Knutschflecken auf dem Bauch

Achterbahnfahrt zwischen radikaler Aggression und grober Zuneigung: Videoinstallationen des schottischen Künstlerpaars Stephanie Smith/Edward Stewart in der NGBK  ■ Von Harald Fricke

Ohne die Zuwendungen von Stephanie Smith wäre Edward Stewart längst tot. Mit glupschig aufgequollenen Augen liegt er minutenlang in einer Badewanne unter Wasser. Erst als er nur noch ein paar Bläschen aufsteigen lassen kann, beugt sich die junge Frau vornüber und beatmet Stewart, so daß er weiter auf Tauchstation ausharren kann. Dabei ist das Wasser, das ihn umgibt, kaum 30 Zentimeter tief.

„Sustain“, das Video von 1995, ist ein hübsches Beispiel für die Paradoxien gewollter Abhängigkeit. Der englische Titel, der auf deutsch sowohl „erhalten“ als auch „aushalten“ bedeuten kann, faßt dieses ungeklärte Verhältnis ganz gut zusammen. Tatsächlich wechselt sich das schottische Künstlerpaar in jeder der sechs Video-Installationen, die in der NGBK ausgestellt sind, bei seinen Aktionen zwischen diesen Polen ab. Was bei SM-Beziehungen im Rollenspiel streng festgelegt ist, flottiert hier zwischen aktiv/passiv munter hin und her. Nur einmal kommen sich Künstler und Künstlerin in die Quere: Für „Dual“ (1997) sieht man, wie ihre rechte Hand seine linke beim Schreiben führt – und umgekehrt. Weil aber beide Prozesse gleichzeitig ablaufen, sind auf dem Papier nur unleserliche Kritzeleien zu sehen.

Das Video steht am Eingang der in verschlungenen Kojen präsentierten Installationen. Für den sonst eher spröden schlauchförmigen Raum der NGBK ist die Flucht aus Dunkelkammern ungewöhnlich lebendig gestaltet. Vielleicht liegt es auch daran, daß aus jeder Nische bizarre Keuch-, Zisch- und Grunz-Laute hervordringen. Frank Wagner, der die Ausstellung im Rahmen des Realismusstudio-Programms kuratiert hat, ist jedenfalls sehr angetan von dieser akustischen Achterbahnfahrt, auf der sich alle paar Meter neue Grenzsituationen ergeben. Mal kann man Smith dabei zuschauen, wie sie den Körper ihres Partners sorgfältig mit roten Knutschflecken übersät, als hätte ein Papiernautilus sich an seinem kräftig behaarten Bauch festgesaugt; dann wieder knabbert er mehrere Minuten lang an ihrem Kopf herum, während sie schmerzverzerrt auf ein Mikrofon beißt – das sind fast klassische Performances, bei denen die körperliche Belastbarkeit auf die Probe gestellt wird.

Natürlich braucht es einige Zeit, bis man sich dermaßen aufeinander einlassen kann. Die 1968 in Manchester geborene Smith hat ihren sieben Jahre älteren Kollegen Anfang der neunziger Jahre an der Reichsakademie in Amsterdam kennengelernt. Seit 1992 arbeiten die beiden künstlerisch zusammen. Schon vor eineinhalb Jahren war das Gemeinschaftsvideo „Gag“ in der „Korrespondenzen“-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zu sehen gewesen. Damals stopften sich die beiden gegenseitig diverse Tücher in den Mund. Bis zum Erbrechen.

Doch für Smith/Stewart ist das Abarbeiten am Aktionismus der sechziger und siebziger Jahre nur am Rande ein Thema. Eher schon stellen sie den alltäglichen Umgang mit Kommunikation zur Disposition: Sind die extremen Handlungen ein Ausdruck für ungelöste Spannungen des Paares, oder dienen sie einem besseren gegenseitigen Verständnis? Ulrich Loock möchte sich im Text zur Ausstellung auf keine der beiden Varianten festlegen, wenn er schreibt: „Der Schein der Interaktion erweist sich schnell als Verschleierung gegenseitiger Identifikation.“ Insofern bilden die Videos eine Negativfolie zu der Redensart „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“. Bei Smith/Stewart ist das Spiel mit der Intimität allerdings Aggression und grobe Zuneigung in einem.

Gleichzeitig werden ziemliche Unterschiede in den jeweiligen Reaktionen auf den Terror am Körper sichtbar: Gleich im ersten Raum zeigt das 1997 gedrehte „Inside Out“, wie Smith mit einer Miniatur-Kamera klarkommt, die im Inneren ihrer Mundhöhle angebracht ist. Mit ruhigen Atembewegungen öffnen sich die Lippen zu einem schmalen Spalt, durch den das Licht wie Stroboskopblitze eindringt. Im letzten Raum findet sich dann das Pendant von Stewart – er stöhnt und röchelt mit weit aufgerissenem Mund. Dazwischen liegt ein weites Feld aus Liebe und anderen Exerzitien. Man möchte mit keinem von beiden tauschen.

Bis 18.4., tgl. 12–18.30 Uhr, NGBK, Oranienstraße 25