Tüte voller Rüpel

■ Vorschau 2 : Eine vorauseilende Besprechung des legendären „Intro 1999“–Indiepop-Festivals im Pier 2 nebst Einführung in den Ottersberger Untergrund

Die alternative Popmusik des Jahres 1999 ist sowas ähnliches wie die neuen Turnschuh-Farben der Klumpschuh-Generation. Vorbei ist das Gerede um eine eigene Gesellschaft mit eigener Moral. Inzwischen suchen die einstigen Erforscher einer letzten möglichen Form von Boheme nur noch Schutz vor'm Vormarsch einer globalen Corporate Culture. Rock'n'Roll war mal eine Bezeichnung für das Mündungsfeuer im Zweiten Weltkrieg und Aktien waren ursprünglich auch nichts anderes als Kriegsanleihen.

Die Zeitschrift „Intro“ versucht seit Jahren mit großem Erfolg, eine trotzige Form von Gegenkultur zu etablieren, die sich trotzdem vom Zwang löst, „immer nur dagegen zu sein“ oder Standpunkte zu beziehen. Mit glossenartigen „Poptexten“ serviert die Crew monatlich und kostenlos ein fettes Heft mit allem, was so hip oder cool ist bzw. dazu gemacht wird. Beachtlich in Zeiten, wo Recherche nicht mehr zum Handwerk gehört, und sich andere Blätter völlig auf die Presse-Infos der Industrie verlassen. „Intro“ stellt auch gleich die entsprechenden Sampler zusammen und veranstaltet inzwischen auch noch ein alljährliches Festival, nach dem Motto: Laßt Euch fleißige Handwerker vorführen ...

Zum zweiten Mal gastiert das Festival im Pier 2 und das Line-Up läßt sich sauber teilen. Da wären zunächst die Rüpel von der Hamburger Waldorf-Schule, die den Verlust der eigenen Authentizität beklagen, die „Goldenen Zitronen“, „Last Band Standing“ und verbitterte Gegenspieler von „The Toten Hosen“. Man sollte ruhig auch mal ihre Texte lesen ! Ihnen zur Seite gesellen sich „Die Sterne“, primär mit der eigenen Ästhetik beschäftigt und längst an den Katzentisch der Industrie verschwunden. Die „Absoluten Beginner“ kennt auch jedes Kind von MTV - ach ja, die Jungs mit dem „Liebeslied“, schließlich muß Hip Hop unbedingt mit in die Tüte - und dann geht es auch schon weiter mit den Jungs von „Slut“, eine gute Band, so ähnlich wie „Notwist“ – schreiben ja alle voneinander ab. Und dann sind da auch die guten, alten „Afghan Wigs“, Ex-Lieblings-Band der Kollegin Kern, bekannt durch ihre Beteiligung am großen Seattle-Schwindel und immer noch in authentischer Baumwoll-Bühnengarderobe. Sänger Greg Dulli ist von einer schwer authentischen Schlägerei wieder genesen und wird sicher ein paar kritische Worte zum Dritten Weltkrieg parat haben.

Die Kids in den alternativen Turnschuhen werden artig applaudieren und dann kommen die wilden, jungen Leute in den großen Hosen, um die alten Gitarren abzulösen. „Eins, Zwo“ gehen ab und die „Kinderzimmer Productions“ gucken schüchtern mit ihren Heimwerker-Visagen in die Runde. Koze und Stachi vom „Fischmob“ werden auch noch über die Bühne toben, Mambo Kurt wird zwischendurch ein wenig conferencieren und auch ohne „Mogwai“ wird man bis in die Morgenstunden die lustigen Referenzen aus den authentisch aufgelegten Platten raushören können, vielleicht ein wenig tanzen, trinken und immer wieder beklagen, daß heutzutage nicht mal mehr ein Weltkrieg authentisch ist.

Mächtig stolz sind sie, daß sie nicht mehr links sein müssen, all die angeblich ehemals linken Feiglinge, Warmduscher und Hosenscheißer, die sich einen von der neuen deutschen Popmusik erzählen, Fanzines ohne politische oder soziale Relevanz machen und hinter jeder kritischen Äußerung einen „P.C.-Dogmatismus“ zu entdecken wissen. Sie sind nicht besser als ihre ehemals linken, bürgerlichen Eltern, die dieses Wochenende vermutlich auch in der taz lesen müssen, daß die ganze Ostermarschiererei furchtbar uncool ist. Und den smoothen Groove von „4 Hero“ im Spätprogramm des Festivals findet Muttern sicher genauso toll wie „Sade“ in den 80ern.

Blubberige Beats und labberige Gitarren, Musik zum Kiffen und Vergessen. Die Subkultur fusioniert zum offiziellen Mainstream. Den letzten authentischen Underground kann man übrigens gelegentlich am Samstagnachmittag auf einer Wiese bei Ottersberg beobachten (Dr.Blohm und Herr Voss sind schon unterwegs). Alfred, lassen sie die „Goldenen Zitronen“ von der Kette! Einen unterhaltsamen Krieg und ein zünftiges, christliches Wochenende wünscht

Tommy Blank 1. April, „Intro“-Festival 99 im Pier 2, Beginn 19 Uhr, Ende ca.5 Uhr