Dann schlaf gut, Papa. Du, auch ...!

Nicht alle dummen Menschen sind Rassisten, aber alle Rassisten sind dumm: Jenny Schily und Hannah Brodersen lasen in der Akademie der Künste aus dem Buch von Tahar Ben Jelloun „Papa, was ist ein Fremder?“  ■ Von Kolja Mensing

Der französische Autor Tahar Ben Jelloun hat ein Kinderbuch geschrieben: „Papa, was ist ein Fremder?“ Darin erklärt ein Vater seiner Tochter, warum Rassismus schlecht ist. Nun werden Kinderbücher von Kindern gelesen, den größten politischen Unsinn aber treiben Erwachsene. Tahar Ben Jelloun würde darum am liebsten einmal den 15 Innenministern der EU eine Lektion erteilen, und am Montag abend hätte er in Berlin beinahe damit anfangen können: Otto Schily, Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, hatte zugesagt, mit seiner Tochter Jenny aus Ben Jellouns Buch zu lesen und danach zu diskutieren.

Aber Otto Schily war nicht da. „Wir müssen davon ausgehen, daß sich die Lage im Kosovo zugespitzt hat“, raunte Giovanni di Lorenzo – Chefredakteur des Tagesspiegel und Moderator der Veranstaltung – ins Mikrofon, und da raunte es auch im Saal: Der Kosovo, na klar. Herr Schily mußte also in Bonn bleiben, auf einer Sondersitzung des Kabinetts. Aber es gab Ersatz: Hannah Brodersen, die neunjährige Tochter der Rowohlt-Berlin- Verlegerin Ingke Brodersen. Hannah war dann auch der Star des Abends. Ganz lässig saß sie in Kapuzen-Shirt und Jeans auf der Bühne zwischen Giovanni di Lorenzo (brauner Anzug, dunkelrotes Hemd) und Jenny Schily (anthrazitfarbenes Kostüm), und von dem komischen Getue der Erwachsenen und ihrem aufmunternden Grinsen ließ sie sich gar nicht erst beirren.

Hannah las den Part der Tochter, Jenny Schily las den Part des Vaters. So schön die beiden das auch machten, das Buch ist leider ziemlich unerträglich. Tahar Ben Jelloun, der von Marokko nach Frankreich ausgewandert ist, hat einfach den ganzen politisch korrekten Sermon zum Thema Rassismus heruntergeschrieben: daß es echt in Ordnung ist, vor Fremden ein bißchen Angst zu haben, aber daß bestimmte Politiker diese Angst eben instrumentalisieren. Daß die Menschen verschieden, aber irgendwie doch alle gleich sind. Und daß man ganz viel erklären muß, dann wird die Welt schon besser werden. „Ich schlage vor, du benutzt das Wort Rasse überhaupt nicht mehr“, sagt Papa Ben Jelloun in seinem Buch zu seiner Tochter. Super Idee, eigentlich.

Die Zuhörer in der Akademie der Künste aber hörten sich jeden einzelnen Satz mit gespitzten Ohren an. Man kam sich höllisch aufgeklärt und gebildet vor und beklatschte begeistert Sätze wie diesen: „Nicht alle dummen Menschen sind Rassisten, aber alle Rassisten sind dumme Menschen.“ So einfach ist das. Nach der Lesung variierte Ben Jelloun das Thema noch eine dreiviertel Stunde lang, auch das fanden die Zuhörer gut. Man war sich einig: ein Publikum mit toleranten Menschen und ein Autor voller toleranter Einfälle.

Otto Schily, so hört man, hat aus der Krisensitzung heraus in Berlin angerufen, um sich zu erkundigen, ob denn alles gut gelaufen sei. „Ja, Papa, alles ist gut gelaufen. Es ist alles gut in Deutschland“, hat Jenny dann zu ihm gesagt, zumindest stellen wir uns das so vor. „Und bei dir, Papa, was macht der Kosovo?“ – „Ach, der Kosovo ...“ „Dann schlaf gut, Papa.“ „Du auch, Jenny ...“