Dieser Brief kommt von Herzen

■ Ihr Thema ist die Migration, das Wandern zwischen den Welten, Kulturen und Sprachen. Die albanischen Künstler Flutura/Besnik Haxhillari in empty rooms und im Haus am Lützowplatz

Plötzlich ist man alt, und das Leben scheint wie im Fluge vergangen zu sein. Man fragt sich, was am Ende übrigbleibt, während man geduldig die Brosamen der Erinnerung aufliest, um schließlich festzustellen: Nicht viel, weil sich die verbliebenen Bruchstücke der vergangenen Jahre nicht mehr zusammenfügen wollen.

Flutura und Besnik Haxhillari wird eine derartige Bilanz vorerst erspart bleiben. Im Fluge erobert sich das aus Albanien kommende, flash-art-preisgekrönte Paar die Welt, fest entschlossen, dabei ihr alltägliches Leben in ihre Kunst zu integrieren. Und es ist ein auf Dauer angelegtes Projekt. Arbeitstitel: „Die Gullivers“. Wie Jonathan Swifts Romanheld sind sie unterwegs, den Makrokosmos „Welt“ auf seine Mikrokosmen „Gesellschaften“ hin abzuklopfen.

Angefangen hat alles 1997 mit den „Obsessionen“, als in Albanien wegen der Regierungs- und Bankenkrise kein Mensch mehr auf der Straße sicher war, weil Anarchie herrschte und Flutura und Besnik ein Tagebuch aus 200 Objekten über sechs Monate Isolation schrieben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten beide für sich gemalt, die häusliche Enge brachte sie künstlerisch zusammen. Wie sehr, zeigt ein Blick in ihr Berliner Einzimmerapartment und Atelier, in dem sie zur Zeit auf Einladung des DAAD mit ihrem dreieinhalbjährigen Sohn leben und arbeiten, und der Besuch ihrer zwei Ausstellungen, die sie gerade in Berlin haben.

Die Playmobilfiguren ihrer Fotoserie „Märchenwelt“ im Haus am Lützowplatz bevölkern die Regale ihres Zimmers, auf dem Bett liegen die beiden roten Herzkissen aus dem „Schlaf der Gullivers“, und ganz gewiß tragen sie auch immer irgendeine der Unterhosen, mit denen sie sich bei runtergelassenen Hosen, Po an Po, fotografiert haben. „Turm zu Babel“ nennen sie ihre Installation aus Unterleibsaufnahmen, die zu fragen scheinen: Verstehen sich Männer und Frauen nicht, weil ihre Underwear nicht miteinander korrespondiert? Da ist nur Konkurrenz, zwischen ihrem Blümchensex und seinem Sportslip oder zwischen ihrem Paillettentanga und seiner Breitbandgummiunterhose.

Traute Dreisamkeit herrscht hingegen auf dem Familienbild vor nächtlichem Sternenhimmel in dem von Flutura und Besnik eingerichteten „fragilen Raum“ der Galerie empty rooms. Riesige, weiße Objekte hängen da an dünnen Fäden von der Decke und verbergen in ihrem Innern ein Kinderreich, mit dem sie nicht zuletzt tagtäglich durch ihr eigenes konfrontiert sind. Doch auf die simple Formel „Das Leben ist auch Kunst“ läßt sich Fluturas und Besniks Arbeit nicht reduzieren. Ihr Thema ist die Migration, ihr Wandern zwischen den Welten, Kulturen und Sprachen. Sie reagieren darauf mit der Sprache, die sie heute beherrschen, der Performance, der Fotografie und der Objektkunst.

Es ist eine zerbrechliche Welt, in der sie sich bewegen. Bisweilen wirkt sie antiseptisch wie die kleine in der großen Welt bei empty rooms. Und auch Fluturas in einem Briefumschlag verpackter linker Busen hat nicht nur die Message: „Sag's mit dem Busen“ oder „Dieser Brief kommt von Herzen“. Das Bild spielt mit den Grenzen von Verletzlichkeit und Ironie, genauso wie ihre Performance „Gullivers Hochzeit“ vor zwei Wochen, als sie den Vollzug ihrer Ehe anhand ferngesteuerter, kopulierender Elektrojeeps demonstrierten. Flutura und Besnik sagen's eben mit Bildern, wo sich die Hosenfrage stellt. Petra Welzel

empty rooms, Axel-Springer-Str. 39, So. 16–20 Uhr; Haus am Lützowpl. bis 25.4., Di.–So. 11–18Uhr