinent.

Über Luanda, der 400 Jahre alten Stadt mit portugiesischem Flair, lastet im März brütende Hitze. „Die geschützte Hafenbucht ist ein ideales Segelrevier“, schwärmt José Mendes. Schon als Jugendlicher ist er dort gesegelt. 1978 verließ er wie fast 300.000 andere Weiße auch das ehemalige Portugiesisch-Westafrika. Er flüchtete auf einem Segelboot über Liberia nach Lissabon. Jetzt ist er zurückgekommen, um für einen südafrikanischen Brauereigiganten Geschäfte zu machen.

Geschäfte machen hier viele. Drei Stunden dauert es, um am Flughafen die Kontrollen zu passieren. Ewigkeiten vergehen, bis der Stempel im Paß ist, der dann dreimal kontrolliert wird. Jedes Gepäckstück wird einzeln nach Waffen und Munition durchwühlt. Die wird zwar niemand ausgerechnet über den Flughafen einführen, doch auch der öffentliche Dienst muß schließlich leben.

Produziert wird fast nichts mehr

Das Leben in Luanda ist teuer. Auch in den Jahren des fragilen Friedens hat es Angola nicht geschafft, seine Infrastruktur wieder in Gang zu bringen. Produziert wird bis heute kaum etwas. An den großen Ausfallstraßen der Stadt reihen sich kilometerlang verlassene Fabriken aneinander. Auch die Landwirtschaft kommt nicht wieder in Schwung, allenfalls wird für den lokalen Bedarf produziert.

Jedes Ei, jeder Salatkopf, jede Schraube für die Hauptstadt wird importiert. Angolas Wirtschaft gehorcht eigenen Gesetzen. Der Regierungspartei MPLA von Präsident Eduardo dos Santos und den Unita-Rebellen unter Jonas Savimbi geht das Geld nicht aus. Die Milliardenerlöse aus den Bodenschätzen – Erdöl und Diamanten – fließen in einen Buschkrieg, der nicht zu gewinnen ist. Seit 30 Jahren kennt Angola kaum etwas anderes. Jetzt ist wieder Krieg und Luanda wieder eine Insel.

Auch früher kam der Krieg nie direkt bis in die Hauptstadt. Doch sie ächzt unter der Last der Flüchtlinge und ist vom Hinterland so abgeschnitten wie einst West-Berlin zu Mauerzeiten. Nur zwei Straßen aus der Stadt heraus sind überhaupt befahrbar, weil sie von Landminen geräumt wurden: eine nach Nordosten, die andere nach Süden entlang der Küste. Gefährlich ist das trotzdem, wegen marodierender Banditen, die meist aus den Reihen der Armee kommen. Der Rest des Landes ist nur per Flugzeug erreichbar.

In Luanda kann man alles kaufen, wenn man nur Geld hat. Horden von Straßenhändlern bieten vom Warndreieck bis zum Brühwürfel, von Barbie-Puppen bis zur Cola alles an. In der Innenstadt gibt es wieder luxuriöse Geschäfte, die Straßen sind ständig verstopft. Nachmittags um fünf verschlägt einem die Mischung aus Abgasen und schwüler Tropenluft den Atem. Teure Four-Wheel-Drives – fahrende Vermögen – kommen nur millimeterweise vorwärts. Luands Verkehr ist gelebter Nahkampf. Motto: Zeige nur ja niemals eine Schwäche, aber möglichst viel von deinem Reichtum.

„Niemand trägt sein Geld zur Bank, denn wer weiß, wieviel es morgen noch wert ist“, lacht ein Autohändler. Lieber kauft man ein nagelneues Luxusgefährt oder eine Rolex-Uhr. Ein US-Dollar, die inoffizielle Währung, ist derzeit 1,5 Millionen Kwanzas wert. Ein neuer Jeep kostet Zehntausende von Dollars. Ein Polizist verdient 50 Dollar im Monat. Davon läßt sich keine Miete bezahlen und keine Familie ernähren. Fast jeder Luander hat mehrere Jobs. Die Korruption durchdringt alle Teile der Gesellschaft. Seit Oktober wurde der öffentliche Dienst nicht mehr bezahlt. Streiks aber gab es bislang nicht, dafür ist die politische Hegemonie der früher stramm marxistischen Regierungspartei noch immer zu umfassend.

„Man lebt so von einem Tag zum anderen“, sagt Thomas in fließendem Deutsch. Das hat er in Ostdeutschland gelernt, während er in einem Asylbewerberheim herumsaß. 1995 wurde er zurückgeschickt, es war ja Frieden in Angola. Seither lungert er mit seinen Freunden auf der Straße herum, ohne festes Zuhause. Wovon er lebt? Thomas zuckt mit den Achseln. Von diesem und jenem.

Angolaner sind Überlebenskünstler. Das einzig blühende Gewerbe ist Im- und Export. 40 Prozent der Importe, so schätzt ein Experte, werden ins Land geschmugelt. 90 Prozent des Erdöls werden exportiert, und die neuen Vorkommen draußen vor der Küste hat die Regierung schon verpfändet. Auch Unita-Chef Savimbi findet Mittel und Wege, die Diamanten aus dem Hinterland außer Landes zu schaffen. Daran haben auch UN-Sanktionen nichts geändert.

Beziehungen sind alles, erst recht im Hafen. Wer Beziehungen hat, wohnt in großen Häusern oben am Hang, schickt seine Kinder nach Südafrika zur Schule und seine Frau zu den teuersten Ärzten Johannesburgs. Wer keine Beziehungen hat, wohnt in den endlosen Slums am Stadtrand und hungert. Bei Regen dampfen die meterhohen Müllberge, verwandeln sich die Straßen in stinkende Kloaken mit tiefen Kratern. Selbst daraus trinken Menschen.

Luandas soziale Kontraste sind unermeßlich. Hunderttausende flohen seit dem vergangenen Jahr wieder vor dem Krieg in die Hauptstadt, und jeden Tag werden es mehr. Sie kommen in Schüben und meist zu Fuß. Im Hochland ist die Unita überall auf dem Vormarsch, ganze Gebiete sollen schon entvölkert sein. Aus den Dörfern fliehen die Menschen zunächst in die Provinzhauptstädte und von dort an die Küste.

Vier Millionen Menschen, ein Drittel der Gesamtbevölkerung, leben Schätzungen zufolge jetzt wieder in der Haupstadt, die nur für 500.000 gebaut wurde. Die Stimmung ist aggressiv. Jeder Ausländer wird sofort als Spion verdächtigt, erst recht, wenn er Fotos macht. Lastwagen mit blauuniformierter Spezialpolizei, „Ninjas“ genannt, patrouillieren ständig mit verspiegelten Sonnenbrillen und Maschinengewehren im Anschlag durch die Stadt. Militär sieht man dafür nur selten, das wird andernorts gebraucht. Abends wirbt das staatliche Fernsehen für den Krieg. „Angola sagt, jetzt ist es genug! Angola wird siegen!“ dröhnt es alle zehn Minuten in farbenfrohen Spots. Informationen über die wirklichen Vorgänge im Land bringen nur die Flüchtlinge mit. Ansonsten herrscht Nachrichtensperre.

In der Innenstadt will man die bettelarmen Vertriebenen nicht mehr haben. Verfallende Stadtpaläste, die nach dem Ende des letzten Krieges Tausenden von Flüchtlingen als Unterkunft dienten, sind zugemauert, streunende und verkrüppelte Kinder wurden vertrieben, Grünanlagen wieder bepflanzt. Mit dem Programm „Urbana 2000“ wird die morbide, vom Klima gezeichnete Stadt fürs neue Millenium aufgemöbelt, der Jahrtausendwechsel soll auch in Luanda gefeiert werden.

Der Reichtum zieht die Glücksritter an

Die leicht geschwungene Uferpromenade am Meer entlang ist schon saniert worden, der Prachtbau der Zentralbank erstrahlt frisch renoviert in Lachsrosa. Abends und am Wochenende promeniert man am Meer entlang oder vernügt sich auf der „La Ilha“ genannten langgestreckten Landzunge, von der man einen so schönen Blick auf die Stadt hat. Koloniale Paläste liegen neben Denkmälern des Realsozialismus aus den späten 70er Jahren.

Draußen auf der Halbinsel ist die Hitze erträglicher. Die Oberschicht trifft sich zum Sundowner und zum Abendessen in den schicken Bars und Restaurants, die vielen Ausländer und Angolas Hautevolee sind unter sich. Der Reichtum des Landes zieht Abenteurer und Glücksritter an wie einst der Wilde Westen der USA.

Luanda ist Tummelplatz für französische und amerikanische Ölkonzerne, für libanesische, belgische und holländische Diamantenhändler, für Import-Export- Spezialisten aus aller Welt, für Bergwerksmagnaten aus Südafrika und Minenräumer aus Skandinavien, bunt gemischt mit den Mitarbeitern der UNO und internationaler Hilfswerke, ohne die die Landbevölkerung längst verhungert wäre. Wer nach Klischees oder Vorlagen für Romane sucht, ist hier goldrichtig. Preise von 50 Dollar pro Person für einen Abend sind normal, das ist der Hauch von Luxus, den einige gelegentlich brauchen, um dem alltäglichen Wahnsinn zu entrinnen.

Am Sonntag nachmittag ist der kilometerlange Sandstrand auf der Ilha voll, eine endlose Autoschlange schiebt sich über die holprige Straße durch die Slums an der engen Einfahrt zur Halbinsel aus der Stadt heraus. Aus den Geländewagen dröhnt brasilianischer Rock. Wer nicht zu den oberen Tausend gehört, kommt im verbeulten Sammeltaxi. Ein Blick auf das La Dolce vita der Schönen und Reichen kostet nichts und könnte fast für eine Postkarte reichen. Das Wasser ist türkisblau mit blendendweißer Brandung und körnigem, fast weißem Sand, nur die Palmenreihe im Hintergrund fehlt.

Großfamilien aalen sich faul in der Sonne, Jugendliche spielen Volleyball. Dabeisein ist alles und Schönsein noch wichtiger. Der Strand der Ilha ist die Copa Cabana von Luanda, Körperkultur pur. Der Krieg ist fast so weit weg wie der Mond. „Was interessiert mich der Krieg“, sagt Domingos da Silva mit wegwerfender Handbewegung. Mit 17 will er Spaß haben. Der Gedanke an die Armee, die alle 18jährigen einzieht, schreckt ihn nicht. „Das trifft andere“, sagt er. Beziehungen sind eben alles.